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RAUB/0870: Auf ins El Dorado der kreativen Zerstörung! (SB)



Nun darf die Bundesrepublik nicht nur wieder, nun muß sie geradezu im Irak präsent sein. Der Besuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier dort steht ganz im Zeichen der guten Gelegenheiten, die sich der deutschen Wirtschaft in dem kriegsgeschüttelten Land eröffnen sollen. Der SPD-Politiker fungiert als Türöffner zu einer Gesellschaft, in der deutsche Geschäftsleute noch vor kurzem zwar nicht off limits, aber doch ohne jede Chance auf das Ergattern größerer Aufträge waren. Diese wurden im Einvernehmen mit den US-Besatzern vorzugsweise US-amerikanischen Unternehmen, aber auch Firmen aus Ländern anderer Kriegsteilnehmer wie Britannien zugeschanzt.

Mit dem Amtswechsel im Weißen Haus können nun vor der Kulisse der mit viel choreografischem Aufwand inszenierten Unabhängigkeit des Iraks neue Chancen und Möglichkeiten des Handels und Wandels ausgelotet werden. Nachdem die Regierung unter Ministerpräsident Nuri al Maliki im Amt bestätigt wurde und US-Präsident Barack Obama einen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Land in Aussicht - und nur das - gestellt hat, braucht man sich als deutscher Außenminister nicht mehr dafür zu rechtfertigen, für die auf seine Entourage wartenden Aufträge und Abschlüsse keinen Blutzoll entrichtet zu haben.

Die Bundesregierung hat keinen Grund, sich hinter den Eroberern zu verstecken. Seit 1987 mit Hans-Dietrich Genscher der letzte Außenminister der BRD vor Steinmeier in Bagdad empfangen wurde, haben sich die Regierungen in Bonn und Berlin unterschiedslos von der jeweiligen politischen Couleur um Vorbereitung wie Vollzug der Eroberung des Landes verdient gemacht. Für den Golfkrieg 1991 öffnete die Regierung Kohl die Staatskasse und alimentierte den damals noch UN-mandatierten Aggressor, der das Land mit einem mörderischen Bombenkrieg überzog, in dem über 100.000 Iraker starben und große Teile der zivilen Infrastruktur zerstört wurden, mit Milliardensummen. Das sich daran anschließende UN-Embargo, das weitere Hunderttausende Iraker zu einem vorzeitigen mangelbedingten Tod verurteilte, wurde von der Unions-FDP-Regierung ebenso unterstützt wie ihren rot-grünen Nachfolgern. Zur finalen Eroberung des auch militärisch am Boden liegenden Landes entsandte man zwar keine Bundeswehrsoldaten, postierte diese jedoch vor US-Kasernen, um dadurch gebundene US-Truppen für den Krieg freizusetzen. Ohne die Nachschublogistik, die die US-Streitkräfte mit Einverständnis der damaligen Bundesregierung über das Drehkreuz Deutschland organisierte, wäre dieser Krieg vielleicht erst sehr viel später oder auch gar nicht zu führen gewesen.

Nicht zu vergessen ist die Rolle, die Steinmeier als Chef des Bundeskanzleramts beim Erbringen kriegswichtiger Informationen, die die US-Invasoren von zwei in Bagdad stationierten BND-Agenten erhielten, gespielt hat. Das mag für den Gesamterfolg eine zu vernachlässigenswerte Größe sein, dokumentiert jedoch die prinzipielle Bereitschaft der rot-grünen Bundesregierung, ihre angebliche Verweigerungshaltung in eine stillschweigende Unterstützungsleistung umzumünzen.

Nun sollen endlich die Früchte des opportunistischen Manövrierens an der Seite der USA und Britanniens geerntet werden. Seit deren Streitkräfte die irakische Bevölkerung in zwei Kriegen, die zwischenzeitlichen Attacken und Übergriffe nicht mitgezählt, sowie einem langjährigen Hungerembargo erheblich dezimierten und in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung um Jahrzehnte zurückwarfen, wachsen die Möglichkeiten ziviler Akteure, wieder im Irak einzusteigen, kontinuierlich an. Daß das Land weiterhin von ausländischen Truppen besetzt wird, darüber kann auch die neokoloniale Strategie, die irakischen Eliten unter massivem militärischen Druck wie großzügiger pekuniärer Bestechung zur Kooperation zu bewegen, nicht hinwegtäuschen. Daß die Bevölkerung weiterhin unter katastrophalen Lebensbedingungen zu leiden hat, während die eigene Oligarchie mit den Okkupanten und ihren Verbündeten kungelt, wird dem hiesigen Publikum als erfolgreiche "Stabilisierung" des Landes verkauft.

Uneingedenk der Dutzenden von Todesopfern, die jede Woche nach wie vor Anschlägen zum Opfer fallen, welche inzwischen hauptsächlich dem durch die Eroberung erst gewalttätig eskalierten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten sowie anderen Kämpfen um Macht, Einfluß oder bloßes Überleben geschuldet sind, wird der Eindruck erzeugt, der Irak sei das kommende El Dorado der deutschen Exportwirtschaft. Was könnte im Zeichen der Weltwirtschaftskrise gelegener kommen als ein Land, das auf erheblichen Erdölressourcen sitzt und gleichzeitig aufgrund seiner gewaltsamen Vereinnahmung gar keine Krise größeren Ausmasses entwickeln kann als jene, die seine Bevölkerung genaugenommen seit Beginn der 1980er Jahre, als die USA Saddam Hussein im Rahmen ihrer Großraumstrategie für den Nahen und Mittleren Ostens bei seinem Angriff auf den Iran unterstützten, alltäglich heimsucht?

Der Irak wurde zugrunde gerichtet, um wiederaufgebaut zu werden, und zwar nun erst Recht unter Aneignung der Reichtümer, die seine gestürzte Regierung nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen an nichtirakische Investoren veräußerte. Die erneute Kolonialisierung des Landes ist der Beweis dafür, daß das neoliberale Prinzip der kreativen Zerstörung zumindest für diejenigen funktioniert, die nicht als Betriebsstoff ins Feuer dieses Prozesses eingespeist werden.

Wenn die Bundesrepublik nun "dem neuen Irak die Hand" reicht, wie Steinmeier in Bagdad erklärte, dann wagt sie ihrerseits einen großen Schritt in die 1991 vom damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush proklamierte Neue Weltordnung. Diese nimmt, nach dem Siegeszug der neoliberalen Globalisierung durch deren Niedergang erst recht zu rücksichtsloser Durchsetzung motiviert, als ein globales Akkumulationsregime Gestalt an, das mehr noch als bisher auf die materiellen Überlebenssubstrate zugreifen muß, um die Reproduktion ihrer finanzkapitalistisch ausgebluteten Volkswirtschaften zu gewährleisten.

Der den Menschen im Irak seit 1991 aktiv zugefügte Mangel bildet das negative Äquivalent zur Wertschöpfung derjenigen, die diese imperialistische Politik gutgeheißen und vollzogen haben. Sie setzen ihre Interessen nicht nur mit militärischer Gewalt, sondern vor allem auch gesellschaftlicher Transformation und politischer Neuordnung durch. Die Radikalkur aus Isolation, Abschottung, Krieg und Regimewechsel, der der Irak mit dem Ergebnis einer nur noch von Gnaden der Besatzer gewährten Souveränität unterzogen wurde, hat aus seiner Bevölkerung ein williges und billiges Objekt der Ausbeutung gemacht, von der auch das hierzulande angesiedelte Kartell aus Kapital- und Staatsmacht profitieren will.

18. Februar 2009