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PROPAGANDA/1375: NS-Vergleich? Lieberman weiß, wann er legitim ist ... (SB)



Die Gleichsetzung des NS-Regimes mit heutigen politischen Kräften zum Zwecke ihrer Diffamierung ist so beliebt wie prekär. Als Symbol für das politisch und ideologisch unbezweifelbar Böse sind NS-Vergleiche von ultimativer Schlagkraft. Doch je inflationärer dieses propagandistische Mittel eingesetzt wird, desto mehr wird die Vernichtungspolitik der Nazis verharmlost. Dieser Vorwurf trifft nicht nur Palästinenser, wenn sie Kriegführung der israelischen Regierung in ihren Gebieten mit dem Vorgehen von Wehrmacht und SS gegen Juden vergleichen. Er wurde auch von westlichen Politikern in Kauf genommen, wenn sie die Aggression gegen den Irak dadurch begründeten, daß sie seinen ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein zum Wiedergänger Hitlers erklärten, oder den Überfall der NATO auf Jugoslawien als moralische Pflicht zur Verhinderung eines neuen Auschwitz heiligten.

Selbst in Israel ist man nicht gegen NS-Vergleiche immun, wie die dort gerne gezogene Parallele zwischen dem deutschen Diktator Adolf Hitler und dem iranischen Präsidenten zeigt. Auch wenn Mahmud Ahmedinejad nachgesagt wird, er wolle Israel vernichten und leugne den Holocaust, erfüllt diese drastische Überzeichnung den Tatbestand der Relativierung des Holocausts schon deshalb, weil die im Iran lebenden Juden nicht verfolgt und Ahmedinejads Provokationen nicht durch jene Aggressivität gedeckt werden, mit der das NS-Regime schon nach wenigen Jahren seiner Herrschaft jede Beschönigung seiner rassistischen Ideologie und militärischen Eroberungsgelüste gegenstandslos machte.

Nun hat der israelische Außenminister Avigdor Lieberman ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag während eines Besuchs in Ungarn, wo eine starke neue Rechte mit antisemitischer Hetze um Zuspruch wirbt, erklärt, daß Vergleiche zwischen dem heutigen Iran und Nazideutschland nicht nur angemessen, sondern zutreffend und wahr seien (Jerusalem Post, 27.01.2010). Als Grund dafür führte er angebliche Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes an, laut dem der Iran ein zweites, geheimes militärisches Atomwaffenprogramm betreibe. Dies, die Leugnung des Holocaust und das Appeasement der westlichen Großmächte, das zur Annexion der Tschecheslowakei geführt habe, erlaubten diesen Vergleich und verhinderten, daß er als propagandistische Ausbeutung der Judenvernichtung betrachtet werden könnte, so Lieberman.

Zwar hat der Iran in der jüngeren Geschichte weder ein anderes Land überfallen noch dessen Gebiet besetzt, sondern ist im Krieg gegen den Irak selbst einem von den USA politisch unterstützten Aggressor zum Opfer gefallen. Geschichtliche Fakten waren schon immer ein Antidot jeder Propaganda, das gilt auch für die Analyse konkreter Kräfteverhältnisse. Sollte der Regierung in Teheran einfallen, in Saudi-Arabien einzumarschieren, um die dort mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gebiete zu erobern, dürfte die militärische Reaktion der USA nicht lange auf sich warten lassen. Sollte sie konkrete Anstalten machen, Israel anzugreifen, dann schlüge die Präventivdoktrin Washingtons erst recht zu. Abgesehen davon ist Israel als nuklear hochgerüstetes Land durchaus in der Lage, sich zu verteidigen. In Anbetracht der vielen Ankündigungen israelischer Regierungspolitiker, die Atomanlagen des Iran im Rahmen eines sogenannten Präventivangriffs zu vernichten, hat man in Teheran nicht weniger Anspruch darauf, sich bedroht zu fühlen, so daß der Abtausch rhetorischer Attacken keineswegs nur in Ahmedinejads Ausfällen wurzelt.

Was immer die Opfer der Judenvernichtung von der Börse hielten, an der die Kurse der gegenseitigen Bezichtigung auf ihren Leichenbergen in die Höhe getrieben werden, interessiert Lieberman herzlich wenig. Indem er sich dazu aufschwingt, letztinstanzlich zu entscheiden, wann ein NS-Vergleich legitim und wann verwerflich ist, kehrt er das Gedenken an den Holocaust gegen sich selbst. Sein Motiv, unter Zuhilfenahme des ultimativen historischen Negativbeispiels die eigene Feindseligkeit zu rechtfertigen, ist zu durchsichtig, als daß man darauf verzichtete, es in den Kontext seiner rassistischen Ausfälle gegen andere Menschen zu stellen. Die universale Bedeutung, die der an Juden verübte Genozid für alle Menschen haben sollte, um entsprechenden Entwicklungen in den Weg zu treten, wird durch die Anmaßung, seine Nutzung für machtpolitische Zwecke zu reklamieren, auf eine Weise gemindert, die dem Schaden, der durch seine Leugnung entsteht, auf paradoxe Weise entspricht.

29. Januar 2010