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PROPAGANDA/1461: Im Trüben fischen - Wahl in der Ukraine delegitimieren (SB)




Nachdem die Parlamentswahlen in der Ukraine nicht mit dem westlicherseits erhofften Regimewechsel Tür und Tor zur Einverleibung dieses rohstoffreichen und geostrategisch bedeutsamen Vorpostens an der Haustür Rußlands beschert haben, werden ersatzweise die Propagandakanonen abgefeuert. Daß man ein Wahlergebnis nur dann akzeptiert, wenn es zum gewünschten Resultat führt, spricht natürlich niemand unverblümt aus. Deshalb zweifelt man ersatzweise, doch dafür um so vehementer die Legitimität des Urnengangs an. Wenngleich nicht von der Hand zu weisen ist, daß Viktor Janukowitsch und die Partei der Regionen nachgeholfen haben, um erneut als stärkste Kraft im Parlament vertreten zu sein, gibt es für die unterstellte Verkehrung des Wählerwillens offensichtlich keine stichhaltigen Belege. Die 3.700 internationalen Beobachter gaben sich zwar alle Mühe, den Nachweis massiver Manipulationen zu führen, doch herausgekommen ist dabei eine eher bescheidene Sammlung, die mit Spekulationen, Behauptungen und Verdächtigungen überfrachtet wird.

Wenn die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unfaire Bedingungen im Wahlkampf kritisieren und die Abstimmung am Sonntag im Vergleich zu Urnengängen in der Vergangenheit als Rückschritt bezeichnen, mutet dieses Fazit wie ein Mantra der Bezichtigung mangels hieb- und stichfester Fakten an. Die Koordinatorin der OSZE-Beobachter mit dem schönen Namen Walburga Habsburg Douglas bilanziert eine Umkehrung der Demokratisierung, weil Geld eine "exzessive Rolle" bei der Wahl gespielt habe - ein Schelm, wem dabei der US-Präsidentschaftswahlkampf in den Sinn kommt. Der Wahltag selbst sei zwar friedlich verlaufen, doch habe es die Auszählung an Transparenz fehlen lassen. Wichtige Versammlungen der Wahlorganisatoren seien nicht zugänglich gewesen, den öffentlichen Terminen habe es an Substanz gefehlt. Parteien hätten staatliche Mittel für Wahlkampfzwecke mißbraucht, die Parteienfinanzierung sei intransparent und die Berichterstattung der Medien über die verschiedenen Parteien unausgewogen gewesen. [1]

Wer angesichts dieser schwammigen Bewertung nach handgreiflicheren Einzelheiten fragt, geht leer aus. Viola von Cramon-Taubadel (Bündnis 90/Die Grünen), die als Wahlbeobachterin im ostukrainischen Donezk vor Ort war, räumt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk ein [2], daß es nicht zu "großen auffälligen Manipulationen" gekommen sei. Es hätten jedoch die "traditionellen Manipulationsmuster" vorgeherrscht, die man "aus den Postsowjetstaaten" kenne. Vieles, was man gehört habe, sei nicht glaubwürdig gewesen, und man habe bei der Auszählung "ganz interessante Erfahrungen gemacht" und "einige interessante Anekdoten" mitbekommen. Auf die Frage, ob man "erhebliche Zweifel an dem Gesamtverfahren" haben müsse, erwidert von Cramon-Taubadel: "Ja, das kann man auf jeden Fall. Alle Wahlbeobachter sind im Vorfeld davon ausgegangen, dass es kaum zu wirklich fairen und freien Wahlen kommen kann."

Nachdem die grüne Bundestagsabgeordnete recht brachial die Vorhersage der westlichen Wahlbeobachter mit der nicht gerade faktengestützten Bilanz des Wahlverlaufs in eins gesetzt hat, verleiht sie ihrer Sorge Ausdruck: "Wir haben eine hohe Zunahme der Kommunisten, eine stark antieuropäische Partei, wir haben eine hohe Zunahme der sogenannten Svoboda. Sie nennen sich All-Ukrainische Partei, sie sind aber eine galizische, eine regionale Partei mit einem ganz unschönen nationalistischen Image." Davon abgesehen, daß das Unschöne an Svoboda doch wohl eher deren rechtsradikale Positionen sind, wirft die Grünen-Politikerin nach dem sattsam bekannten Verfahren Linke und Rechte in einen Topf, den sie mit dem Deckel antieuropäischer Gesinnung schließt. Die Konsequenzen lägen auf der Hand: Man müsse die Parteien und Personen stärken, die sich für einen klar europäischen Kurs aussprechen und die Ukraine ernsthaft an die EU anbinden.

Daß man die Ukraine nicht "fallen lassen oder isolieren" dürfe und deshalb den Assoziierungsvertrag unterzeichnen solle, meint auch der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel (SPD), Wahlbeobachter der deutschen NGO European Exchange. Man könne einen Wahlprozeß nicht fair nennen, wenn die Oppositionsführer im Gefängnis sitzen, nimmt er gegenüber dem Deutschlandfunk sein Fazit vorweg. [3] Julia Timoschenko, die die Orange Revolution als Freibrief zur Bereicherung der Eliten zunächst erfolgreich umgesetzt hat, dann aber doch zur Rechenschaft gezogen wurde, zur Ikone demokratischer Opposition hochzustilisieren, ist als Bezichtigungsmuster hinlänglich bekannt. Was jedoch die Behandlung der zivilgesellschaftlichen Beobachter betrifft, kommt Meckel fast ins Schwärmen: "Die Regierung hat uns als Beobachter hervorragend betreut und mit hervorragenden transparenten Mitteln ausgestattet, weil sie natürlich ausgesprochen daran interessiert ist, dass sie das Ergebnis bekommt, dass alles fair und gut gelaufen ist. Man fühlt sich hervorragend behandelt in dieser Frage. Vor Ort ist es auch meist so gewesen, dass man alles sehen konnte." Was folgt daraus? "Wir sollten an dem Land dran bleiben, aber gleichzeitig auch die Dinge, die hier schief laufen - und da läuft viel schief -, deutlich kritisieren", zieht auch Markus Meckel eine Ukraine im Schwitzkasten der EU einer allzu harschen Abstrafung mit ungewissem Ausgang vor.

Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, mimt hingegen den harten Hund. Im Interview mit dem Deutschlandfunk [4] spricht er sich gegen ein Inkrafttreten des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine aus: "Wir sollten jetzt nicht sofort in einen Belobigungszustand hineinfallen". Gefragt nach dem Lakmustest, als den die EU und Außenminister Guido Westerwelle die Wahl in der Ukraine vorab bezeichnet hatten, lautet seine Antwort "durchgefallen". Die Ukraine dürfe "nicht Russland wieder anheimfallen", denn es gebe "ein hohes strategisches Interesse, das wir alle haben. Die Ukraine ist ein außerordentlich wichtiges Land." Die OSZE habe durch ihre Wahlbeobachtung in der Ukraine "einen glänzenden Job gemacht" und eine sehr kritische Position eingenommen, denn was sich dort vollziehe, laufe "auf Putinisierung des Landes hinaus".

Wer soll den Karren aus dem Dreck ziehen? Schwergewichtsweltmeister Vitali Klitschko spannt die Muskeln an, um die Opposition zu einen. "Unser gemeinsames Ziel ist es, die Ukraine in einen modernen demokratischen und gerechten Staat zu verwandeln", hieß es in der auf Klitschkos Seite veröffentlichen Mitteilung. Dazu gehöre neben einer angestrebten Ablösung von Staatschef Janukowitsch auch der Kampf um die Freilassung politischer Gefangener. "Wir werden nur mit demokratischen Kräften zusammenarbeiten", behauptete Klitschko nach der Wahl. Ziel seien europäische Standards für sein Land. [5] Was genau er damit meint, läßt sich erahnen, wenn er im Gespräch mit der Zeit [6] Winston Churchill, Konrad Adenauer, Joschka Fischer und Bill Clinton zu seinen Vorbildern erklärt, die ihn inspiriert hätten. Einziger Bündnispartner von Klitschkos Partei Udar (Schlag) in der zutiefst gespaltenen Opposition war bislang ausgerechnet Svoboda, die auf dem Weg von einer rechtsnationalistischen zu einer neofaschistischen Partei sein dürfte.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-10/osze-ukraine-wahl

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1905971/

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1906585/

[4] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1907155/

[5] http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1306441/Ukraine_Janukowitsch-holt-Sieg-bei-Parlamentswahl?_vl_backlink=/home/index.do

[6] http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-10/klitschko-wahl-ukraine-manipulation/seite-1

30. Oktober 2012