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RAUB/0893: Mit Hartz IV den modernen Ständestaat errichten (SB)



Das Ergebnis einer im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit durchgeführten Befragung, laut der 45 Prozent der Ein-Euro-Jobber die gleiche Arbeit verrichten wie ihre festangestellte Kollegen, kann nicht überraschen. Die daraus resultierende Verdrängung regulärer Arbeitsplätze ebensowenig (Frankfurter Rundschau, 29.05.2009). Zu nichts anderem als der Lohndrückerei wurde das System des zusätzlich zur Hartz-IV-Alimentation möglichen Minimalverdienstes geschaffen, wurde damit doch ein informeller staatlicher Mindestlohn zur Meßlatte aller Verbilligung menschlicher Arbeit. Wo der Lohnarbeiter früher mit der regulären Arbeitslosenversicherung mehr Freiraum in der Wahl des eigenen Arbeitsplatzes hatte, hat die Verkürzung der Auszahlung des ALG I und die Zwangslage, ALG II nur unter Einhaltung strikter Auflagen beziehen zu können, den Bodensatz eines Armutsproletariats geschaffen, demgegenüber schon geringfügige Verbesserungen der sozialökonomischen Existenz attraktiv erscheinen.

Die weitgehend negative Bilanz der Reintegration von Ein-Euro-Jobbern in normale Lohnarbeit hat die Unterstellung, mit dieser Form von veritabler Zwangsarbeit werde bei Langzeiterwerbslosen der Anschluß an die normale Arbeitswelt aufrechterhalten, ad absurdum geführt. Statt dessen wurde eine staatlich alimentierte Manövriermasse etabliert, mit der konventionelle Lohnarbeit nicht nur verbilligt, sondern auch vernichtet wird. Mit der von Ein-Euro-Jobbern auf vollwertige Weise verrichteten Arbeit geraten Alten- und Krankenpfleger, Hausmeister, Gemeindarbeiter und Handwerker aller Art zusehends unter den Druck, ihre Löhne gegenüber der Billigkonkurrenz überhaupt noch rechtfertigen zu können. So findet in vielen Bereichen eine schleichende Verdrängung konventioneller Lohnarbeit durch eine Form des staatlich organisierten Arbeitsdienstes statt, in dem keine aus dem Kampf zwischen Arbeit und Kapital errungenen Rechte mehr gewährt werden müssen.

Die angeblich positive Maßnahme des "Förderns und Forderns" erweist sich aus gutem Grund repressive Aufrüstung der Arbeitsgesellschaft. Aus der Erhöhung der Profitrate des Kapitals läßt sich jedoch kein allgemeiner, sondern nur der partikuläre Nutzen der Kapitaleigner erschließen. Da die Güterproduktion nicht durch ihren konkreten gesellschaftlichen Verwendungszweck, sondern die Mehrwertabschöpfung bestimmt wird, ist der Armutslohn für vollwertige Arbeit und die Verarmung großer Teile der Bevölkerung die logische Folge des krisenhaften Verfalls der Profitrate.

Die Ersetzung konventioneller Lohnarbeit durch staatlich organisierte Billigarbeit bietet einen Vorgeschmack auf administrative Verfügungsverhältnisse, die an korporatistische Gesellschaftskonzepte wie das des italienischen Faschismus anknüpfen. Wenn das Kartell aus Staat und Kapital den sozialen Antagonismus nicht mehr mit dem freiheitlichen Anspruch der repräsentativen Demokratie befriedet, sondern mit dem Argument krisenbedingter Notlagen Elemente eines autoritären Ständestaats etabliert, in dem jeder seinen nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit und Herkunft zugehörigen Platz zugewiesen bekommt, dann hat Hartz IV den Weg dorthin gebahnt. Schon jetzt sollen vier von fünf Ein-Euro-Jobbern das System der Arbeitsverwaltung, in das sie sich notgedrungen fügen, als "Gelegenheit, etwas Sinnvolles zu tun und unter Menschen zu kommen" (Frankfurter Rundschau, 29.05.2009), empfinden. Am Volkssouverän soll die Restauration kapitalistischer Herrschaft nicht scheitern.

1. Juni 2009