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HERRSCHAFT/1834: CDU - man krümmt sich ... (SB)



Die CDU muss deutlich machen, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen ist. Wer mit dieser Partei Bündnisse eingeht, knüpft ob gewollt oder nicht auch mit denen ein Band, die rechtsextreme Gewalt und Terror verharmlosen oder gar in mehr oder weniger subtiler Form unterstützen.
Irene Mihalic (Innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen) [1]

Die Ratio parteipolitischer Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt führt geradezu zwangsläufig zu der Konstellation, daß maßgeblichen Akteuren am Scheideweg einander widerstreitender Interessen das Hemd der Regierungsbeteiligung näher als der Rock vorgeblich eherner demokratischer Prinzipien ist. Das gilt auch für die talfahrende CDU, die insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern einen Absturz befürchten muß, wo sie von der AfD auf breiter Front als stärkste Kraft abgelöst zu werden droht, soweit dasselbe Schicksal nicht wie in Brandenburg der SPD bevorsteht. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen stehen im Herbst Landtagswahlen an und die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt, ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen, manövrierte wiederholt am Rande des Regierungsbruchs. Was mit Rücksichtnahme auf die Wahlen in den drei anderen Bundesländern noch nicht allzu laut angesprochen werden kann, macht in Sachsen-Anhalt um so spektakulärer von sich reden: Der Stimmenverlust und die mangelnden Koalitionsoptionen setzen die Grundsatzfrage des Umgangs mit der erstarkenden AfD auf die Tagesordnung.

Grundsätzlich gilt, daß dies überhaupt kein Thema wäre, gäbe es nicht mehr oder minder große innerparteiliche Schnittmengen mit Rechtsaußen. Im Zuge der Krisenregulation forcierte der Ausbau des Sicherheitsstaats mit der Inanspruchnahme des Ausnahmezustands, den massiv verschärften Polizeigesetzen und dem Abbau demokratischer Rechte auf breiter Front eine repressive Drift, die zu einer Verschiebung der sogenannten Mitte der Gesellschaft führte. Das ist der eigentliche Nährboden der AfD, die für sich in Anspruch nimmt, dort Position zu beziehen, wo die andern erst noch hinwollen. Um sich für eine Regierungsbeteiligung anzuempfehlen, hat sie sich aus rein taktischen Gründen einen formalen Kodex im Umgang mit rechtsextremen Aussagen und Umtrieben verpaßt, während sie de facto ihre rechte Flanke weit offen hält. Teile der CDU sympathisieren also mit einer AfD, die den legalen parteipolitischen Flügel einer Bewegung vorhält, die zugleich in einer Gemengelage verschiedener Fraktionen und Akteure ein Spektrum angedrohter oder ausgeübter Gewalttaten in Stellung bringt, das von Aufmärschen und Haßmails bis hin zu Anschlägen und Morden reicht.

Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im Magdeburger Landtag, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, haben mit ihrem internen Papier einen Kurs angelegt, der in der Konsequenz auf Umarmung der AfD in einer gemeinsamen Regierung hinausläuft. Die neunseitige "Denkschrift" fordert unter anderem eine "Emanzipation vom Koalitionspartner" SPD auf Bundesebene. Sowohl die Große Koalition als auch die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt stehe für Stillstand und schade der CDU nachhaltig. Die ostdeutsche CDU habe in bundespolitischen Gremien personell erheblich an Kraft verloren, was dazu führe, daß strukturelle Veränderungen wie die Energiewende "vor allem zu Lasten der neuen Länder getroffen" würden. Der Kohleausstieg sei "der Todesstoß für die Industrie".

Thomas und Zimmer kritisieren Angela Merkel, die Flüchtlingspolitik der EU und des Bundes seien gescheitert. "Ungesteuerte Migration" habe eine "Zunahme an neuer brutaler Kriminalität" zur Folge. Gleichzeitig nehmen sie die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in Schutz, die sich um eine inhaltliche Schärfung bemühe, aber von der Kanzlerin daran gehindert werde. Deshalb müßten sich "zukünftige strategische Überlegungen ausschließlich daran orientieren, mit welchen Parteien die eigene Politik" tatsächlich umgesetzt werden könne. Mit Blick auf ein mögliches Bündnis mit der AfD sagte Thomas: "Wir sollten eine Koalition jedenfalls nicht ausschließen. Stand jetzt ist sie nicht möglich - wir wissen aber nicht, wie die Lage in zwei oder fünf Jahren ist." Es komme darauf an, welche Strömung sich in der AfD durchsetze.

Angesichts der bevorstehenden Rezession müßten "Herkunft und Erhalt des Wohlstandes" wieder stärker thematisiert werden. Deshalb sei es an der CDU, das "Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen", schreiben sie. "Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit" seien die Grundlage der Gesellschaft. Man habe versäumt, die Sehnsucht nach Heimat zu verteidigen. Damit plädiert das CDU-Duo also für eine Agenda ihrer Partei, die sich kaum noch von jener der AfD unterscheidet. Der CDU-Abgeordnete Detlef Gürth schlägt in dieselbe Kerbe: "Innerhalb der Union gibt es erheblichen Diskussionsbedarf über den landes- und bundespolitischen Kurs der Partei," Das Papier von Thomas und Zimmer sei da nur exemplarisch. "Es gibt einen Wunsch nach einer charismatischen Führungspersönlichkeit, die für eine klare Position steht", so Gürth. [2]

Einen offenen Umgang mit der AfD fordert bekanntlich auch Hans-Georg Maaßen, der frühere Verfassungsschutzpräsident. Maaßen, CDU-Mitglied und Wahlkämpfer für Vertreter der erzkonservativen Gruppierung WerteUnion, sagte im Deutschlandfunk, man könne die Zusammenarbeit mit der AfD nicht für immer ausschließen. Nach Angaben der AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber beriet er seinerzeit Frauke Petri, wie sie eine Beobachtung ihrer Partei durch seine Behörde vermeiden könne. Später behauptete Maaßen noch vor jeder Prüfung der Fakten, bei Videosequenzen der Menschenjagd in Chemnitz handle es sich offenbar um manipuliertes Material. In seiner Person wurde die Kollaboration der Geheimdienste mit der Rechten, die ansonsten stets geleugnet wird, ausnahmsweise einmal unverhohlen publik. Wäre er nach seiner Ablösung als Behördenleiter verstummt, hätte ihm Innenminister Horst Seehofer womöglich den einflußreichen und hochdotierten Posten eines Staatssekretärs in seinem Haus wie geplant sichern können. Daß Maaßen die Zeit für gekommen hielt, seine Gesinnung nicht länger heimlich im administrativen Apparat umzusetzen, sondern wiederholt öffentlich auszuposaunen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Vormarsch der Rechten, die ihre opportunistische Tarnung zunehmend über Bord werfen.

Sachsens Ministerpräsident und CDU-Chef Michael Kretschmer hat eine Zusammenarbeit mit der AfD ebenso ausgeschlossen wie sein Thüringer Kollege und Spitzenkandidat Mike Mohring, nicht ganz so klar ist die Haltung von Brandenburgs CDU-Spitzenmann Ingo Senftleben. Sachsen-Anhalts CDU-Chef Holger Stahlknecht ließ verlauten, daß er nichts von den Lockerungsübungen gegenüber der AfD halte. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erinnerte an die Beschlußlage der Partei, daß jede Koalition und Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen sei. Niedersachsens CDU-Landesvorsitzender Bernd Althusmann sagte: "Eine Koalition der CDU mit der AfD sollte klar und unmissverständlich ausgeschlossen bleiben."

Die Sprecherin der "Union der Mitte", Karin Prien, zeigte sich "wirklich schockiert über die Leichtfertigkeit, mit der dort behauptet wird, die CDU hätte irgendeine Nähe zur AfD und deren oftmals nationalistischen, populistischen und mitunter rassistischen Aussagen. Ich halte das für brandgefährlich." Solche Äußerungen bedeuteten "eine Zerreißprobe für die Union". Besonderen Anstoß nahm sie an "der bewussten Kombination der Vokabeln sozial und national". Dies sei angesichts des Nationalsozialismus "geschichtslos und inakzeptabel", erklärte die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins.

Wenngleich die Magdeburger "Denkschrift" auf höherer und höchster Parteiebene also klar zurückgewiesen wurde, ist ihre Bedeutung keineswegs marginal. Ein eher liberal-konservativer Kurs der CDU wie in Sachsen und Brandenburg mit einer deutlichen Abgrenzung von der AfD hat dort zu schlechten Umfrageergebnissen geführt. Offenbar meinen Teile der CDU in Sachsen-Anhalt, wo erst in zwei Jahren gewählt wird, dem vorgreifen zu müssen, indem sie auf die Karte der AfD setzen und in ihr einen Koalitionspartner sehen. Dabei ist der Zeitpunkt längst verstrichen, zu dem die CDU womöglich noch mit moderateren Kräften innerhalb der AfD reden konnte. In den ostdeutschen Landesverbänden haben die rechtsextremen Kräfte den Flügelkampf längst für sich entschieden. Wer sich die AfD zum Partner macht, verbündet sich mit dieser Strömung. [3]

Seit 2014/2015 nahm der Rechtsruck noch einmal deutlich Fahrt auf, der seinen Ausdruck in starken Wahlergebnissen der AfD insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, zugleich aber in Bedrohungen und Angriffen auf der Straße, gegen Flüchtlingsunterkünfte und auf Kommunalpolitiker findet. Von den Hochzeiten der Pegida bis hin zu Chemnitz und Zukunft Heimat in Cottbus heizt die Rechte das politische Klima an und geht dabei immer offener vor. Der Mord an Walter Lübcke in Wolfhagen ist insofern ein extremer Ausdruck dieser verhängnisvollen Entwicklung, als erstmals seit 1945 ein Politiker mutmaßlich von rechtsextremistischen Tätern umgebracht wurde. Wenn Horst Seehofer gemeinsam mit den Präsidenten von BKA und Verfassungsschutz jedoch von einer neuen Qualität der Bedrohung spricht, zeugt dies zugleich von einer systematisch verzerrten Wahrnehmung und Täuschung der Öffentlichkeit.

In den Jahren seit dem Anschluß der DDR wurden Hunderte Menschen aus rassistischen Gründen auf offener Straße umgebracht, Pogrome gegen Flüchtlingsunterkünfte und zahllose Brandanschläge verübt, trieb der sogenannte NSU an der Leine der Geheimdienste sein Unwesen. Journalisten, Kommunal- und Landespolitiker erhalten rechtsextreme Drohmails, die Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker und der Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein überlebten nur knapp Mordanschläge. Der Berliner Linken-Politiker Philipp Wohlfeil wurde von einem rechten Schlägertrupp schwer verletzt, unter Rechten kursieren "schwarze Listen" bevorzugter Opfer. Rechte Netzwerke treiben in der Bundeswehr und bei Polizeien ihr Unwesen, ohne daß dies angemessene Konsequenzen hätte. Nennenswerte Hilfe haben die wenigsten Opfer rechter Gewalt zu erwarten, sofern sie ihr sozialer Status nicht besonders hervorhebt. [4]

Der Mord an Walter Lübcke, Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker, Diskussionen über Haßmails und die Verrohung der Sprache, und zu allem Überfluß plädiert Altbundespräsident Joachim Gauck ausgerechnet jetzt für eine "erweiterte Toleranz in Richtung rechts". Er möchte den Begriff "rechts" entgiften, sei dies doch eine Verortung im politischen Raum und noch nicht negativ. Auch kritisiert er die "1968er-Kultur", die gleich nach der Linken überall den Faschismus ansiedle. "Nicht alle AfD-Wähler sind Faschisten und Nazis" [5], reiht sich Gauck in die eigenartige Koinzidenz diverser Schlaglichter rechter Umtriebe oder Avancen an die Adresse der AfD ein, wie sei derzeit in aller Munde zu sein scheinen. Daß zu deren Motto, die anderen Parteien vor sich her zu treiben, immer zwei gehören, sollte man dabei nicht unter den Tisch fallen lassen.


Fußnoten:

[1] www.mz-web.de/politik/entsetzen-in-berlin-cdu-bundespolitiker-schockiert-von-papier-aus-sachsen-anhalt-32732842

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-streit-in-sachsen-anhalt-blinker-nach-rechts-a-1273448.html

[3] www.deutschlandfunk.de/koalition-mit-der-afd-die-cdu-ist-zutiefst-verunsichert.694.de.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2019/06/21/mord-j21.html

[5] www.zdf.de/nachrichten/heute/bei-markus-lanz-altbundespraesident-joachim-gauck-den-begriff-rechts-entgiften-100.html

21. Juni 2019


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