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PROPAGANDA/1421: "Das Volk" will Guttenberg - Die Moral der Ermächtigung (SB)



Die anhaltende Popularität des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg zeigt, daß die insbesondere von den Unionsparteien in Anspruch genommene bürgerliche Moral ununterscheidbar von der in Anspruch genommenen Macht ist, die Gesellschaft nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Nimmt man diesen Wertekodex, wie im Falle der Plagiatsaffäre, beim Wort, dann fühlt sich die moralische Mehrheit, genannt "das Volk", aufs gemeinste verkannt und verfolgt. Man will ihm seinen Helden nehmen, dessen Glanz um so heller strahlt, als er für einen vermeintlichen "Fehler" aus seinem Amt gedrängt wird. Wie kann man einen so fähigen Politiker nur aufgrund einer läßlichen Sünde demontieren, wird voller Empörung gefragt, um Verschwörungstheorien gegen den linken Ungeist zu spinnen. "Wir lassen uns aus der Partei der Steinewerfer, aus der Partei der Stasi-Kommunisten nicht Anstand und Moral vorhalten", tönt CSU-Chef Horst Seehofer am politischen Aschermittwoch und erntet begeisterten Zuspruch von dem in seiner Seele zutiefst verstandenen Parteivolk.

Selbst wenn Guttenberg ein vorsätzlicher Betrug nachgewiesen würde, wäre die Bereitschaft seiner Anhänger ungebrochen, dies als minderes Vergehen, wie es sich so viele Menschen täglich leisten, und vernachlässigenswerten Faux Pas, der gerade in besseren Kreisen gang und gäbe ist, zu entschuldigen. Die Vermutung, das Rechtsstaatgedröhne schwarzer Law & Order-Prediger schlage sich eins zu eins in rechtschaffener Lebenspraxis nieder, war schon immer irreführend, wie etwa das Beispiel des rechtskräftig wegen Untreue verurteilten ehemaligen Bundesinnnenministers Manfred Kanther belegt. Macht und Moral sind für seinesgleichen kein Widerspruch, sondern zwei Seiten eines Machiavellismus, der den Einsatz fast jedes Mittels rechtfertigt, wenn er nur dem Wohl der Nation und des Volkes diene. Schurkenstaaten sind woanders, hierzulande herrschen Recht und Ordnung auch dann, wenn Gesetze in ihrem Namen gebrochen werden.

Die innere Logik dieses scheinbaren Widerspruchs ist die der Ermächtigung zu unbedingter Herrschaft. Im englischen Sprachgebrauch auf die saloppe Formel "might makes right" gebracht erweist sich die Moral des Rechts als Vorrecht des Stärkeren auf Definitionsgewalt insbesondere dann, wenn diese in Frage gestellt wird. Nehmen die Kritiker Guttenbergs seine Verfehlung zum Anlaß, seine Integrität als Politiker zu bezweifeln, dann wird in einer Republik, in der Sozialrassismus den Ton öffentlicher Debatten angibt, die angebliche Hegemonie der Alt-68er beklagt. Daß diese als Sachwalter des kapitalistischen Wettbewerbsstaats ganz auf der Seite derjenigen stehen, die diese Bezichtigung in die Welt setzen, wie etwa die Genossen des Revolutionären Kampfes Thomas Schmid, Herausgeber der "Welt"-Gruppe des Springer-Verlags, und Joseph Fischer, ehemaliger Außenminister und umtriebiger Wirtschaftslobbyist, belegen, ist nur ein Beispiel dafür, daß die herrschende Moral stets die Moral der Herrschenden ist.

So hält es der neokonservative Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz für einen Fehlschluß, daß die Vertreter einer Partei, die für bürgerliche Werte eintritt, "perfekte Menschen" sein müßten. Das hat niemand von Guttenberg verlangt, doch hängt man die Schwelle der Moral praktischerweise so hoch wie möglich, um sie so unbeschadet wie nötig unterschreiten zu können. Schließlich verkörperten auch die Kirchenvertreter nicht die christlichen Werte, für die sie von Amts wegen einstehen, erklärt Bolz im Deutschlandfunk [1] den vermeintlichen Aberwitz, von den Sprachrohren der Herrschenden zu erwarten, daß sie das Wasser, das sie predigen, auch trinken. Dabei ist schon dem Neuen Testament zu entnehmen, daß die christlichen Ideale, auf denen die Werte der von Seehofer und Guttenberg in Anspruch genommene Leitkultur beruhen, in ihr bigottes Gegenteil umschlagen, sobald sie ihrer sozialrevolutionären Praxis enthoben werden.

Wenn Bolz also behauptet, es wäre "naiv", gerade von unter erheblichem "Machtdruck" stehenden Politikern zu erwarten, daß sie "Idealtypen der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit" seien, dann verkauft er sein Publikum für dumm, indem er ihm abverlangt zu glauben, die Moral der kapitalistischen Eigentumsordnung sei nicht die bare Münze, mit der die legalistische Bemäntelung räuberischer Praktiken bezahlt wird. Vollends zur Realsatire wird die Dissoziation von machtpolitischem Sein und moralischem Schein, wenn Bolz sich über den "gigantischen Akt von Heuchelei" ereifert, der darin bestände, daß Guttenbergs Betrug von seinen Gegnern "instrumentalisiert" werde.

So will er einen "Riesenunterschied" darin erkennen, ob Amtsträger wie Guttenberg "verwerflich in ihrem Privatleben handeln und gleichzeitig vielleicht ein souveräner hervorragender Politiker sind, oder ob sie politisch betrügen". Dieser Betrug verdient mithin jede moralische Verdammung, weil "das Volk" - "Stichwort Ypsilanti" - zu seinem Schaden an der Nase herumgeführt wird, während jener "private" Betrug lediglich zum operativen Arsenal in dem von "Machtorientierung" geprägten Geschäft der Politik gehört. Um so folgerichtiger erscheint es Bolz, daß Guttenberg trotz alledem so populär ist: "Die Leute können unterscheiden zwischen dem moralischen Sachverhalt, der desaströs ist, da gibt es gar keinen Zweifel, und auf der anderen Seite der politischen Ausstrahlung der Figur Guttenberg, die meines Erachtens singulär ist in Nachkriegsdeutschland."

Es fügt sich zusammen, was zusammen gehört - als Regierungsmitglied zu täuschen und zu trügen ist ein Leistungsmerkmal, das zu Höherem befähigt. Gerade weil der links verortete politische Gegner aus dem Plagiieren einer Doktorarbeit - bloßes Ornament hochwohlgeborener Distinktion, das seinesgleichen eigentlich obligatorisch zuerkannt werden müßte - eine Staatsaffäre macht, soll mit der Rückkehr Guttenbergs in höchste Ämter der Beweis angetreten werden, daß politische Handlungsgewalt vor allem aus praktischer Machtfülle und nur pro forma auf demokratischer Legitimation resultiert. Daß die Dissertation "Verfassung und Verfassungsvertrag" den verbindlichen Charakter konstitutioneller Grundlagen zugunsten der Freizügigkeit politischer Handlungsgewalt relativiert und damit dem Primat dezisionistischer Willkür zuarbeitet, darf als besondere Würze in dieser Scharade um Macht und Moral genossen werden.

Fußnote:

[1] Deutschlandfunk, Kontrovers, 07.03.2011



9. März 2011