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PROPAGANDA/1476: Freiheit über alles ... deutscher Demokratismus in der Ukraine (SB)




Nicht mehr ganz so begeistert über die Proteste gegen die Regierung der Ukraine zeigt sich die Bundesregierung nach den schweren Auseinandersetzungen in Kiew am Sonnabend. Sie verurteile jede Gewalt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, nicht ohne die Schuld an den Kämpfen der Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch anzulasten. Sie habe den Boden für die Ausschreitungen mit ihren im Eilverfahren durchgesetzten antidemokratischen Gesetzen bereitet [1] und solle daher in Dialog mit der Opposition treten. Daß es sich bei diesem Akt um ein staatsautoritäres Vorgehen handelt, steht außer Zweifel. Doch befindet sich die Bundesregierung mit ihrer Einmischung in die innere Entwicklung der Ukraine und ihren Solidaritätsadressen an die Opposition tatsächlich in der Position, Forderungen an die Regierung eines Landes zu stellen, deren Sturz sie kaum verhohlen betreibt?

Als europäische Führungsmacht, die alle Anstrengungen unternahm, Janukowitsch zur Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens zu nötigen, obwohl dies nachteilige soziale Folgen für die ukrainische Bevölkerung hätte, betreibt die Bundesregierung schlichte Machtpolitik. Der Versuch, den Einfluß der EU auf die Ukraine zu vertiefen, geht zu Lasten Rußlands. In diesem geostrategischen Interessenkonflikt sind alle Beteiligten nationalstaatlichen Hegemonialambitionen verpflichtet. Die Möglichkeit, die ukrainische Bevölkerung selbst über ihre Zukunft entscheiden zu lassen, was allem Anschein nach nicht auf die Anbahnung eines EU-Beitritts hinausliefe, scheint in dieser Auseinandersetzung keine Option zu sein.

Es handelt sich mithin um kühl kalkulierte Einflußnahme, wenn deutsche Regierungsbeamte und Politikberater behaupten, man wolle in der Ukraine die Zivilgesellschaft für Freiheit und Demokratie stärken. Wenn deutsche Minister wie Guido Westerwelle und Parteichefs wie Cem Özdemir im Schlepptau des von einer Vorfeldorganisation deutscher Hegemonie aufgebauten Oppositionspolitikers Vitali Klitschko auf dem sogenannten "Euro-Majdan" in Kiew den bunt-revolutionären Staffelstab weiterreichen, dann ist leicht ersichtlich, daß es sich um eine weitere jener spektakulären Inszenierungen eines vermeintlich demokratischen Aufstands handelt, an dem die Handschrift deutscher Ostexpansion unverkennbar ist.

Schon im Vorfeld der Entscheidung, das EU-Assoziierungsabkommen auf Eis zu legen, wurde mit der Forderung, die wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung zu einer Haftstrafe verurteilte Julia Timoschenko zur ärztlichen Behandlung nach Deutschland reisen zu lassen, massiver Druck auf die ukrainische Regierung ausgeübt. Die parlamentarische Zustimmung, von der Präsident Janukowitsch ihre Ausreise abhängig gemacht hatte, scheiterte. Der in Stellungnahmen deutscher Politiker und den Kommentaren hiesiger Medien erweckte Eindruck, bei der aufgrund ihres immensen Reichtums als "Gas-Prinzessin" bekannt gewordenen Politkerin handle es sich um eine politische Gefangene, bewies - beispielhaft dafür der große Bahnhof, mit dem der aus russischer Haft entlassene Oligarch Michail Chodorkowski in Berlin empfangen wurde - einmal mehr, daß als Heroen der Freiheit vorzugsweise wichtige Geschäftspartner in Frage kommen.

Als der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic vor dem Den Haager Straftribunal, das trotz des völkerrechtswidrigen Überfalls der NATO auf Jugoslawien niemals einen dafür verantwortlichen Politiker anklagte, aus medizinischen Gründen um Erlaubnis zur Ausreise nach Moskau bat, wurde ihm dies mit der Folge verwehrt, daß er kurz darauf starb. Für politische Gefangene der kurdischen und türkischen Linken spricht sich hierzulande kein Journalist der Konzernpresse aus, werden diese doch vor deutschen Staatschutzsenaten mitunter in enger Zusammenarbeit mit dem türkischen Geheimdienst zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

In der Ukraine muß das Errichten von Zelten und Bühnen auf öffentlichen Plätzen jetzt behördlich genehmigt werden. Es ist verboten, auf Demonstrationen einen Helm zu tragen, und auch das Errichten von Blockaden im öffentlichen Raum ist seit neuestem strafbar. Das Internet wird stärker reguliert, und ein neuer Extremismusparagraph schränkt die Pressefreiheit ein und droht mit Organisationsverboten [2]. Was in deutschen Leitmedien als ein Schritt in Richtung Diktatur bezeichnet wird, ist hierzulande seit langem Gesetz. Als verbotene passive Bewachung galten bei der Blockupy-Demonstration im letzten Jahr sogar mitgeführte Regenschirme, und die Vermummung des Gesichts auch bei Kälte ist ebenso strafbar wie andere Akte des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch sogenannte befriedete Bezirke vor Bundestag und Bundesrat ließe den Versuch einer Erstürmung des Parlaments, wie in Kiew am Sonnabend erfolgt, gar nicht erst zu. Dies erfolgte, nachdem die Regierung Janukowitsch erklärt hatte, auf die Verfolgung aller Straftaten zu verzichten, die in den letzten zwei Monaten auf dem Majdan bei Demonstrationen begangen wurden.

Das in der ersten Januarhälfte in Hamburg nach Polizeirecht ausgerufene Gefahrengebiet schränkte die Grundrechte der darin lebenden Bevölkerung ein und verhängte eine Form des Ausnahmezustands über sie. Betrachtet man Videodokumente von den Angriffen ukrainischer "Freiheitskämpfer" auf die Polizei, dann müßte nach Maßgabe der Hamburger Reaktion dort zumindest der Staatsnotstand ausgerufen werden. Die offenkundig meist männlichen Demonstranten prügelten mit Knüppeln auf die eher passiv agierende Polizei ein, sie warfen Molotowcocktails direkt in die Reihen der Beamten, so daß einige in Flammen aufgingen, sie beschossen sie mit Katapulten und schleuderten faustgroße Pflastersteine auf sie.

Was in Kiew geschah, war ungleich zerstörerischer als alles, was in der Hansestadt seit der Demonstration für den Erhalt der Roten Flora vor einem Monat stattfand. Die Reaktion des Staates auf äquivalente Gewaltakte hierzulande fiele vielleicht sogar drastischer aus als in Kiew, waren aus den Reihen der deutschen Polizei doch bereits Stimmen zu vernehmen, die für das nächste Mal mit dem Einsatz von Schußwaffen drohten. Daß die Regierung Janukowitsch in deutschen Medien dennoch an den Pranger staatsautoritärer Ermächtigung gestellt wird, entspricht in seiner paradoxen Logik der massiven Vorverurteilung der Hamburger Demonstrantinnen und Demonstranten vor der Flora-Demonstration und der Hetze gegen sie nach dem 21. Dezember.

Es ist eben nicht so einfach mit jener Freiheit, über deren Abwesenheit in der DDR Bundespräsident Joachim Gauck vor wenigen Tagen räsonierte. Sie absolut zu setzen und in die Hände der Bevölkerung zu legen, findet unter den Sachwaltern des westlichen Demokratismus immer dann Zustimmung, wenn die dadurch erfolgten Zerstörungen den eigenen hegemonialen Interessen dienen. Den Preis der Freiheit zu zahlen, den ein Donald Rumsfeld als US-Verteidigungsminister nach der Plünderung irakischer Kunstschätze mit der Aussage entrichtete, so etwas gehöre nun einmal dazu, wenn ein Volk von der Diktatur befreit wird, wird resolut verweigert, wenn antikapitalistische Bewegungen die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen wollen.

Von daher läßt sich leicht ermessen, wo es wirklich um ungeteilte, auch die Eigentumsordnung nicht schonende Freiheit geht, und wo die Freiheit des Kapitals, unter welch menschenfeindlichen Bedingungen auch immer verwertet zu werden, den Ton angibt. In der Ukraine ist zweifellos letzteres der Fall, wie auch die rechtsradikale Gesinnung der besonders militanten Bündnispartner der ukrainischen Opposition zeigt. Sich deren Schlägertrupps zunutze zu machen, ist ein probates Mittel, Regierungen zu stürzen. Waren die ukrainischen Neonazis der Partei Swoboda noch Bündnispartner ukrainischer Beutegermanen und wurden als solche auch von deutschen Diplomaten hofiert, so dürfte nach den jüngsten Ausschreitungen, an denen zahlreiche Rechtsradikale beteiligt waren, etwas weniger auffällig beim Intrigieren vorgegangen werden. Bleibt nur zu hoffen, daß in der Ukraine nicht mit ähnlichen Mitteln wie in Syrien oder Libyen, wo die Opposition von äußeren Akteuren bewaffnet wurde, vorgegangen wird.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/konflikt-in-der-ukraine-grosse-sorgen-vor-einem-blutvergiessen-12760463.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-regierungsgegner-werden-in-die-illegalitaet-getrieben-12759235.html


20. Januar 2014