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RAUB/0865: Die Freiheit des Kapitals ist nicht die der Arbeiter (SB)



Gänzlich unbeeindruckt von der Aufregung über den Datenschutzskandal bei der Deutschen Bahn zeigt sich der dafür zuständige Korruptionsbeauftragte Wolfgang Schaupensteiner. Gegenüber dem Deutschlandfunk (29.01.2009) erklärte der ehemalige Staatsanwalt, er werde auch in Zukunft auf diese Weise dafür sorgen, daß dem Konzern durch korrupte Mitarbeiter keine Millionenverluste hinzugefügt werden, indem sie Aufträge der Bahn an von ihnen insgeheim kontrollierte Firmen vergeben. Das Prozedere, diesen Mitarbeitern per Abgleich von Telefonverbindungs- und Kontenstammdaten auf die Spur zu kommen, sei nicht nur legal, eine Unterlassung könne dem Konzern sogar den staatsanwaltschaftlichen Vorwurf der Untreue durch unterlassene Kontrolle einbringen. Wer hier von "Überwachung" und "Bespitzelung" rede, der urteile vorschnell und behaupte Unzutreffendes.

Die breite Brust, mit der Schaupensteiner deutlich machte, daß dem Konzern und ihm bis auf die Frage, ob die Benachrichtigung der Betroffenen korrekt erfolgt sei, nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen sei, erklärt nicht, warum in den Jahren 2002 und 2003 mehr als zwei Drittel der 240.000 Mitarbeiter der Bahn überprüft werden mußten, um Korruption im Umgang mit den rund 80.000 Geschäftspartnern des Konzerns auf die Schliche zu kommen. Es ist kaum anzunehmen, daß sich das Gros diese Mitarbeiter überhaupt in der Position befindet, illegale Geschäfte anzubahnen, mit der der Bahn erheblicher Schaden zugefügt werden kann. Auch die Tatsache, daß der Bahn das Ausmaß ihrer Observationsmaßnahmen erst von dritter Seite her nachgewiesen werden mußte und daß sie einen ehemaligen Mitarbeiter, der heute von dem Unternehmen als Ombudsmann bezahlt wird, als Anwalt mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragt hat, obwohl Schaupensteiner vor dem Verkehrsausschuß des Bundestags behauptet hatte, dafür habe man eine "externe, neutrale Anwaltskanzlei" gewählt, wirkt nicht eben so, als sei der Antikorruptionsbeauftragte so unkorrumpierbar, wie sein guter Leumund als ehemaliger Ankläger verheißt.

Wenn also die Deutsche Bahn nach dem bisherigen Erkenntnisstand 173.000 Angestellte per Rasterfahndung präventiv überprüft hat, dann liegt nahe, daß es um mehr als die Bekämpfung eines Ausmasses an Korruption ging, das sich offensichtlich auf schlimmstenfalls hundert Fälle beschränkt. Was einen Konzern alles an Informationen über seine Mitarbeiter interessieren kann, das hat unter anderem die Bespitzelungsaffäre des Discounters Lidl gezeigt. Dort hat man das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter mit verdeckten Mitteln kontrolliert, man hat ihre sozialen Beziehungen ausgeforscht, sie auf unternehmensfeindliche Äußerungen hin überprüft und womöglich erpreßbar gemacht. Der Vorwand, man wolle die Ladendiebstähle des Personals eindämmen, trug angesichts der detaillierten Protokolle, die die mit der Observation beauftragte Detektei anfertigte, nicht weit.

Die naheliegende Vermutung, daß die Arbeiter und Angestellten daran gehindert werden sollen, ihre legitimen Interessen als Lohnabhängige zu artikulieren und in Form von Arbeitskämpfen durchzusetzen, gehört zu den in deutschen Medien weniger häufig angestellten Überlegungen. Man will gar nicht erst so weit gehen und einen Antagonismus postulieren, der den ausbeuterischen Charakter des Kapitalverhältnisses offenlegt. Mit der Häufung illegaler Überwachungsmaßnahmen in deutschen Unternehmen muß jedoch gerade davon ausgegangen werden, daß unter Arbeitern ein Klima der Einschüchterung und Kontrolle herrschen soll, mit dem jeder Ansatz zu solidarischen Kämpfen gegen die Interessen der Manager und Aktionäre unterbunden werden kann.

Im Jahr 20 nach dem Fall der Mauer erklimmt die Polemik über das "Unrechtsregime" der SED und über den "Unrechtsstaat" DDR neue Höhen zweckdienlicher Ablenkung vom heutigen Stand gesellschaftlicher Widersprüche. Da macht es sich weniger gut, wenn nicht nur unter dem Motto "Stasi 2.0" gegen die Überwachungspläne des Bundesinnenministers im Internet zu Felde gezogen wird, sondern die Freiheit des Kapitals gegen Menschen gewendet wird, die dem System wirtschaftsliberaler Freizügigkeit gegenüber in einem Zustand der Abhängigkeit verbleiben sollen. Die DDR wurde mit repressiven Maßnahmen dagegen verteidigt, daß sich die Interessen kapitalistischer Staaten zu Lasten ihrer Arbeiter und Bürger durchsetzen. In der BRD wird mit repressiven Maßnahmen dagegen vorgegangen, daß der real existierende Kapitalismus in Frage gestellt wird. Was es da zu feiern gibt, wissen nur die Gewinner, zu denen immer weniger Menschen gehören.

29. Januar 2009