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RAUB/0943: Der Starke soll siegen ... die neue Lust am Sozialdarwinismus (SB)



"Einer muß der Schweinehund sein" soll der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske nach der blutigen Niederschlagung der Revolution im Januar 1919 zu seiner Rechtfertigung gesagt haben. Auch die heutige Lage verlangt nach drastischen Mitteln. Um in Politik und Gesellschaft wirklich etwas zu bewegen, muß man sich unbeliebt machen, das weiß auch Guido Westerwelle. Indem er das Eisen der Leistungsgerechtigkeit allen Protesten zum Trotz immer weiter schmiedet, um Arbeitslose mit Rechtsanspruch auf Versorgung in von Gnaden dero Herren geduldete Almosenexistenzen zu verwandeln, erwirbt er höchste Anerkennung von all denen, denen die sozialpolitische Verantwortung für die vom Kapitalismus überflüssig Gemachten längst zu weit geht. Weil sie den kalten Hauch des Mangels im Nacken spüren, meinen sie, sich durch das Opfern des jeweils Schwächeren vor dessen Nachstellungen schützen zu können.

Die Forderung des Außenministers, Arbeitslose Schnee schippen zu lassen oder zu anderen gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen, legt den sozialfaschistischen Kern liberaler Weltanschauung offen. Gerade die Politiker, die die Freiheit der Arbeit und des Kapitals auf ihre Fahnen geschrieben haben, kommen in der Einführung von Zwangsarbeit ideologisch zu sich selbst. Während der neoliberale Kapitalismus weiterhin am liberalen Credo enthemmter Marktkräfte genesen soll, werden die verödeten Zonen postindustrieller Arbeitslosigkeit von Zäunen einer unsichtbaren Lagerhaltung umgeben, mit der die Teilung der Gesellschaft in produktive und unproduktive Menschen zementiert wird. Wer nicht marktgerecht produziert, fällt durch Arbeit, die keiner bezahlen will, einer Verwertungslogik zum Opfer, die auch noch die Ausgrenzung der Überflüssigen in einen Produktivfaktor verwandelt, indem sie deren Existenz als solche verbraucht. Die Freiheit zur Verwertung von Allem und Jedem verträgt keine noch so rudimentäre Ansprüche an eine Solidargemeinschaft, die Hilfe nicht nur zur Selbsthilfe, sprich als Zuckerbrot zur Peitsche, sondern aus prinzipiell humanistischen Gründen heraus gewährt.

Der Appell an das gesunde Volksempfinden funktioniert bestens, werden Einsprüche gegen Westerwelles rabiate Rhetorik aus den eigenen Reihen doch vor allem aus Sorge darum laut, daß die Betroffenen sich wehren könnten und die neokonservative Offensive ihren Urhebern um die Ohren fliegt. Dabei kolportiert der FDP-Chef lediglich Aussagen, die man auch schon aus dem Munde von SPD-Politikern vernommen hat. Heute allerdings wissen alle Beteiligten, daß den Worten so oder so Taten folgen werden.

Vor dem Hintergrund einer Weltwirtschaftskrise, die bereits den Zusammenhalt der EU bedroht, wird eine Verschärfung herrschender Widersprüche möglich, gegen die der Einwand sozialer Ungerechtigkeit wirkungslos verpufft. Mögen den hemmungslos auf dem Finanzmarkt spekulierenden Banken noch so viele Milliarden hinterhergeworfen werden, mögen Großverdiener wie Zumwinkel noch so dicke Geldkoffer ins Ausland schmuggeln, als wirklich hassenswertes und damit mehrheitsfähiges Feindbild bietet sich der durch parasitäre Vorteilsnahme betrügende "Leistungsverweigerer" an. Seine Demütigung durch im öffentlichen Raum vorgeführte Zwangsarbeit soll zur Genugtuung all jener beitragen, deren Dummheit angeblich in der Verrichtung einer Lohnarbeit besteht, deren Verdienst kaum über den Leistungen für Hartz IV-Empfänger liegt, während sie sich bereitwillig der Strategie der Klassenspaltung ausliefern.

Dem aggressiven, aller Aufklärung über das Vernichtungsregime des NS-Staates gegenüber resistenten Sozialrassismus der neuen Rechten gehört der Tag, weil er seine Überzeugungskraft aus dem angeblichen Unrecht sozialer Gerechtigkeit schöpft. Das unumkehrbar zu überwinden ist Sinn und Zweck aller Demagogie. Im Sinne des aufgerufenen Sozialdarwinismus ist es zutiefst rational, das Schwache und Kranke im Prokrustesbett des Arbeitszwangs und der Mangelregulation zu fixieren, auf daß es an dieser Anforderung entweder zu neuer Produktivität erstarkt oder an der Nutzlosigkeit bloßen Verbrauchs vergeht. Ist der zivilgesellschaftliche Zuckerguß, mit dem die neue Rechte ihr Überlebensprimat überzieht, einmal abgegessen, wird der eliminatorische Ertrag der seit 30 Jahren vorgetragenen neoliberalen Offensive auch Westerwelles Kritiker überzeugen.

21. Februar 2010