Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1429: Wenn diskriminierte Minderheiten den Geschmack der Macht kosten ... (SB)



Wo das kämpferische Eintreten für die Rechte von Lesben, Schwulen oder andere vom heteronormativen Mainstream abweichende Menschen militärisch ausgetragen wird, da mutieren emanzipatorische Anliegen in ihr imperialistisches Gegenteil. So erfreute sich der Afghanistankrieg der öffentlichen Unterstützung prominenter Mitglieder der LBGT-Community in den USA. Sie meinten, in diesem Feldzug werde auch etwas gegen ihre Diskriminierung getan, und erkannten in der "Vorwärtsverteidigung der Freiheit" die Fortsetzung des Kampfes um Gleichberechtigen im eigenen Land. Das kann nicht weiter erstaunen, schließlich wird Deutschland am Hindukusch gegen den Terrorismus verteidigt, obwohl dies nicht gerade zur positiven Einstellung der betroffenen AfghanInnen gegenüber der Bundesrepublik beiträgt. Westliche Libertinage gegen östlichen Sittenfundamentalismus ist das Leitmotiv eines Nebenschauplatzes des Clash of Civilizations, auf dem die Rechte diskriminierter Minderheiten auch zum Preis des Todes an diesem Konflikt völlig unbeteiligter Zivilisten durchgesetzt werden sollen.

Wenn der westliche Werteuniversalismus dann in Ländern wie dem Irak oder Libyen dazu führt, daß im regionalen Vergleich vorbildlich verwirklichte Frauenrechte auf der Strecke bleiben, fällt das Thema einfach wieder unter den Tisch. Das hat Tradition, schließlich hat die US-Regierung mit der Unterstützung der antikommunistischen Mujahedin gegen die von der Sowjetunion unterstützte Regierung Afghanistans den Aufbruch dieser Gesellschaft in die Moderne torpediert, ohne daß ihr dies zu Last gelegt wurde, als der jüngste Afghanistankrieg unter anderem mit der Befreiung afghanischer Frauen vom patriarchalischen Joch legitimiert wurde.

Inzwischen häufen sich die Vorfälle, bei denen das Schicksal im islamischen Kulturkreis unterdrückter Schwulen und Lesben auf eine Weise instrumentalisiert wird, die dem Anliegen ihrer gesellschaftlichen Gleichberechtigung eher nicht förderlich sein dürfte. Die lesbische Bloggerin Amina Arraf aus Syrien erwies sich als Kunstprodukt eines schottischen Studenten, der nur deshalb aufflog, weil er die angebliche Verhaftung seines virtuellen Alter Ego inszenierte. Wie in einem Blog auf der Webseite der New York Times [1] und in der israelischen Tageszeitung Haaretz [2] berichtet wurde, entpuppte sich der angebliche Schwulenaktivist Marc Pax als der israelischer Schauspieler und PR-Experte Omer Gershon. Marc/Omer behauptet in einem auf You Tube [3] geposteten Video, er habe seinen politischen Aktivismus auf andere Felder ausdehnen wollen und sich für eine Beteiligung an der Free-Gaza-Bewegung interessiert. Dort sei er aus offensichtlich homophoben Gründen nicht willkommen gewesen, solidarisiere sich die Free-Gaza-Bewegung doch nicht nur mit der islamistischen schwulenfeindlichen Hamas, sondern werfe sich dieser regelrecht an den Hals.

Diverse Hinweise auf eine Beteiligung der israelischen Regierung an der Verbreitung dieses professionell produzierten Fakes legen nahe, daß es sich um das Erzeugnis einer Kampagne handelt, deren Ziel die Delegitimierung der Free-Gaza-Bewegung ist. Über die in allen Kriegen übliche propagandistische Irreführung hinaus belegt dieses Vorgehen, daß die Errungenschaften westlicher Liberalität bedenkenlos auf dem Altar einer Kriegführung geopfert werden, die eben nicht nur patriarchalische Schwulenhasser trifft, sondern auch die in mehrheitlich islamischen Gesellschaften lebenden Schwulen und Lesben. Wie auch immer ihre Situation dort im einzelnen beschaffen sein mag, so werden mit emanzipatorischen Idealen geschmückte Sturmtruppen wie die der israelischen Streitkräfte nicht dazu führen, daß sich diese in ihrem Sinne verbessert.

Zudem stellt die Aussage eines Schwulenaktivisten, sich für kein humanitäres Anliegen starkmachen zu können, von dem auch notorische Schwulenhasser profitieren könnten, die engbegrenzte Reichweite jedes identitären Aktivismus heraus. Die große Schwäche der Linken, in zahlreiche identitätspolitische Lager und Kampagnen zerfallen zu sein, schlägt im Eintreten bekennender Lesben und Schwulen für imperialistische Kriege in die unsolidarische Stärke einer Überlebensorientierung um, die stets zu Lasten des anderen geht. So wird absichtsvoll vergessen, daß Ausbeutung und Unterdrückung bei den davon Betroffenen autoritäre und regressive Tendenzen hervorbringen können, die am Ende ununterscheidbar machen, ob die moralische Rigidität einer Gesellschaft religiös tradiert oder reaktiv forciert zustandegekommen ist.

Es nützt daher wenig zu bekräftigen, daß sich an Bord der Schiffe der Free-Gaza-Flottille auch Mitglieder der LBGT-Community befinden oder daß die Free-Gaza-Bewegung mit der Hamas nur insofern zu tun hat, als diese die Regierung in Gaza stellt. Sollte Marc/Omer, der in seinem Video kein Wort darüber verliert, warum er sich für die Free-Gaza-Initiative interessiert, entgegengehalten werden, daß die Freiheit der LBGT-Community in Israel die Unfreiheit der Palästinenser voraussetzt? Er dürfte dies durchaus gutheißen, befürworten doch viele Menschen mit liberalem Selbstverständnis die Vormachtstellung eines Staates, dem die Benachteiligung seiner palästinensischen Bürger, die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung, die in den von ihm besetzten Gebieten lebt, und die Repression sich für diese einsetzender JüdInnen so selbstverständlich ist wie das Bekenntnis zu einer demokratischen und egalitären Gesellschaftsordnung.

Fußnoten:

[1] http://thelede.blogs.nytimes.com/2011/06/27/israeli-video-blog-exposed-as-a-hoax/

[2] http://www.haaretz.com/misc/article-print-page/did-netanyahu-s-office-distribute-a-fake-video-against-gaza-flotilla-1.370030?trailingPath=2.169%2C2.246%2C2.247%2C

[3] http://www.youtube.com/watch?v=vhmBbGFJleU&feature=player_detailpage

29. Juni 2011