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PROPAGANDA/1514: Maulkorb - da helfen auch Verträge nicht ... (SB)



Mit der Aufforderung der CDU-Vorsitzenden, die Anwendung der Regeln für die analoge Welt auf jene YouTuber zu prüfen, die ein gemeinsames Video als Wahlempfehlung produziert haben, rennt Annegret Kramp-Karrenbauer offene Türen ein. Zwar werden der Presse im Unterschied zu den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die an die Grundsätze des Rundfunkstaatsvertrages gebunden sind, keine Auflagen zur jeweiligen Positionierung gegenüber politischen Parteien gemacht [1]. Die Einbindung kommerzieller Zeitungsverlage in die herrschende Marktordnung schafft jedoch von vornherein ein Ausmaß an Konformität, das unberechenbare Angriffe auf die politische Ordnung des Staates praktisch ausschließt. Wer der Werbekundschaft ein angenehmes Umfeld zum Absatz ihrer Produkte anbieten will, wer zur Erwirtschaftung exklusiver Nachrichten informelle Kontakte in höchste Kreise unterhält, wer als Redaktion bei der Bundespressekonferenz zugelassen wird, wer als Medienkonzern an der Börse notiert ist und mit pressefernen Geschäften aller Art zusätzlich Geld verdient, kann als zuverlässiger Sachwalter der herrschenden Ordnung gelten und wird in der Regel nicht an deren Grundfesten sägen.

Zu dieser Ordnung antagonistisch positionierte selbstorganisierte Medien wie Indymedia linksunten werden im Zweifelsfall verboten, was sogar die Abbildung des Logos der Informationsplattform unter Strafandrohung stellt. Auf dieser wurden nicht nur Nachrichten sozialer Bewegungen, die meist dem linksradikalen Spektrum angehörten, veröffentlicht, in dieser frei einsehbaren und damit Mediencharakter besitzenden Öffentlichkeit wurden anhand einzelner Meinungsbeiträge Diskurse von hoher gesellschaftlicher Relevanz abgebildet. Kurz nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg wurden die Ereignisse auf Indymedia linksunten in einer Vielzahl von Beiträgen kritisch wie selbstkritisch reflektiert, und das in einer Freiheit des Wortes, als befände man sich auf dem sprichwörtlichen Tableau der Demokratie, der Agora im antiken Athen. Als das von Bundesinnenminister Thomas de Maizière erwirkte Verbot am 25. August 2017 in Kraft trat, wurde ein kommunikatives Bindeglied zwischen ganz verschiedenen Gruppen der außerparlamentarischen Opposition praktisch ersatzlos gestrichen. Daß diese mit hoher Reichweite ausgestattete Mobilisierungsplattform kurz vor der Bundestagswahl und dem Klimagipfel in Bonn aus dem Verkehr gezogen wurde, läßt strategische Motive auch bei der Wahl des Verbotstermins vermuten [2].

Sage also niemand, daß Meinungs- und Pressefreiheit unantastbar oder auch nur berechenbar garantiert wären. Was AKK mit der Möglichkeit einer staatlichen Intervention im Fall jener YouTuber meint, die sich im Anschluß an das erhebliche politische Breitenwirkung entfaltende Video des "CDU-Zerstörers" Rezo zu einer gemeinsamen Empfehlung entschlossen hatten, welche Partei ihrer Ansicht nach nicht gewählt werden sollte, übersteigt den harmlos wirkenden Charakter des Wortes "Regulation", mit dem der Digitalpolitische Sprecher der Unionsfraktion ihren Vorstoß zu relativieren versucht [3], bei weitem. Was könnte unterhalb der Schwelle einer Meinungsfreiheit, die durch strafrechtlich relevante Fragen des Persönlichkeitsschutzes, des Aufrufes zur Gewalt oder der Propaganda für verbotene Parteien und Organisationen schon tief genug gelegt ist, zu "regulieren" sein, wenn nicht die Freiheit des Zusammenschlusses und des Wortes rund 90 regelmäßig auf YouTube auftretender Menschen, die über eine nennenswerte Zahl an Followern verfügen?

Die Veröffentlichung des Videos von Rezo hat die etablierte Ordnung massenwirksamen Konsensmanagements gehörig erschüttert und läßt die politischen Funktionseliten einigermaßen ratlos zurück. Niemand hat etwas dagegen, wenn sogenannte Influencer den Absatz der Konsumgüterindustrie anheizen, wenn die kollektive Erregung um das Treiben irgendwelcher Celebrities im Netz hohe Wellen schlägt, wenn belanglose Nachrichten tausendfach auf nicht weniger irrelevante Weise kommentiert werden und der kognitive Dauerinput smarter Maschinen das immer weniger smarte Gehirn erweicht. Selbst das massenhafte Abklicken von Petitionen und die Unterstützung von Kampagnen im Netz ist zu verkraften, wenn damit ansonsten auf der Straße losbrechender Protest unterbleibt. Wenn jedoch Menschen wie du und ich sich anmaßen, das Geschäft einflußreicher Akteure in Politik und Gesellschaft zu beeinträchtigen, liegen die Nerven blank.

Wo unerwünschter gesellschaftsverändernder Einfluß ausgeübt wird, da lassen sich Mittel und Wege der Zensur finden. Daß es in der Bundesrepublik nicht so zugeht wie in China, wo der Zugang zu Webseiten außerhalb des Landes weitgehend verhindert und das Anbieten von Inhalten, die der Führung nicht passen, mit massiver Strafandrohung unterbunden wird, muß nicht so bleiben. Entscheidend für das Ergreifen wirksamer Zensurmaßnahmen ist der Stand gesellschaftlicher Konfrontation und kein Gesetz, dessen Inhalt sich jederzeit ändern läßt. Der Vorstoß der CDU-Vorsitzenden ist zwar kritikwürdig, mehr jedoch ist ihr dafür zu danken, daß sie daran erinnert hat, daß in der Bundesrepublik keine Freiheit in Stein gemeißelt ist.


Fußnoten:

[1] https://www.heise.de/tp/news/Artenschutz-fuer-CDU-und-SPD-4433562.html

[2] BERICHT/298: Medienkontrolle - wehret den Anfängen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0299.html

[3] https://www.heise.de/tp/news/Daran-sieht-man-wie-dringend-noetig-eine-Regulierung-sowie-eine-Staerkung-der-Medienkompetenz-ist-4433831.html

28. Mai 2019


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