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PROPAGANDA/1432: Massaker in Norwegen ... die blutige Saat des Sozialrassismus geht auf (SB)



Man macht es sich zu einfach, den mutmaßlichen Attentäter Anders Behring Breivik für verrückt zu erklären. Insbesondere seit dem Auftauchen eines kurz vor den Anschlägen im Internet versandten umfangreichen Schriftstücks Breiviks wird diese Auslegung seiner Tatmotive propagiert. Dabei haben sich zwei Feindbilder seit dem Bombenanschlag in Oslo und dem Massaker auf der Ferieninsel Utøya als zentrale Achsen seines Hasses herauskristallisiert: Islam und Marxismus prangert Breivik als Bedrohung der europäischen Kultur an. Schon in älteren im Internet verfügbaren Texten läßt er an seinem feindseligen und aggressiven Verhältnis gegenüber Muslimen und Linken keinen Zweifel, er stellt sich als Bewunderer des niederländischen Rechtspolitikers Geert Wilders dar und hat versucht, Kontakte zur rechtsnantionalistischen English Defence League (EDL) zu knüpfen. Weiteren Hinweisen, die Breiviks Verortung im Lager der islamfeindlichen Rechten belegen, wird derzeit nachgegangen, so daß an der spezifischen ideologischen Motivlage des Attentäters kaum ein Zweifel bestehen kann.

Wenn also die Welt am Sonntag heute kommentiert: "(...) bestätigt sich sein rechtsnationalistisches, christlich-fundamentalistisches und antimuslimisches Weltbild als Motiv für seine Untaten, lässt dies in jedem Fall eine neue Dimension terroristischer Bedrohung aufscheinen, mit der bisher kaum jemand gerechnet hat", dann gibt sich das Flaggschiff des Axel-Springer-Verlags aus gutem Grund blauäugig. Was dessen Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner in seinem Meinungsbeitrag auf Welt Online "Der Westen und das höhnische Lachen der Islamisten" [1] zum Besten gegeben hat, ist eine neokonservative Kampfansage von einschlägig islamfeindlicher Art. Wenn man populistisch zündelt, und das tut er und von seinen Blättern gehätschelte Sozialrassisten wie Thilo Sarrazin, wenn man Angriffskriege gegen mehrheitlich islamische Ländern zum Schutz westlicher Zivilisation gutheißt, dann bleibt nicht aus, daß die Geister, die man rief, in Form eines Attentäters wie Breivik in Erscheinung treten können.

Das in der bürgerlichen Presse nicht nur aus dramaturgischer Effekthascherei, sondern blankem Unverständnis zum Ausdruck gebrachte Erstaunen, wie inmitten einer friedlichen Urlaubsidylle in einem wohlhabenden Land ein Massaker an den Mitgliedern der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Regierungspartei Arbeiderpartiet begangen werden kann, entspricht der Gleichgültigkeit, mit der fast tägliche Massaker im Irak als Kollateralschäden eines im Grundsatz gerechten Eroberungskrieges hingenommen wurden. Was gemeinhin dem "islamistischen Terrorismus" Al Qaidas oder anderer Organisationen zugeschrieben wird, ist im Ergebnis sich gegenseitig attackierender Fraktionen und Konfessionen in mit Kriegen westlicher Staaten überzogenen Ländern ebensosehr ein Produkt imperialistischer Aggression, wie der Haß eines Breivik auf linke Antimilitaristen und muslimische Gläubige mittelbare Folge eines globalen Hegemonialstrebens ist, auf das die Länder des HighTech-Kapitalismus - aus Gründen der Ressourcensicherung wie der globaladministrativen Ordnungspolitik - nicht verzichten wollen.

Das Schüren eines sich am Islam entzündenden Sozialrassismus, der generell alle angeblich unproduktiven Menschen für die Misere kapitalistischer Wohlstandsgesellschaften verantwortlich macht, geht Hand in Hand mit sozalfeindlicher Politik, mit neokonservativem Elitismus und angeblich humanitärem Interventionismus. So hat das bewährte Feindbild des Terrorkriegs, den der ehemalige US-Präsident George W. Bush mit einer Kreuzrittermentalität führte, die auch Breivik für sich in Anspruch nimmt [2], bewirkt, daß nach Bekanntwerden der Anschläge am Freitag zuerst islamistische Gruppen als wahrscheinliche Täter genannt wurden. In der Bundesrepublik schwadronieren führende Unionspolitiker bereits von einem neuen "Linksterrorismus" und richten das Schwert des Antiextremismus mit totalitarismustheoretischer Diffamierung gegen links, um aus dem EU-Sparregime erwachsenden Sozialkämpfen mit repressiver Hochrüstung zuvorzukommen. An die 140 Mordopfer rechter Gewalt seit dem Anschluß der DDR werden schamhaft auf unter 50 heruntergerechnet, wie Ulla Jelpke in der jungen Welt nur einen Tag vor dem Massaker in Norwegen dokumentierte [3], um die sozialrassistische Stigmatisierungsstrategie der bürgerlichen Parteien inklusive der SPD gegen den Vorwurf des Schürens rechter Gewalt zu verteidigen.

Nun, wo sich zeigt, daß Volksdemagogen vom Schlage Wilders und Sarrazin mit hochexplosivem Sprengstoff hantieren, gibt es Bestrebungen, den Täter, der dafür den Beweis liefert, für krank oder gar unzurechnungsfähig zu erklären. Das ist um so abwegiger, als der Attentäter seine Mordserie nicht nur langfristig und akribisch geplant, sondern ihre Nachwirkungen mit einer systematisch ausgeführten PR-Strategie antizipiert hat. Die von ihm nur wenige Tage bis Stunden vor Ausführung seines Plans im Internet gelegten Spuren und präsentierten Bekenntnisse sprechen ebenso für rational-absichtsvolles Handeln wie der Verzicht darauf, sich selbst zu richten. Stattdessen scheint Breivik sich nun als Missionar in eigener Sache zu inszenieren, wie die Ankündigung seines Anwalts, sein Mandant wünsche keinesfalls den Ausschluß der Öffentlichkeit bei seinem Hafttermin am Montag, und seine gegenüber der Polizei abgegebenen Erklärung, nun beginne die "Propagandaphase", belegen.

Die von Breivik in Anspruch genommene Logik, seine Tat sei "grausam, aber notwendig" gewesen, weist Züge einer faschistischen Vollzugsdoktrin auf, die Massenvernichtung mit alternativlosen Sachzwängen begründet. Wenn in Afghanistan und Libyen die angebliche Befreiung einer Bevölkerung von menschenfeindlichen Regimes mit menschenfeindlichen Mitteln betrieben wird, wenn die neoliberale Kahlschlaglogik der "kreativen Zerstörung" Millionen ins Elend treibt, dann wird auch dabei vernünftiges politisches Handeln geltend gemacht. Breiviks Anspruch, mit besonders großer Brutalität und Grausamkeit besonders viel Wirkung zu erzielen, ist so wirr und irrational, wie viele Kommentatoren heute meinen, nicht. Es ist das Selbstverständnis des Herrenmenschen, der die Durchsetzung seiner Interessen zu Lasten angeblich minderwertiger Menschen, denen das Existenzrecht ad hoc abgesprochen wird, vollzieht. Daß Breivik sich als Märtyrer verstehen mag, widerspricht der in Anspruch genommenen weißen Suprematie nicht. ZahlreicheMenschen sterben einfach deshalb, weil sie im falschen Land mit den falschen Eltern geboren werden. Die Empathie, mit der dem massenhaften Hungertod zugeschaut wird, kann gar nicht groß genug sein, als daß die von diesem Elend verschont Bleibenden das konstitutive Gewaltverhältnis vergäßen, das die Welt in Zonen existentieller Not und komfortablen Wohlstands einteilt. Dem Attentäter scheint die Aufrechterhaltung einer sozial selektiven, von westlichen Kulturkämpfern wie Samuel Huntington mit "blutigen Grenzen" markierten Weltordnung so wichtig zu sein, daß er das Leben zahlreicher Menschen wie seine eigene Zukunft dafür in die Wagschale wirft.

Ganz ohne Blessuren an ihrer Selbstgerechtigkeit zu nehmen werden die notorischen Antikommunisten und Islamfeinde wohl nicht davonkommen. Um so intensiver werden sie Tat des rechten Rassisten zum Ausbau des autoritären Sicherheitsstaates nutzen. Die im Verhältnis zur Grausamkeit der Gewalttat Breiviks eher zurückhaltende Verwendung des Begriffs "Terrorismus" läßt ahnen, wo die wirklichen Feinde von Freiheit und Demokratie verortet werden. Um gewalttätigen Neonazis keinen Anlaß zu bieten, müssen linksradikale AktivistInnen und muslimische Gläubige strikter an die Kandare genommen werden, wäre ein Argument der stetig weiter nach Rechts driftenden politischen Mitte, die diesen Kurs mit der Einbindung rechter antimuslimischer Gesinnungen begründet.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/debatte/article11148187/Der-Westen-und-das-hoehnische-Lachen-der-Islamisten.html

[2] http://www.veoh.com/watch/v21123164bZCBQeZ8

[3] http://www.jungewelt.de/2011/07-21/023.php

24. Juli 2011