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PROPAGANDA/1353: Schwaches Ablenkungsmanöver ... Kritik an Jungs "Informationspolitik" (SB)



Viel Lob erhielt die Bundeskanzlerin dafür, daß sie sich gegenüber den NATO-Partnern in ihrer Regierungserklärung zu dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff in der Nähe von Kunduz gegen "Vorverurteilungen" verwahrte. Führende deutsche Tageszeitungen stimmten in den Tenor ein, daß es sich bei der harten Beurteilung dieses Angriffs durch Politiker und Journalisten verbündeter Staaten um eine Art Retourkutsche für die Kritik handelte, die in der Bundesrepublik bei entsprechend verheerenden, von US-amerikanischen Offizieren angeordneten Angriffen laut geworden war.

Während Angela Merkel den Bündnispartnern unverhohlen zu verstehen gab, dicht zu halten, um der gemeinsamen Glaubwürdigkeit nicht noch mehr Schaden zuzufügen, und gegenüber der eigenen Bevölkerung davon ablenkte, daß die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr absehbare Ergebnisse gezeitigt hat, wird Verteidigungsminister Franz Josef Jung zum Ziel heftiger Anwürfe. Seine Informationspolitik sei katastrophal gewesen, heißt es allenthalben, weil er die Möglichkeit, daß es zu zivilen Opfern gekommen ist, anfangs kategorisch ausschloß. Tatsächlich liegen zwischen dem Lamento über die angeblich unfaire "Vorverurteilung" und dem Abstreiten des Offensichtlichen keine Welten. In beiden Fällen wird gemauert, allerdings auf mehr oder weniger geschickte Weise. Das Krisenmanagement der Bundesregierung besteht daher wesentlich darin, den NATO-Partnern zu signalisieren, das eigene Legitimationsproblem nicht noch zu vergrößern, während man gleichzeitig einen Sündenbock anbietet, an dem sich alle abreagieren können.

Jung hat nichts anderes getan als das, was für seine Kollegen in den USA und die PR-Abteilung der NATO übliche Praxis ist. Bei allen Luftangriffen, bei denen in größerem Ausmaß Zivilisten getötet werden, wird zuerst rundheraus bestritten, daß es sich um solche handelte, um nach längerer Zeit, wenn das Geschehen nicht mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, kleine Zugeständnisse an das tatsächliche Ausmaß der Opfer zu machen. Allerdings hat die Bundesregierung das Problem, die Verbündeten durch ihre vergleichsweise zurückhaltende Einsatzdoktrin verärgert zu haben, so daß diese den Anlaß nicht etwa nur für eine Revanche nutzen. Die US-Regierung ergreift viel mehr die Gelegenheit, ihren Einfluß auf die Afghanistanpolitik der Bundesregierung zu vergrößern und ihr eine den eigenen Vorstellungen näherstehende Einsatzdoktrin aufzuoktroyieren.

Indem man in Washington vorgibt, nach in eigener Regie begangenen Massakern an diversen Hochzeitsgesellschaften und anderen Vorfällen, bei denen Afghanen nach Belieben umgebracht wurden, zur strikten Schonung der Zivilbevölkerung übergegangen zu sein, wirft man der Bundeswehr vor, diesem Versuch einer Verbesserung des eigenen Ansehens bei der afghanischen Bevölkerung schweren Schaden zugefügt zu haben. Um so mehr soll die Bundesregierung nun dazu gedrängt werden, die mit der Zurückhaltung in der Luft begründete Aufstockung der Zahl der Besatzungstruppen mitzutragen. Zudem will man ihr die Verpflichtung für Kampfeinsätze abringen, indem man die mit den Opfern des Luftangriffs auf die Tanklastzüge gesteigerte Kampfbereitschaft der Taliban anführt. Die Bundeswehr habe sich den Krieg damit praktisch vor das eigene Lagertor geholt, so die implizite Logik der harschen Attacken, die die Bundesregierung in den letzten Tagen aus Politik und Medien anderer NATO-Staaten trafen.

Merkels Strategie zur Schadensbegrenzung besteht darin, die Debatte auf einen Disput zwischen den Verbündeten und auf ein Problem der Vermittlung des an und für sich guten und gerechten Kriegseinsatzes am Hindukusch zu reduzieren. Um doch noch zu verhindern, daß im Wahlkampf über Sinn und Zweck der Besetzung Afghanistans durch die NATO debattiert wird, wird der Blick auf Vordergründiges gelenkt und etwa darüber geklagt, daß den Soldaten schweres Unrecht getan wird, wenn sie nun für die vielen Toten der letzten Woche verantwortlich gemacht würden. Sich hinter die Truppen zu stellen und sich darüber alle Kritik an der eigenen Kriegspolitik zu verbeten hat für viele US-Regierungen funktioniert und soll sich auch in Deutschland bewähren.

Während man explizite Kriegsgegner in Kongreß und Regierung in Washington mit der Lupe suchen muß, verfügt die Bundesrepublik mit der Linken über eine im Bundestag sitzende Partei, die in dieser Frage deutlich Flagge zeigt. Hier drängt sich die Anprangerung des angeblichen Ausschlachtens des Themas gerade auf, wie dieser exemplarische Kommentar zeigt:

"Die gestrige Regierungserklärung der Bundeskanzlerin gehört zu den besseren in ihrer vierjährigen Amtszeit. Flankiert wurde sie von einer ebenso guten Rede des Außenministers. Allein die Linkspartei meint, sich auf Kosten jener Bundeswehrsoldaten, die im Kriegsgebiet ihr Leben riskieren, profilieren zu müssen. Mit der Katastrophe in Kunduz Wahlkampf zu machen, ist schlicht unerträglich." (Westdeutsche Zeitung, 09.09.2009)

Ähnliches wird in den verbliebenen Wochen bis zur Bundestagswahl häufiger zu vernehmen sein, doch es gereicht der Linken durchaus zum Vorteil. Der Ärger darüber, der Partei auf einem Feld, das ihr wie kaum ein anderes eigenständiges Profil verleiht, mit einem Vorgehen Rückenwind verliehen zu haben, das sie im Kern kritisiert, und darüber auch andere linke Anliegen stark zu machen, ist mit den Händen zu greifen. Um so mehr gilt, die Ausflüchte und Beschönigungen der Bundesregierung als das zu exponieren, was sie sind - Mittel und Wege zur Fortschreibung imperialistischer Politik.

9. September 2009