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PROPAGANDA/1367: Neujahr - Kanzlerin droht Bundesbürgern Grausamkeiten an (SB)



Wer befürchtet hat, die Bundesregierung werde im Jahr 2010 die Katze geplanter sozialer und repressiver Grausamkeiten aus dem Sack lassen, liegt leider goldrichtig. Nicht, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache von der bewährten Strategie abgewichen wäre, mit harmlos klingenden Wendungen das Unerträgliche euphemistisch in den Plauderton von Allerweltsworten zu kleiden, als unterhalte man sich nachbarschaftlich am Gartenzaun über die Weltläufe. Dekodiert man die Nebelkerzen der Kanzlerin, lautet die Botschaft an die Bundesbürger, daß der Umbau der Gesellschaft innovativ vorangetrieben und binnen Jahresfrist ein dramatisch gestiegenes Niveau an Verelendung einer Demontage aller Ansprüche auf Behebung derselben gegenüberstehen wird.

"Wir können nicht erwarten, daß der Wirtschaftseinbruch schnell wieder vorbei ist. Manches wird gerade im neuen Jahr erst noch schwieriger, bevor es wieder besser werden kann", ist die Kernaussage des Redetexts, mit dem Merkel die Bürger auf wirtschaftlich verheerende Zeiten einschwört, die sie zur notwendigen Voraussetzung der Besserung erklärt. Ein Narr und Schlimmeres, wer heute aus der Reihe tanzt und mit der dreisten Einforderung persönlichen Wohlergehens die künftige Wohlfahrt aller aufs Spiel setzt. Der totalitäre Staat der Einsicht in den Verzicht im Namen der Eigenverantwortung hat das Solidarprinzip abgewürgt.

"Das vergangene Jahr stand im Zeichen der größten weltweiten Finanzkrise unserer Zeit. 2010 wird sich entscheiden, wie wir aus dieser Krise herauskommen", malt Merkel ein Schicksalsjahr an die Wand, indem sie die Bevölkerung mit der Fessel der Ambivalenz bindet, die Krise sei bewältigt, aber nicht überwunden. So paart sich der Trost, es handle sich keineswegs um die Systemkrise des Kapitalismus, sondern lediglich einen Auswuchs desselben, den es zu beschneiden gilt, mit der Drohung, daß man den Aufschwung aufs Spiel setzt, wenn man den Gürtel nicht noch enger schnallt.

Nicht Klassenwidersprüche, irreparable systemische Verwerfungen, Ausbeutungsverhältnisse und administrativ gestützte Raubstrukturen machen das Leben der vielen zur Qual, sondern die ominöse Krise, geboren aus einem "Zusammenballen von Maßlosigkeit und Verantwortungslosigkeit" an den Finanzmärkten, das man "in Zukunft rechtzeitig verhindern" müsse. So wird die Krise in ihrem Charakter geleugnet und zugleich als Drohkulisse instrumentalisiert, indem sie der Gier einiger nimmersatter Glücksritter entsprungen nun wie ein Damoklesschwert über unserem Nacken hängt. Du bist nichts, die Krise ist alles, subsumiert man für irrelevant erklärte Ansprüche auf ein Leben in Würde unter den unbestreitbaren Zwang, sich in die Drangsalierung zu fügen.

"Wir können mit guten Gründen hoffen, daß Deutschland diese Krise meistern wird, daß unser Land stärker aus ihr hervorgehen wird, als es in sie hineingegangen ist, daß sich eine solche Krise nie mehr wiederholt", verkündet die Kanzlerin nicht etwa eine Frohe Botschaft, wenn sie eine gestärkte Nation zu Lasten der Bürger proklamiert, die das zweifelhafte Vergnügen haben, sich in ihrer Verwertung bis aufs Mark an dem Gedanken zu ergötzen, daß man andere Völkerschaften um so gnadenloser aussaugt.

Wichtig sei, daß von Afghanistan "nie wieder Gefahr für unsere Sicherheit und unser Wohlergehen ausgeht", wirft Merkel lässig die alte Kriegslüge ins Gefecht, das den völkerrechtswidrigen Angriff samt dem ins neunte Jahr gehenden Besatzungsregime auf den Kopf stellt. Wenn die Kanzlerin ausdrücklich die Arbeit von deutschen Zivilhelfern, Polizisten und Soldaten im Ausland, besonders in Afghanistan, würdigt, wird der Krieg zur offensiv vorgehaltenen Selbstverständlichkeit, der man Opfer bringen muß: "Die Bundesregierung weiß um die Härte und die Gefährlichkeit ihres Auftrages." Das heißt heimkehrende Leichensäcke in wachsender Zahl, Aufstockung des Bundeswehrkontingents und - als reiche das Massaker bei Kundus nicht aus - noch viel mehr tote und verstümmelte Afghanen.

Die Bundesregierung werde alles tun, um Wachstum zu schaffen, "denn wir wollen mit mehr Wachstum klug aus der Krise kommen", setzt die Kanzlerin uneingeschränkt auf das Dogma kapitalistischer Verwertungslogik. Das hindert sie nicht daran, im selben Atemzug eine verbale Kehrtwende zu machen und anzumahnen, daß die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise keinesfalls als Ausrede dafür dienen dürfe, andere Herausforderungen der Menschheit in den Hintergrund zu drängen. "Im Gegenteil, die Welt muß zeigen, daß sie ihre Lektion umfassend gelernt hat. Wirtschaft und Umweltschutz sind keine Gegensätze, sie bedingen einander - mehr denn je."

Wem bei diesem akrobatischen Schwenk schwarzgrün vor Augen wird, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der Green New Deal läßt grüßen, der dem Kapital neue Verwertungsoptionen eröffnen und dem Staat wie auch supranationalen administrativen Komplexen nie dagewesene Kontroll- und Verfügungsmöglichkeiten zuschanzen soll. "Vor allem aber wird Deutschland seine eigene Wirtschaftsweise mit ganzer Kraft hin zu mehr Nachhaltigkeit umbauen", fährt die Kanzlerin fort. Das gelte für die Wirtschafts-, für die Finanz-, aber auch für die Sozial- und Integrationspolitik. Der "Umbau zu mehr Nachhaltigkeit" werde gelingen, wenn "der gute Geist des Zusammenhalts" erhalten bleibe.

Von welchem guten Geist ist hier die Rede? Merkel erinnert in ihrer Ansprache an den Fall der Berliner Mauer vor 20 Jahren. "Ohne den Mauerfall wäre mein Leben wie das aller DDR-Bürger völlig anders verlaufen", verkündet sie offenbar ohne jede Ironie. "Es war die Kraft der Freiheit, die die Berliner Mauer zu Fall gebracht hat. Und es ist diese Kraft der Freiheit, die uns heute Mut für das neue Jahr und das nächste Jahrzehnt machen kann. Sie trägt uns gerade auch bei den Aufgaben, die uns im neuen Jahr viel abverlangen."

Nimmt man die zitierte Wendezeit als Parabel, was die Regierungschefin den Bundesbürgern im neuen Jahr zugedacht hat, sieht es schlecht für uns aus. Keine blühenden Landschaften, statt dessen Ausplünderung, Liquidierung von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen, Vernichtung sozialer Strukturen - nur daß es diesmal keinen Westen gibt, in den wir uns in der Hoffnung flüchten könnten, nicht auf ganzer Linie betrogen worden zu sein.

31. Dezember 2009