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PROPAGANDA/1408: Gegen Kriegsmüdigkeit ... Petraeus singt Loblied auf deutschen Militarismus (SB)



Kriegsmüden Bundesbürgern moralisch unter die Arme zu greifen scheint dringend geboten zu sein. Den Eindruck erweckt zumindest der Inhalt des Interviews, das der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, mit dem "wichtigsten General der Welt in Afghanistan" [1], dem Oberkommandierenden der US-Streitkräfte und der ISAF-Truppen, David Petraeus, führte. Im Umfeld der Parlamentswahlen, die die ganze Vergeblichkeit der angeblich beabsichtigten Demokratisierung des Landes inmitten des Krieges unübersehbar machen, feuert das Springer-Blatt eine publizistische Breitseite aus zwei Vorberichten und dem an zwei Tagen veröffentlichten Interview gegen den Defätismus an der Heimatfront ab.

Dessen erster Teil macht mit einem Zitat des Generals auf, das an martialischer Aggressivität nichts zu wünschen übrig läßt: "Wir wollen das Leben aus dem Widerstand herausquetschen!" [2] Was genau damit gemeint ist, wird eigens mit einer Grafik illustriert, die die Strategie der gegen die Besatzungsgegner eingesetzte Strategie schematisch verdeutlichen soll. "BILD erklärt die "Anaconda"-Taktik" [3] allerdings nur mit dürren Worten, wobei der gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Charakter des Plans wohlweislich unterschlagen wird. Innerhalb des Kreises, in dessen Zentrum die "Taliban", das "Haqqani Network" und "Andere Gruppen" als das zu bekämpfende Übel stehen, werden als "Bedarf der Aufständischen" auch die Faktoren "Rückzugsorte" und "Unterstützung aus dem Volk" ausgewiesen.

Zwar sollen die dagegen gerichteten Maßnahmen militärischen wie nichtmilitärischen Charakters sein, doch war Gewaltausübung gegen eine Zivilbevölkerung, die eine Guerilla unterstützt, schon immer ein probates Mittel der sogenannten Aufstandsbekämpfung. So wurde die zivile Infrastruktur des Irak während mehrwöchiger Luftangriffe 1991 in Schutt und Asche gelegt, so daß sich zu den zehntausenden direkten Kriegstoten unter der Bevölkerung Hunderttausende weitere Opfer gesellten, die nach dem Krieg am Entzug essentieller Bedarfsgüter und Versorgungsleistungen starben. Führender Stratege dieses Luftkriegs war der Offizier John Warden, Schöpfer einer Luftkriegsdoktrin der U.S. Air Force, die auf einem Modell fünf sich konzentrisch verengender Ringe basierte. Diese wurden als Rangfolge strategischer Ziele aufgefaßt, deren Zerstörung den Kriegsgegner um so mehr schädigte, je näher sie am Zentrum dieses Modells angesiedelt sind. Dort siedelte Warden die militärische und politische Führungsspitze an, darum herum waren die Schlüsselindustrien organisiert, der dritte Ring bestand aus der Infrastruktur, den Transportmitteln, der Strom- und Wasserversorgung sowie der Telekommunikation. Der vierte Ring war der Bevölkerung und allen aus ihr hervorgehenden Verteidigungsbemühungen wie der praktischen und moralischen Unterstützung der Streitkräfte gewidmet, und erst der äußerste, fünfte Ring blieb den operativen Einheiten des irakischen Militärs vorbehalten.

Nun wird der bald neun Jahre währende Krieg in Afghanistan auf ganz andere Weise geführt als der wenige Wochen währende Bombenkrieg gegen den Irak 1991, aber an der prinzipiellen Logik, Druck auf die Bevölkerung auszuüben, um sie entweder zur Kollaboration zu nötigen oder sie mit Gewaltmitteln von der Unterstützung des einheimischen Widerstands abzuhalten, hat sich nichts geändert. In Pakistan wie Afghanistan kommen bei der sogenannten Aufstandsbekämpfung immer wieder Zivilisten ums Leben, die zudem von den einheimischen Regierungstruppen und Sicherheitskräften nichts Gutes zu erwarten haben.

Man kann den US-General schon beim Wort nehmen, wenn er ankündigt, das "Leben aus dem Widerstand herausquetschen" zu wollen. Dazu sei militärische Gewalt "absolut notwendig, aber sie reicht allein nicht aus" [2]. Es bedarf auch der Geheimkriegführung der sogenannten gezielten Tötungen, die, wenn sie nicht durch Spezialkommandos erfolgen, mit Hilfe eines "kinetischen Schlags", also des Einsatzes von Distanzwaffen wie Raketen, durchgeführt werden. Daß diese Vorgehensweise auch bei der Bundeswehr zusehends Anklang findet, dokumentiert deren ausdrückliche Belobigung durch Petraeus. Der Kommandeur, den er in Baghlan besuchte, hat "das Konzept der Aufstandsbekämpfung begriffen", ohnehin hatten "Die Deutschen (...) schon immer den Ruf, sehr professionell vorzugehen, und so ist es bis heute" [4]. Auf welche Zeit hier angespielt wird, erfährt der Leser, als Diekmann von Petraeus wissen will, ob die "deutschen Soldaten das Handwerk des Krieges" beherrschen. Der US-General läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, auf eine Quelle seiner Inspiration zu verweisen, die bereits der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in höchsten Tönen lobte:

"Oh, absolut. Wissen Sie, wir haben Bücher über die deutschen Generäle gelesen, als ich noch studiert habe, wir sind damit groß geworden, und viele von uns sind große Bewunderer der deutschen Schlachtfeld-Helden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ich glaube, dass die guten Teile dieser Tradition bewahrt worden sind." [4]

Was also könnte es besseres geben, als diese glorreiche Tradition, deren angeblich gute Teile nicht minder dem Töten und Zerstören gewidmet sind als die schlechten, über die sich der US-General ausschweigt, für den Sieg in Afghanistan und weiteren Weltordnungskriegen wieder fruchtbar zu machen? Wenn Petraeus den angeblich positiven Patriotismus der Bild-Leser schürt, indem er die militaristische Tradition Deutschlands mit einer Eloge auf Reichswehr und Wehrmacht hochleben läßt, dann schreit das nach Ergebnissen. Bild läßt sich nicht lumpen und liefert tags drauf eine "Erfolgsmeldung aus Afghanistan!": "Bundeswehr fasst Taliban-Führer" [5]. Stolz wird am Ende des Berichts der Satz des US-Generals zur ungebrochenen Professionalität deutschen Kriegshandwerks zitiert. Für die in den Himmel kampferprobten Heldentums gehobenen Soldaten bleibt zu hoffen, daß der Titel des ersten Vorberichts zum Petraeus-Interview "Die Afghanen sollen ihr Land eines Tages selbst beschützen" [6] von diesen nicht falsch verstanden wird.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/18/afghanistan-besuch/bild-bei-general-pertraeus.html

[2] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/20/general-david-petraeus-afghanistan/interview-leben-aus-dem-widerstand-herausquetschen.html

[3] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/21/general-david-petraeus/hg/bild-erklaert-anaconda.html

[4] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/21/general-david-petraeus/interview-mit-afghanistan-oberbefehlshaber.html

[5] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/22/afghanistan-bundeswehr-nimmt-taliban-fuehrer/malauwi-roshan-aus-kunduz-fest.html

[6] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/18/afghanistan-besuch/bild-bei-general-pertraeus.html

22. September 2010