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PROPAGANDA/1417: "Support Our Troops" ... Soldatenschicksale im Durchhalte-Talk (SB)



Nachdem das boulevardeske Spektakel um den Frontbesuch des Ehepaars Guttenberg tagelang durch die Gazetten geisterte, war die Resonanz auf die von Sat.1 ausgestrahlte Sendung Kerner-Spezial bescheiden. Nicht mehr als durchschnittlich 1,01 Millionen Zuschauer wollten die erste im afghanischen Kriegsgebiet aufgezeichnete Talkshow sehen und bescherten ihrem Macher eine der niedrigsten Quoten dieses Sendeformats überhaupt. Ob das Desinteresse der Zuschauer der Vorankündigung Johannes B. Kerners, es gehe nicht um das "wahre Bild von Afghanistan", sondern den "Alltag der Soldaten", oder der Abwesenheit Stephanie zu Guttenbergs geschuldet war, in jedem Fall hat das Gros der Bevölkerung andere Sorgen, als daß sie die der Soldaten "im Einsatzgebiet" teilen wollte.

Das in der Sendung präsentierte Umfrageergebnis, laut dem 71 Prozent der Bundesbürger einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan befürworteten, schlägt sich kaum in aktiver Opposition gegen diesen Krieg nieder und deckt sich zudem nicht mit den hochgradigen Zustimmungswerten, die der Verteidigungsminister im Vergleich zu anderen Regierungsmitgliedern erhält. Nicht zu unterschätzen ist die massive Unterstützung, die Guttenberg von Europas größter Boulevardzeitung gewährt wird. Laut ZDF-Politbarometer befürworten fast zwei Drittel der Befragten die Teilnahme der Ministergattin am Afghanistanbesuch Guttenbergs, weniger als ein Drittel lehnen ihn ab. Auch von daher wurde der PR-Einsatz Kerners seiner Aufgabe, ein deutsches Äquivalent zu der in den USA von vielen Bürgern als patriotische Pflicht empfundenen Devise "Support Our Troops" anzuschieben, durchaus gerecht.

Dafür sorgte schon die sorgsame Inszenierung des Auftritts im Feldlager, wo Luxus ein Fremdwort und alles auf äußerste Funktionalität getrimmt ist. Auf einem Podest in einem Hangar des Militärflughafens Mazar-i-Sharif präsentierten sich der Verteidigungsminister und sein Moderator umringt von Soldatinnen und Soldaten, die, in Felduniform auf im Viereck ausgerichteten Stuhlreihen postiert, den Eindruck einer aus Menschen gebildeten Festung vermittelten. Der äußere Horizont der Szenerie wurde auf der offenen Fläche vor dem Hangar wie in der Halle selbst von Militärfahrzeugen und -hubschraubern bestimmt, so daß der häufig heranzitierte Einsatzcharakter des Geschehens auch das Ambiente der Talkshow bestimmte.

Von daher trifft der Begriff der Frontberichterstattung durchaus, auch wenn von Tod und Zerstörung nichts zu sehen war. Daß in Afghanistan Krieg geführt wird, wurde in den stimmungsvollen Berichten vom Leben in der Heimat und Sterben in der Fremde durchaus vermittelt. Die nicht anders als triviale Herzschmerzgeschichten aus dem Nachmittagsprogramm inszenierten Home Stories sparten nicht mit rührenden, musikalisch dramatisierten Momenten, so daß der Einbruch des Krieges ins ganz normale Familienglück um so bedrohlicher wirkte.

Besondere Authentizität gewannen die präsentierten Geschichten durch die persönliche Anwesenheit einiger ihrer Akteure in der Sendung. Mitten aus dem Soldatenleben gegriffen erstand ein Bild von Pflichterfüllung auch zum Preis des Verzichts auf familiäre Geborgenheit und zivilen Komfort, so daß sich die Frage, was die Soldaten dazu motiviert, in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel zu setzen, dem Zuschauer förmlich aufdrängte. Zwar wurde kurz erwähnt, daß einer der porträtierten Offiziere für drei Monate Auslandseinsatz zusätzlich zu seinem regulären Sold 9000 Euro Gefahrenzulage erhalte, doch war man weit davon entfernt einzugestehen, daß eine berufliche Karriere bei der Bundeswehr in schlechter werdenden Zeiten für nicht wenige schon aufgrund des Erhalts einer unkündbaren Festanstellung attraktiv ist. Über soziale Probleme in der Hartz-IV-Republik wird geschwiegen, weil der hochmoralische Tenor der Forderung nach "Solidarität mit den Soldaten" in krassem Widerspruch zu der Verachtung steht, die arme und gebrechliche Menschen hierzulande zu spüren bekommen.

Im Wechselspiel zwischen heimatlicher Idylle und gefährlichem Auslandseinsatz nahm die Forderung Guttenbergs, es müsse zuhause verstanden werden, was die Soldaten in Afghanistan leisteten, so daß ihnen "Verständnis, Anerkennung und Rückendeckung" zukämen, denn auch den Charakter eines Imperativs an, den nicht zu befolgen an einen staatsfeindlichen Akt grenzt. "Da muß sich in unserem Land einiges ändern", verlangte der Verteidigungsminister mit drohendem Unterton, nachdem er sich bitter über die Undankbarkeit, ja Verachtung beklagt hat, die verletzten Kriegsheimkehrern entgegenschlüge. Auch Kerner betonte, daß die Bundesbürger zu wenig über diesen "Einsatz" wüßten und Aufklärung daher dringend geboten sei.

Allein daran mangelte es in dieser "Sendung über Menschen", so der Moderator im Sat.1-Frühstücksfernsehen, auf eklatante Weise. Während sich die Begründung für die Anwesenheit der Bundeswehr in Afghanistan auf einige dürre Worte zu ihrer Mandatierung durch den Bundestag beschränkte, bediente man sich zur Darstellung der konkreten Situation des üblichen Bildes weißer Soldaten, die durch Indianerland patrouillieren. Das "Risiko im Kampf gegen den Terror ist groß", denn "der Feind ist hinterlistig", stellt der Kommentar aus dem Off fest, um den Bildern afghanischer Händler und Bauern, die ihren Verrichtungen nachgehen, einen sinistren Charakter zu verleihen, könnte sich doch hinter jedem von ihnen ein Terrorist verbergen. Auch die im Vergleich zur aggressiven Kriegsberichterstattung in den USA zurückhaltende Berichterstattung Kerners entkommt der kolonialistischen Suprematie nicht. Der scharfe Kontrast zwischen der wohlgeordneten Effizienz soldatischen Lagerdaseins und dem improvisierten Charakter afghanischer Überlebensstrategien kommt völlig ursachenbereinigt daher, so daß eine kulturalistische Deutung zumindest nahegelegt wird.

Bis auf einige wenige Blicke auf die einheimische Bevölkerung verbleibt Kerner-Spezial strikt im Rahmen ministerieller und soldatischer Selbstreflexion. Ganz so wie sich der Erfahrungshorizont nach Afghanistan entsandter Bundeswehrsoldaten auf das Leben im Feldlager beschränken kann, verbleibt der Zuschauer im Kreis einer militärischen Nabelschau, die zwischen wohldosiertem Selbstmitleid und Stolz auf professionelle Leistungsfähigkeit changiert. Lediglich beim Thema Posttraumatische Belastungsstörung hält ein kritischer Ton Einzug, werde doch nicht genug für die psychische Wiederherstellung traumatisierter Soldaten getan. Was immer die politischen Beweggründe deutscher Kriegführung betreffen könnte, wird so sorgsam ausgespart, daß der nicht mit Guttenbergs Kommandohöhensicht konform gehende Zuschauer den Eindruck erhält, das deutsche Kontingent der in Afghanistan kämpfenden Besatzungstruppen werde ganz im Gegensatz zum Anspruch des Ministers und seines Moderators systematisch von jeglicher Aufklärung abgehalten.

Das kann nicht weiter erstaunen, stimmen die jüngsten Nachrichten aus dem Kriegsgebiet doch alles andere als zuversichtlich hinsichtlich des angekündigten Abzugs der NATO ab 2014. So geht aus einer aktuellen Umfrage hervor, daß die Bundeswehr in ihrem nordafghanischen Einsatzgebiet noch nie so unbeliebt war wie zur Zeit. Während die Guttenbergs bei den Soldaten wie an der Heimatfront für gute Stimmung sorgten, gab das Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bekannt, daß die Lage der afghanischen Bevölkerung aufgrund zunehmender Kriegsversehrungen, inländischer Fluchtbewegungen und unzureichender medizinischer Versorgung dramatisch schlecht sei. Niemals zuvor in den letzten 30 Jahren wäre der Zugang für das IKRK und andere Hilfsorganisationen zu den Regionen des Landes so eingeschränkt gewesen wie heute. Man sei zutiefst besorgt darüber, daß sich die Ausweitung des Krieges, der dieses Jahr die blutigsten Ergebnisse seit dem Sturz der Taliban vor neun Jahren gezeitigt habe, im nächsten Jahr allem Anschein nach ungebrochen fortsetzen werde.

Belegt wird dieser Trend durch die im Vergleich zum Vorjahr stark angestiegene Zahl von Bomben- und Raketenangriffen der NATO, die im November 2010 mit 850 Einzeloperationen dreieinhalb Mal so häufig waren wie im Vergleichsmonat 2009. Hinzu kommen zahlreiche Kommandooperationen von Spezialstreitkräften vor allem der US-Streitkräfte, die meist des Nachts gegen Einheiten des afghanischen Widerstands vorgehen und dabei nicht selten Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen. Der NATO-Oberbefehlshaber General David Petraeus macht unmißverständlich klar, daß der geplante Abzugstermin im Jahr 2014 vor allem ein symbolisches Datum darstellt, da ersteinmal die Ausweitung der Bekämpfung der "Aufständischen" anstehe. Explizit auf ein unverrückbares Abzugsdatum festlegen will sich auch der deutsche Verteidigungsminister nicht, so daß die Durchhalteparolen hinter dem Menscheln Kerners und dem "Herzen", dessen Unverzichtbarkeit in Kriegsangelegenheiten Guttenberg ein ums andere mal betont, nicht zu überhören sind.

Die Fortsetzung der Guttenberg-Show am Hindukusch war nicht so unterhaltsam wie der gemeinsame Auftritt des Ehepaars und gibt weniger Anlaß zu öffentlicher Debatte. In ihrer Mischung aus Militainment, Truppenbetreuung und Seelensprechstunde war die erste Talkshow aus dem Kriegsgebiet folgerichtiges Produkt eines Medienapparats, dem die Durchsetzung von Kapitalinteressen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß die beiden zehnminütigen Werbeblöcke wie absichtlich eingefügte Belege für die kausale Verbindung zwischen afghanischem Elend und deutschem Wohlleben wirken. Die Ausblendung aller Fragen und Positionen, die auf konträre Weise Erkenntnisgewinn erbringen könnten, und der emphatische Impetus der Reportagen veraten die Handschrift einer wohlorchestrierten Regie, die wie die vorgestellten Soldaten auf Patrouille nichts dem Zufall überläßt und stets auf Heckenschützen und Sprengfallen vorbereitet ist. Als ein Format für den Ausnahmezustand des Krieges hat diese Ausgabe von "Kerner" zukunftsweisenden Charakter - wie der am Beispiel WikiLeaks ausgebrochene Kampf um die Freiheit der Information ahnen läßt, beherrschte bei umfassender Zensur elektronischer Kommunikation unter dem Vorwand der Sicherheitsgefährdung, wie er im gesetzlich vorgesehenen Staatsnotstand durchaus möglich wäre, ein Propagandaapparat das Feld, der es versteht, die Zustimmung der Bevölkerung zur eigenen Entmündigung zu erlangen.

17. Dezember 2010