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RAUB/0986: Forderung nach mehr Markttransparenz verschleiert systemische Hungervoraussetzung (SB)



Die Sachwalter der gesellschaftlichen Verwertungsordnung müssen reichlich Nebelkerzen werfen, um zu verbergen, daß die Ideologie des freien Marktes sich entgegen der Behauptung ihrer Apologeten nicht dafür eignet, den globalen Nahrungsmangel zu beheben. Mehr noch, die Erzeugung von Mangel stellt sich sogar als Hauptfunktion des Wirtschaftens dar, denn nur wenn eine Ware knapp ist, wird ihr unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen ein ökonomischer Wert beigemessen. Anders gesagt: Mit einer uneingeschränkten Verfügbarkeit von Nahrung wären gar keine Geschäfte zu machen.

Wenn nun Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner in einer Pressemitteilung ihres Hauses [*] Frankreichs G20-Initiative für mehr "Transparenz" auf den Agrarmärkten unterstützt, dann verbreitet sie einen Lösungsvorschlag, der weit am Problem des Nahrungsmangels, den zu beheben die G20-Agrarminister vorgeblich bei ihrem Treffen am 23. Juni in Paris antreten wollen, vorbeizielt.

Aigner befürwortet eine "Stärkung der Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte und die Verbesserung von Markttransparenz und Marktinformation", um dem Menschenrecht auf Nahrung Geltung zu verschaffen. Damit setzt die Ministerin voraus, daß diejenigen Menschen, die Hunger leiden, überhaupt als Marktteilnehmer in Erscheinung treten. Das tun sie jedoch nicht, weshalb ihr Nahrungsmangel von Ökonomen auch gar nicht als Nachfragefaktor gezählt wird. Daraus folgt logischerweise, daß durch eine Manipulation des Marktgeschehens über Angebot- oder Nachfragesteuerung der Hunger in der Welt nicht beseitigt werden kann. Das wiederum fördert den Verdacht, daß er gar nicht behoben werden soll. Dieser Umstand wird mit der Forderung nach mehr Transparenz geradezu verschleiert.

Die Zahlen sind eindeutig: Rund eine Milliarde Menschen hungert, mindestens die gleiche Anzahl kann sich nur unzureichend ernähren. Wieviel Transparenz braucht eine Regierung noch, bevor sie ernsthafte Maßnahmen zur Beendigung der Not in Angriff nimmt? Mit Aigners Vorschlag, die weltweite Ernährungslage durch "Eingrenzung extremer Preisschwankungen" zu verbessern, wird einer Politik des Wasch-mich-aber-mach-mich-dabei-nicht-naß das Wort geredet. Nicht die "extremen" Preisschwankungen müßten verhindert werden, um eine der wesentlichen Voraussetzungen für Hunger zu beseitigen, sondern grundsätzlich die profitorientierte Wirtschaftsweise, bei der sich der akkumulierte Gewinn von wenigen in der Not von vielen niederschlägt. Denn auch wenn der Nahrungsbedarf der Hungernden nicht als Nachfragefaktor gerechnet wird, bedeutet das nicht, daß Wirtschaften nicht umgekehrt Mangel erzeugt.


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Quelle:
[*] Pressemitteilung Nr. 82 vom 13.04.2011, Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

http://schattenblick.de/infopool/politik/ernaehr/perm1851.html

14. April 2011