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PROPAGANDA/1385: "Der höchste Preis" ... für wen bezahlen Soldaten mit ihrem Leben? (SB)



"Warum gibt die Kanzlerin den toten Soldaten nicht das letzte Geleit?" fragte die Bild-Zeitung in einer großen, schwarz unterlegten Schlagzeile einen Tag vor der Trauerfeier im niedersächsischen Selsingen. Zwar gibt es keine positive Bestätigung dafür, daß die wenig später nach Erscheinen des Blattes erfolgte Ankündigung, Angela Merkel werde an der Trauerfeier für die drei an Karfreitag gefallenen Soldaten teilnehmen, auf diese Frage zurückzuführen ist. Den Regierungssprecher nun erklären zu lassen, es sei ihr "ein persönliches Anliegen", spricht nicht nur für die Wendigkeit der Kanzlerin in PR-Angelegenheiten. Die große Bedeutung, die dem Ereignis beigemessen wird, erinnert auch daran, daß das Sterben von Soldaten für den eigenen Staat ein wesentliches Merkmal souveränen Handelns ist.

Ob nun von "Krieg", einem "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt" oder einem "Stabilitätseinsatz" gesprochen wird, das Entsenden von Truppen in andere Länder ist ein Ausdruck staatlicher Macht, der wie kein anderer nationale Handlungsfähigkeit demonstriert. In einer Zeit, in der die Souveränität der Nationalstaaten immer stärker übergeordneten Zwecken und suprastaatlichen Strukturen unterworfen wird, bleibt das Recht, Kriege zu führen, eine zentrale Bastion nationaler Selbstvergewisserung. Der den drei Gefallenen ausgesprochene Dank wird mithin nicht nur dafür erboten, daß sie ihr Leben für einen bestimmten strategischen Zweck ließen. "Deutschland verneigt sich vor ihnen", wie die Kanzlerin abschließend erklärte, weil ihr Opfer Sinn stiftet und Einigkeit schafft.

An beidem mangelt es in einer auf Individuation und Konkurrenz basierenden Wettbewerbsgesellschaft, vermittelt die neoliberale Leitdoktrin den Bundesbürgern doch, daß Überleben alles und Solidarität nichts ist. Erst das Bemühen um Leistungs- und Anpassungsfähigkeit fördert das Wertvollste am Menschen, seinen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Produkt, zutage, lautet die Botschaft, mit der der Kampf zwischen den Staaten um Einfluß und Wohlstand befeuert wird. Was im Wettstreit der Ich-AGs sozialdarwinistischen Charakter annimmt, summiert sich im Übertrag auf die ganze Gesellschaft zu jener Tüchtigkeit, die sich deutsche Bürger gerne als Ausweis nationaler Größe an die Brust heften.

Soldaten sollen dem Primat marktwirtschaftlicher Konkurrenz nicht unterworfen sein, weil von vornherein übergeordneten Zielen dienen. Obwohl sie einen Beruf haben und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, soll der Zweck ihrer "Arbeit" nicht in der Kapitalakkumulation bestehen, sondern in der Sicherung der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen diese erfolgt. Wäre es anders, dann handelte es sich um Söldner, die ihre Dienste dem Meistbietenden verkaufen.

Um den Glauben daran, daß Kriege keinen eigennützigen Absichten dienen, sondern dem Gedeihen eines größeren Ganzen gewidmet sei, zu erhalten muß das Opfer der Gefallenen von jeglicher egoistischen Gewinnabsicht freigehalten werden. Dies kann nur gelingen, wenn das Prinzip der Nation auf eine Weise inszeniert wird, die dieses Abstraktum in eine persönlich erlebbare, mit den Händen greifbare Dimension treibt. Wenn Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg der Empathie der Trauer mit der Erklärung, die drei Gefallenen wären "echte Patrioten", Sinn und Form verleiht, dann schafft diese Würdigung zusammen mit dem neuen Mahnmal für gefallene Soldaten im Berliner Bendlerblock und der seit letztem Jahr möglichen Verleihung eines Ehrenkreuzes für Tapferkeit die Voraussetzung dafür, daß der Soldatentod ebenso zu einem Produktivfaktor im Wettbewerb der Nationen wird, wie es etwa Sporterfolge im internationalen Vergleich sind.

Ob die Bundeskanzlerin lieber Abstand von der Trauerfeier genommen hätte, weil sie weiß, daß die Zweifel der Soldaten und ihrer Angehörigen an den ideellen Zielen, für die angeblich gestorben wird, mit jedem Opfer, das dieser und andere Kriege fordern, zunehmen werden, kann man nicht wissen. Fraglos wird ihr diese Pflicht mit jedem Mal, wenn deutsche Soldaten in Särgen heimkehren, schwerer fallen. Nicht umsonst ziehen es US-Präsidenten in Anbetracht der großen Zahl von Gefallenen, die ihre Kriege produzieren, vor, ihre Trauer nur bei besonderen Anlässen zu bekunden. Der rituelle Aufwand, der hierzulande noch betrieben wird, läßt sich mit der Häufung derartiger Verluste nicht aufrechterhalten. "Sie haben den höchsten Preis bezahlt, den ein Soldat bezahlen kann", rechnet Merkel vor, als ob sich ihr Opfer mit einer Kosten-Nutzen-Relation erfassen ließe. Tatsächlich sind todbringende Kriege für die Staaten, die sie führen, kalkulierte Investitionen, die sie nicht tätigten, wenn sie sich nicht rechneten. Um den virulenten Widerspruch zwischen persönlicher Betroffenheit und profaner Interessenpolitik vergessen zu machen, bedarf es der Immunisierung der Bevölkerung gegen die Möglichkeit, daß sich Trauer in Zorn verwandelt.

9. April 2010