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RAUB/0998: Freiheit zur Armut ... gerechter geht's nimmer (SB)



Der Hauptgeschäftsführer der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker, stellte zum Ergebnis der von seinem Verband herausgegebenen Vorstandsvergütungsstudie 2011 fest, daß die im letzten Jahr um 22 Prozent gestiegenen Gehälter der Vorstandsmitglieder der 30 DAX-Unternehmen "insgesamt auf einem sehr hohen Niveau" lägen. Wenn das Einkommensniveau die Zehn-Millionen-Euro-Marke überschreite, dann könnten solch hohe Vergütungen allerdings "den sozialen Frieden gefährden", warnt der Interessenvertreter der Wertpapierbesitzer [1] deren Angestellte. Weniger als das sollte es aber auch nicht sein, läßt sich aus seinen Worten schließen. Ein Gehalt von neun Millionen Euro erscheint allemal gerechtfertigt, handelt es sich bei diesen Lohnempfängern doch um die Garanten deutscher Prosperität.

Der im größten Niedriglohnsektor Europas beschäftigte Jobber bildet das andere Ende der Einkommenspyramide. Dankbar dafür, nicht zum Hartz-IV-Subproletariat zu gehören, und getrieben davon, daß sein Einkommen in den letzten Jahren stetig gesunken ist, stimmt er in den Chor der Marktwirtschaftler ein, denen die Sozialtransfers zu hoch sind, weil der Abstand zu den Löhnen der prekär Beschäftigten zu gering sei, also der Anreiz entfalle, sich vom Joch des Staatssalärs zu befreien. Nicht der Preis der Lohnarbeit entscheidet über die Freiheit derer, die sie ausführen, sondern die Tatsache, daß sie ihren Erwerb mit eigener Hände Arbeit und nicht zu Lasten anderer bestreiten. "Arbeit macht frei" - diese verruchte Devise hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren, glaubt man den Priestern der Arbeitsgesellschaft, denen die vom Staat verfügte Überlebensabhängigkeit die größte aller Sünden wider die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft ist.

Und diese erfolgt seit Jahren zu Lasten der abhängig Beschäftigten, geht ihr Anteil am Volkseinkommen doch stetig zurück. Nun hatten sogar die Vereinten Nationen, zu einem Gutteil alimentiert von der Bundesrepublik, die Stirn, der deutschen Sozialpolitik schlechte Noten auszustellen. Jedes vierte Kind in Deutschland ist arm, die kostenlosen Tafeln können dem Ansturm der Hungrigen kaum mehr bewältigen, Migranten werden sozial und ökonomisch diskriminiert, die Grundsicherung für den versorgungsbedürftigen Teil der Bevölkerung ist zu gering. Die Liste der Rügen dokumentiert ein Szenario des sozialen Niedergangs, das nur scheinbar im Mißverhältnis zum wirtschaftlichen Aufstieg der führenden Exportnation der EU steht.

Wachsende Armut ist Programm für den Sieg im nationalen Standortwettbewerb. Je billiger die Arbeit, desto williger die Arbeiter, lautet das Credo einer Wirtschaftspolitik, deren Krisenmanagement auf die extensive Verallgemeinerung des Arbeitszwanges und der Zwangsarbeit setzt. Ohne die das Kapital vom Joch der Sozialabgaben befreienden Steuersenkungen der letzten Jahrzehnte hätte die angebliche Erfolgsgeschichte des Standorts Deutschland nicht geschrieben werden können. Die Bundesregierung hat mithin alles Recht, sich durch das Urteil der UN-Sozialexperten ungerecht behandelt zu fühlen. Das von ihr gesetzte Recht auf die Freiheit des Kapitals, auf den Gräbern der Hungernden und Kriegsopfer in aller Welt akkumulieren zu können, gilt es derartigen Interventionen gegenüber zu stärken, besagt die Staatsräson und pflichten die Herolde der freien Presse bei. Die Freiheit, die sie meinen, feiert den sozialen wie militärischen Krieg, weil der Mensch, der sich nicht verwertungstauglich macht, nichts mehr zu lachen, geschweige denn zu feiern hat. Er unterwirft sich einem Arbeitsethos, dessen Zwänge so freiheitlich daherkommen, daß es eine wahre Freude ist, sich ihnen zu unterwerfen. Dem größeren Ganzen zu dienen, um die Nation im globalen Wettbewerb voranzubringen, entschädigt nicht nur für das "gefühlte" Unrecht, sondern läuft zu zivilreligiöser Hoffnung auf nationale Suprematie auf. "Wir. Dienen. Deutschland" - das neue Motto der Bundeswehr weist den Weg.

Fußnote:

[1] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15218427,00.html

7. Juli 2011