Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1406: "Bilder sagen mehr als tausend Worte" ... über die Methoden der Kriegshetze (SB)



"Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen". Bei dieser Schlagzeile auf dem Titel des US-Wochenmagazins Time handelt es sich um eine Feststellung, nicht um eine Frage. Diese scheint angesichts des Bildes der schwer entstellten 18jährigen Afghanin Aisha, mit der die Ausgabe vom 9. August aufmacht, beantwortet zu sein. Weil sie der Unterdrückung durch ihren Mann entfloh, schnitt dieser ihr, angeblich aufgrund der dabei erlittenen Entehrung, Ohren und Nase ab und ließ sie schwer verletzt zurück. Das Mädchen überlebte dennoch und wurde von einem Frauenasyl in Kabul aufgenommen, wo das spektakuläre Titelbild entstand.

Bei dem Täter, dem Aisha als Blutzoll zur Vergeltung eines Mordes übergeben wurde, ohne daß das Mädchen irgendeinen Einfluß auf ihr Schicksal gehabt hätte, soll es sich um einen Taliban gehandelt haben. Diese wiesen in einer Erklärung die Verantwortung für die Verstümmelung zurück, die allem Anschein nach ebenso wie die Degradierung des Mädchens zu einem Objekt der Streitschlichtung zwischen verfeindeten Clans Ergebnis archaischer Stammespraktiken ist. Doch um eine differenziertere Sicht auf das Zustandekommen derartiger Grausamkeiten oder eine grundsätzliche Kritik nicht nur in Afghanistan verübte patriarchalische Gewalt scheint es weder den Herausgebern der Time noch den Kolporteuren der darin angelegten politischen Intention zu gehen.

Mit dieser Exposition eines afghanischen Frauenschicksals wird der bekannte Merksatz, daß ein Bild mehr als tausend Worte sagt, auf überzeugende Weise als irreführend widerlegt. Die im Titel angelegte Unterstellung, das Schicksal Aishas verallgemeinere sich, wenn die ausländischen Besatzungstruppen abzögen, unterschlägt die Leiden der vielen Frauen, die einer Kriegführung zum Opfer fallen, der die Unterdrückungspraktiken afghanischer Männer bloßer Vorwand für das geo- und bündnisstrategische Kriegskalkül sind. Es wird Stimmung gemacht für die Fortsetzung eines Eroberungskrieges, in dessen Verlauf die Taliban gestürzt wurden, um einheimische Führer an ihre Stelle treten zu lassen, die sich Frauen gegenüber nicht weniger verächtlich und ausbeuterisch verhalten als ihre Vorgänger. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung des Landes hungert, doch die Frauen, die ihre Kinder nicht ernähren können, werden keinesfalls mit dem gleichen Engagement aus ihrer mißlichen Lage befreit, mit dem die Propagandaabteilungen der NATO-Staaten vortäuschen, es ginge ihnen um die Beendigung der Unterdrückung von Frauen.

Unterschlagen werden auch die vielen Bilder, die in den Folterverliesen von Bagram und Guantanamo nicht gemacht wurden, weil sie die Grausamkeit der Staaten dokumentieren, die die Grausamkeiten der Taliban anprangern. Die dort aus Afghanistan verschleppten Männern häufig jugendlichen Alters zugefügten Qualen sind zwar in Berichten und Dokumenten belegt, doch um diese zu studieren reicht ein Blick nicht aus. Diese tausend Worte bringen allerdings die Perfidie einer kulturalistischen Suprematie zum Ausdruck, die aus gutem Grund nicht auf ähnlich exponierte Weise wie die Aufnahme der verstümmelten Aisha thematisiert wird. Das gilt auch für die Folterfotos aus dem irakischen Abu Ghraib - die in diesem Gefangenenlager angewendeten Folter- und Mordpraktiken wurden in den Konzernmedien weder auf den Nenner imperialistischer Kriegführung gebracht, noch wurden hochrangige Politiker und Militärs dafür zur Verantwortung gezogen. Wer die Berichte der Folterungen sogenannter illegaler feindlicher Kombattanten, die in einem Zustand völliger Entrechtung inzwischen bis zu neun Jahren festgehalten werden und nicht wissen, ob sie jemals wieder freikommen werden, studiert hat, ist von der propagandistischen Wirkung des Time-Covers nicht zu erreichen.

Zweifellos werden Frauen in patriarchalischen, an Stammesgesetzen und monotheistischer Religiosität orientierten Gesellschaften auf eine Weise unterdrückt, die in jeder Beziehung inakzeptabel ist. Wenn Frauen in der EU und den USA jedoch meinen, sich einer wiederum von Männern dominierten Kriegsmaschinerie bedienen zu können, um daran etwas zu ändern, dann suchen sie ihr Heil in einer antiemanzipatorischen Ideologie, die sie davon freihält, ihre eigene gesellschaftliche Position zu gefährden. Nach den vielen militärischen Interventionen, denen Länder des Nahen und Mittleren Ostens in kolonialistischen und imperialistischen, unter der Prämisse zivilisatorischer Überlegenheit geführten Kriegen ausgesetzt waren, müßten diese Länder ein Hort der Frauenfreiheit sein.

Was etwa haben die USA und ihre Verbündeten für die irakischen Frauen getan? Sie haben sie einem Wirtschaftsembargo ausgesetzt, das die Kindersterblichkeit um ein Mehrfaches erhöht hat. Irakische Mütter mußten dabei zusehen, wie ihre an schlechtem Trinkwasser erkrankten Kinder starben, weil die Aggressoren im Krieg 1991 gezielt die zivile Infrastruktur und dabei insbesondere die Anlagen für die Wasserversorgung zerstörten. Anschließend sorgten die Belagerer des Landes durch die Verhinderung des Nachschubs an Medikamenten und technischem Gerät dafür, daß die Babies und Kinder, die besonders anfällig für durch verunreinigtes Wasser verursachte Darminfektionen sind, aus Mangel an erforderlicher medizinischer Hilfe elendiglich verreckten. Nach der endgültigen Eroberung des Iraks 2003 zerschlugen die Aggressoren eine zwar repressiv beherrschte, aber säkular ausgerichtete Gesellschaft, in denen Frauen weit mehr Freiheiten genossen als in dem mit den USA verbündeten Nachbarstaat Saudi-Arabien. Heute sind Frauen in vielen Teilen des Iraks akut gefährdet, entführt, vergewaltigt und anderen Formen männlicher Gewalt ausgesetzt zu werden. Irakische Frauen sind die großen Verlierer einer Kriegspolitik, die erklärtermaßen der Verbreitung der Demokratie und Menschenrechte gewidmet war.

Die afghanische Politikerin Malalai Joya und die afghanische Frauenrechtlerin Zoysa von der Organisation Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) sind sich einig darin, daß ihnen durch die Anwesenheit ausländischer Truppen nicht geholfen ist. Für sie sind die alten wie die neuen Machthaber vom gleichen frauenfeindlichen Schlag, doch ihre Stimmen verhallen im Westen fast ungehört. Wenn eine zum viertgrößten Medienkonzern der Welt, Time Warner, gehörige Zeitschrift sich für Frauenrechte in Afghanistan stark macht, dann erfolgt dies unter dem Primat strategischer Erwägungen, die im Machtgefüge der Gesellschaft verankert sind, die die Basis ihres Gewerbes bildet. Kritische Stimmen aus den Ländern, die zum Wohl der eigenen Nation erobert werden, können da nur stören. Das gilt auch für Aktivistinnen aus dem eigenen Land, ist Frauen bei der Produktion der Unterhaltungsware doch die Rolle zugedacht, männliche Interessen zu bedienen. Ihre Degradierung zu Sexobjekten scheint sich mit dem Projekt der Befreiung afghanischer Frauen bestens zu vertragen, das kann zumindest von Springer-Chef Mathias Döpfner behauptet werden, der im Aufsichtsrat von Time Warner sitzt.

Schaut man einmal hinter die Fassade des Time-Titels, dann schließt sich so mancher Kreis zu einem Komplex aus eigennützigen Interessen, der mit der medialen Verwertung des Kriegsspektakels nicht anfängt und mit der Nähe großer Medienkonzerne zu rüstungsindustriellen und geostragischen Interessen nicht aufhört. Wenn Aisha nun in den USA mit plastischer Chirurgie geholfen wird, dann wird damit die gleiche Betroffenheit bedient, der der kurze Weg zum Einsatz militärischer Gewalt nahe liegt, weil der lange Kampf um die Befreiung aller Menschen aus durchaus eigennützigen Gründen gescheut wird. Wer die Frauen Afghanistans tatsächlich unterstützen will, der sollte lesen, was die Aktivistinnen von RAWA in ihrer Erklärung vom 8. März 2010 zu den Besatzern, den Taliban und der Kabuler Marionettenregierung zu sagen haben [1], anstatt sich durch das bewährte Mittel der emotional aufgeladenen Personalisierung komplexer Konflikte ins Bockshorn herrschaftlicher Interessen jagen zu lassen.

Fußnote:

[1] http://www.rawa.org/rawa/2010/03/07/emancipation-of-afghan-women-not-attainable-as-long-as-the-occupation-taliban-and-national-front-criminals-are-not-sacked.html

10. August 2010