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HERRSCHAFT/1756: Sozialdarwinismus in nationalistischer Reinkultur (SB)



Wie ein roter Faden durchzieht der Vorwurf, die Bundesregierung gefährde die nationale Souveränität Deutschlands, das Wahlprogramm der AfD. Das gilt vor allem für die Flüchtlingspolitik der Unionsparteien und SPD, aber auch deren außen-, währungs-, militär- und EU-politischen Leitlinien. Wer das nationale Handlungsvermögen, das selbstverständlich eine Domäne der etablierten Parteien ist, derart in den Vordergrund stellt, daß deren hegemonialstrategische Agenda der laut AfD unterentwickelten nationalen Größe im Wege steht, muß die die Frage nach dem Staatsvolk als dadurch begünstigtem Subjekt im gleichen Atemzug beantworten. Das wiederum tut die Reichspartei auf ganz konventionell neoliberale Weise, indem sie den Primat unbedingter Leistungsfähigkeit zu Lasten all jener verallgemeinert, die zu schwach, zu arm oder sonstwie benachteiligt sind.

Nicht die materielle Besserstellung aller Bürger ist ihr Programm, sondern die Renationalisierung kapitalistischer Verfügungsgewalt über das produktive Vermögen einer kulturell und ethnisch deutsch eingehegten Volksgemeinschaft. Wer immer sich dieser zugehörig fühlt, kann dies nur unter Ausschluß aller angeblich aus Gründen der Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion oder politischen Gesinnung nicht Zugehörigen tun. Damit erweitert die AfD die klassenstrategisch mit der rot-grünen Innovation des Hartz IV-Regimes vertiefte Selektion in Eigentümer und Erwerbsabhängige um Identitätsmerkmale biologistischer und kulturalistischer Art. Alle von der AfD in Anspruch genommenen Gerechtigkeitspostulate stehen unter dem Vorbehalt nationaler Zugehörigkeit bei unverhohlener Fortschreibung neofeudaler Klassenverhältnisse, die sich mit dem gemeinsamen Feindbild des nicht dazugehörigen "Ausländers" desto besser befestigen lassen.

Indem die AfD ihrer Klientel suggeriert, durch die Währungs- und Wirtschaftspolitik der EU, durch humanitäre Hilfsprogramme oder den deutschen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels benachteiligt zu werden, unterstellt sie denjenigen Akteuren, die zumindest beanspruchen, mit Hilfe internationaler Kompensationsmechanismen die Not durch imperialistische Politik benachteiligter Bevölkerungen zu lindern, ein parasitäres Nutznießertum. Daß diese Instrumente ihrerseits durch hegemonialpolitische Winkelzüge und unternehmerische Gewinninteressen korrumpiert sein können, kann für die AfD kein Kritikpunkt sein, geht es ihr doch darum, noch mehr aus dem Weniger abzuziehen, das im Rahmen globaler Mangelreduktion im Endeffekt nicht mehr verteilt wird.

Da es angesichts global schwindender Ressourcen und anwachsender ökologischer Probleme um Überlebensfragen geht, liegt auf der Hand, daß die von der AfD eingeforderte Stärkung nationaler Souveränität im Kern dem Aufbau von Gewaltverhältnissen dient, die das nationale Raubkollektiv noch unverhüllter als bisher in Erscheinung treten lassen. Die von ihr verlangte Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Stärkung der Bundeswehr und der beschleunigte Ausbau des nationalen Sicherheitsstaates sollen eine Eigentumsordnung schützen, die nach innen mindestens so rigide durchgesetzt wird wie nach außen, von wo nach Durchsetzung eines Grenzregimes nach Vorstellungen dieser Partei ohnehin kaum noch jemand einreist, der sich nicht als Investor einkaufen kann. Wer in der Feindbildproduktion der AfD an die Stelle der dann ausbleibenden Migrantinnen und Migranten treten soll, ist angesichts dessen, daß die Reichspartei die sozialdarwinistischen Zügel weiter anziehen und jegliches Einkommen noch strikter als bisher an eine mit disziplinierender Härte eingeforderten Leistungsbereitschaft der Empfänger von Transferleistungen binden will, keine offene Frage.

Das von der AfD zu erschließende Potential sogenannter Protestwähler dürfte sich mithin weniger aus dem unumkehrbar armen und verelendeten Teil jener Menschen speisen, die schon ganz unten angekommen sind. Diese Partei ist im arrivierten Bürgertum weit stärker verankert als unter Menschen, die längst so desillusioniert sind, daß sie von nationalchauvinistischen Parolen nicht mehr zu erreichen sind. Die Adressatinnen und Adressaten ihres Rechtspopulismus haben kaum Probleme damit, im Zweifelsfall über Leichen zu gehen, wenn es dem eigenen Vorteil dient. Was im alltäglichen Überlebenskampf gang und gäbe ist, soll als offizielles Regierungsprogramm eine Legitimation erhalten, die an Arbeitslager und Schlimmeres denken läßt.

Die AfD propagiert Sozialdarwinismus in nationalistischer Reinkultur nicht, um Menschen mit trügerischen Mitteln zu manipulieren, wie die verbreitete Kritik an ihren Positionen glauben macht, sondern weil sie damit genau dasjenige Raubkollektiv anspricht, das seine Chancen in der Aufrüstung der Nation zum aggressiven Akteur im globalen wie lokalen Verteilungskampf sucht. Sie ist damit dem Hauptstrom herrschender Politik weit näher als eine Linke, die den Kampf um soziale Gleichheit und universale Rechte noch nicht aufgegeben hat. Daß sie diese Linke mit großer Entschiedenheit bekämpft, wie die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel mit ihrer Warnung vor der Entstehung einer neuen RAF [1] belegt, empfiehlt sie für die Zwecke dieses Staates und seiner Oligarchie um so mehr.


Fußnoten:

[1] https://www.alternativefuer.de/alice-weidel-regierung-sieht-bei-entstehung-einer-raf-generation-zu/

23. April 2017


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