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PROPAGANDA/1351: Schweres Wahlkampfgeschütz ... Hoffnungsschimmer Wirtschaftswachstum (SB)



Welch schöneres Wahlkampfgeschenk könnte man den Regierungsparteien machen als die vielbejubelte angebliche Trendwende in der Konjunktur. Mit dem Anstieg des Bruttoinlandprodukts (BIP) im zweiten Quartal von April bis Juni um 0,3 Prozent geht es wieder aufwärts, jubeln neoliberale Wirtschaftsexperte, und die Lautsprecher des Kapitals in den Medien stimmen mit hoffnungsspendenden Mutmaßungen wie der Frage, ob "wir" am Ende mit einem blauen Auge davonkommen könnten, in den Chor jener Kirche ein, deren zentraler Glaubenssatz niemals endendes Wirtschaftswachstum ist.

Die vermeintliche Trendwende beruht auf einem statistischen Wert, die sich um eine Vergleichsachse gruppiert, die zwar Verlaufsrichtungen markiert, deren Aussagekraft aber vor allem daraus resultiert, daß Politik und Wirtschaft wie hypnotisiert auf ihn starren. So heißt negatives Wachstum nicht, daß ausschließlich Verbrauch, Zestörung, Mangel produziert wird, sondern daß weniger volkswirtschaftlich berechenbare Leistungen erbracht werden als im Vergleichzeitraum. In welchem Ausmaß die als Wachstum ausgewiesene Produktivität ohnehin Verluste erzeugt, ist damit noch gar nicht berührt. In Anbetracht der Tatsache, daß ein Großteil dieses Wachstums nach wie vor auf dem Finanzmarkt erzielt wird, liegt diesem Wert ein nur bedingt greifbares Quantum an Gütern und Dienstleistungen zugrunde, in erster Linie handelt es sich um einen aus Bilanzen resultierenden Rechenwert abstrakter Art.

Dem Bild, es ginge "wieder bergauf", steht ein Rückgang des Wirtschaftswachstums von 7,1 Prozent BIP im Jahresvergleich gegenüber. Dieser für die BRD beispiellose Verlust müßte korrekterweise in dieses Bild aufgenommen werden, indem man einen tiefen Sturz in ein Tal zeigt, auf dessen Grund man sich gerade erhebt, um eine langwierige Kletterpartie in Angriff zu nehmen. Die diesen Sturz bewirkende Überakkumulationskrise hatte zur Folge, daß den ungedeckten Schulden noch mehr Geld durch staatliche Kreditschöpfung nachgeschoben wurde. Diese Schuldenlast ist beim Aufstieg zusätzlich zum eigenen Körpergewicht zu schultern.

So wird den Bürgern suggeriert, vor einer die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik auf vier Jahre hinaus bestimmenden Wahl über eine wichtige Information zu verfügen, bei der es sich lediglich um eine von mehreren statistischen Meßlatten handelt, mit denen die Entwicklung der Wirtschaft politisch handhabbar gemacht werden soll, und die zudem von Wirtschaftswissenschaftlern unterschiedlich bewertet wird. Es geht um nichts anderes, als durch das Verbreiten guter Stimmung vergessen zu machen, daß die Krise eben nicht ausgestanden ist, weil das Problem einer hinter der Produktivität herhinkenden Bemittelung der Bürger aufrechterhalten bleibt und weil nach wie vor große Risiken in den Bilanzen der Banken stecken, die die weitere Kompensierung ihrer Probleme durch den Staat erforderlich machen. Dieser refinanziert sich am Finanzmarkt durch Anleihen und hält das große Rad der Kapitalakkumulation damit in Schwung.

Was bei dem fest anliegenden Kurs, die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals unter keinen Umständen zu beschneiden, allemal sicher ist, ist die Adresse derjenigen, die all das zu bezahlen haben. Die Aufrechterhaltung der marktwirtschaftlichen Kapitalakkumulation erfolgt auf Kosten derjenigen, die das knapper werdende volkswirtschaftliche Gesamtprodukt unter stetig schlechteren Bedingungen per Lohnarbeit zu erwirtschaften haben. Sie erfolgt zu Lasten derjenigen, die aufgrund von Ewerbslosigkeit, Alter oder Krankheit auf Sozialtransfers angewiesen sind, die in Anbetracht der wachsenden Staatsverschuldung absehbar gekürzt werden.

Die Hoffnung, daß eine wirtschaftliche Erholung eines Tages wieder bessere Löhne und Arbeitsbedingungen möglich machte, ist ebenso vermessen wie die Sorge, daß Kürzungen beim Arbeitslosengeld und den Renten kein würdiges Leben mehr zulassen werden, begründet ist. Schon jetzt übersteigt der Preis für die Rettung der Banken und damit der Kapitaleigner jede annähernd vergleichbare Begünstigung anderer gesellschaftlicher Gruppen. Die Behauptung, daß diese von einem Kollaps der Banken nicht minder betroffen wären als deren direkte Nutznießer, ist irreführend. Eine Vergesellschaftung des Kreditgewerbes nach geregelter Insolvenz der Pleitiers wird nicht diskutiert. Bisher wird lediglich das Risiko des freien Kapitalverkehrs vergesellschaftet, nicht jedoch die Zuständigkeit für eine Kreditvergabe, die ebenso, wie sie nach Profitgesichtspunkten der Eigner organisiert ist, auch Kriterien des sozialen und gesellschaftlichen Nutzens unterworfen werden könnte.

Entscheidend für die konservative Ausrichtung, die sich in den Umfragen zur Bundestagswahl zeigt, ist der unterwürfige Reflex, die Herrschenden wüßten schon am besten, was für Staat und Gesellschaft gut ist. Der Erhalt dessen, was man noch hat, wird weit höher gewichtet als der Verlust dessen, was man gar nicht erst antritt einzufordern. Der altbekannten Reaktion, daß Bevölkerungen in Zeiten der Krise für die Option des Bewahrens votieren, um nicht mit noch größerer Unsicherheit bei tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen konfrontiert zu sein, erliegt das Gros der Bundesbürger. Daher ist das Propagieren neuer Hoffnung aufgrund der oberflächlichen Veränderung eines Indikators wahlstrategisch rational und geschickt. Es maximiert das Ausmaß der Ignoranz, deren es bedarf, nicht das zu tun, was allen Menschen am meisten zugutekäme - die entschiedene Elimination von Elend und Not zu Lasten des Konsums und Verbrauchs, der sich allein aus der Logik der Kapitalakkumulation ergibt.

14.08.2009