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RAUB/0929: Chávez und Morales scheuchen den Klimagipfel auf (SB)



Im Kontext künftiger Herrschaftssicherung spielt die Überlebensfrage einer elitären Minderheit zu Lasten einer Mehrheit der Weltbevölkerung die zentrale Rolle, wofür es innovativer Instrumente globaler administrativer Einflußnahme bedarf. Was wäre dafür besser als Vorwandslage geeignet, als das Bedrohungsszenario des Klimawandels, dessen Gefahrenpotential für die gesamte Menschheit das Primat weltweiter Regulation geradezu zu erzwingen scheint. Worüber derzeit in Kopenhagen verhandelt wird, ist die Ausformung einer mit Klimaargumenten gestützten Weltordnung, die das unumkehrbare Verderben von Milliarden Menschen als Königsweg für der Rettung der Metropolenbewohner zu verewigen trachtet.

Wer den Konsens stört, wonach die Völker der Welt in Kopenhagen Klimafragen erörtern, deren Beantwortung für alle gleichermaßen von Interesse ist, weshalb sämtliche anderen Widersprüche zurückgestellt werden müßten, wird entweder drangsaliert oder totgeschwiegen. Daß man das nicht nur gegen Demonstranten mit Polizeigewalt und Medienmacht durchsetzt, sondern sogar Staatschefs spüren läßt, deren unerwünschte Präsenz beim Gipfel man schlechterdings nicht verhindern konnte, bekamen Hugo Chávez und Evo Morales zu spüren.

So wurde nach einem Bericht der bolivianischen Nachrichtenagentur Bolpress das Gepäck der venezolanischen Delegation bei der Einreise entgegen internationaler Bestimmungen im Umgang mit Diplomaten und Staatsgästen 45 Minuten lang durchsucht. Dann hielt die Polizei die Wagenkolonne des Präsidenten solange auf, bis ein geplantes Treffen mit Gewerkschaftern und Vertretern sozialer Organisationen abgesagt werden mußte. Damit nicht genug, tauchten Polizisten im Sitz der dänischen Baugewerkschaft in Kopenhagen auf, wo sie behaupteten, Chávez habe das Treffen aus freien Stücken ausfallen lassen. (junge Welt und Neues Deutschland 18.12.09)

Hatte man der venezolanischen Delegation in dieser Hinsicht ganz besondere Beachtung geschenkt, so traf das Gegenteil für die Reden der Präsidenten Chávez und Morales zu, die so gut wie keinen Eingang in die hiesige Berichterstattung fanden. Von den großen Zeitungen ließ es sich lediglich der britische Guardian nicht nehmen, darüber zu berichten, daß die beiden Staatschefs den Gipfel hochgescheucht hätten. Sie machten den Kapitalismus und die Ressourcenpolitik der Industriestaaten für die zunehmende Zerstörung der Umwelt und die gefährliche Erwärmung des globalen Klimas verantwortlich: Man könne die Erde nur retten, indem man dieses Wirtschaftssystem abschaffe.

Wie Evo Morales in seiner Rede hervorhob, sei es sein Ziel, die Menschheit zu retten und nicht nur die Hälfte der Menschheit. Der wahre Grund für den Klimawandel sei das kapitalistische System, mit dem man Schluß machen müsse. Er mahnte an, die maximale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bei einem Grad Celsius zu halten, forderte die Einrichtung eines internationalen Klimagerichtshofs und verlangte "Reparationen" von den reichen Ländern: Die Industriestaaten müßten ihre "Klimaschuld" gegenüber den Ländern des Südens begleichen. Am Vortag hatte Morales auf einer Pressekonferenz erklärt, daß die Erdatmosphäre nicht nur einigen wenigen Ländern offenstehen dürfe, die sich mit ihrer irrationalen Industrialisierung und ihren Treibhausgasemissionen Entwicklungsmöglichkeiten erschließen. Die Industrieländer müßten ihre Emissionen drosseln und für deren Absorbtion sorgen.

Hugo Chávez warf in seiner Rede die Frage auf, wie lange man die herrschende Wirtschaftsordnung noch tolerieren und hinnehmen wolle, daß die Hungrigen nichts zu essen haben. Der Sozialismus sei der einzige Weg, den Planeten zu retten und den Klimawandel zu begrenzen. Während sieben Prozent der Weltbevölkerung für 50 Prozent der schädlichen Emissionen verantwortlich seien, ständen 50 Prozent der Ärmsten nur mit sieben Prozent zu Buche. Chávez wies die Kritik am Ressourcenverbrauch der Schwellenländer zurück und bezeichnete es als seltsam, daß den USA und China die gleiche Schuld an der Klimaerwärmung zugewiesen werde, obwohl die beiderseitigen Einwohnerzahlen weit voneinander abwichen und die Chinesen wesentlich weniger Erdöl pro Tag verbrauchten. Der Präsident Venezuelas warf den reichen Staaten vor, diesen Planeten zu zerstören, und forderte ein radikales Umdenken: "Wir verändern nicht das Klima, wir verändern das System, denn nur so können wir den Planeten retten."

Mit ihren aufrüttelnden Beiträgen, welche der Position eines unmittelbar vorangegangenen Gipfeltreffens der neun Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) entsprechen, fuhren Hugo Chávez und Evo Morales der Absicht der führenden Industrienationen in die Parade, der Welt ihr räuberisches System aufzuzwingen und dies in Form eines umfassenden politischen Abkommens durchzusetzen, das die Mehrheit der Weltbevölkerung zu einem Leben in Unterentwicklung und Armut verurteilt.

19. Dezember 2009