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RAUB/1116: Glückliche Tiere essen? (SB)



Wenig Freude verbreitet das vom Bundeslandwirtschaftsministerium konzipierte staatliche Tierwohl-Label, wie sein vorläufiger Entwurf zeigt. Er enthält kaum Verbesserungen, die über die bereits in der nationalen Nutztierhaltungsverordnung oder auf EU-Ebene festgelegten Minimalnormen für eine "artgerechte" Tierhaltung hinausgehen. Nicht einmal das routinemäßige Abschneiden des Ringelschwanzes beim Schwein wird grundsätzlich untersagt, und wenn ein 100 Kilogramm schweres Schlachttier künftig einen Quadratmeter Lebensraum als wie bisher 0,75 erhält, ändert das nur wenig. Wie zuvor sieht es ohne Tageslicht auf engstem Raum seinem frühen Tod entgegen, und wie alles andere ist auch die Sorge um seine Gesundheit allein dem schnellen Erreichen des Produktionsziels geschuldet. Tierschützer reden denn auch von Irreführung des Verbrauchers im Namen der Fleischindustrie, deren Wohl Bundesagrarminister Christian Schmidt weit mehr am Herzen zu liegen scheint als das der Tiere, die sie verbraucht.

Doch das Problem beginnt nicht damit, daß eine staatliche Behörde die Geschäftsinteressen der Schlachtindustrie zu ihrer Angelegenheit macht. Schon der Begriff des Tierwohls leistet der Verkennung Vorschub, die Debatte um mehr oder weniger schlechte Haltungsbedingungen sogenannten Nutzviehs habe irgend etwas mit den davon betroffenen Tieren zu tun. So wenig, wie ein Mensch ohnmächtig erleiden möchte, von einem autonomen Lebewesen in portionierbare Nahrung verwandelt zu werden, so wenig erfreut sich ein Tier daran, zu diesem Zweck umgebracht zu werden. Das gilt auch für das sogenannte Milchvieh. Welche Frau möchte einmal im Jahr geschwängert werden, um die Muttermilch, deren Menge durch qualvolle Hochleistungszucht in monströse Dimensionen getrieben wurde, zum Verkauf zu stellen, während das Neugeborene gleich oder wenige Wochen später in den Fleischwolf kommt?

Wie es dem einzelnen Rind, Schwein oder Huhn in seiner strikt nach Kosten-Nutzen-Kalkulation befristeten Lebensspanne, die unter freien Bedingungen ein Mehrfaches dessen betrüge, auch ergehen mag, es lernt nichts anderes kennen als das Joch ausschließlicher Fremdbestimmung. "Das" Tier ist keine Sache, wie das Neutrum schon sprachlich unterstellt, sondern verfügt über ein sensibles Sensorium, über Gefühle und Erinnerungsvermögen. Beschwichtigt der Mensch die Angst davor, selbst einem solchen Gewaltverhältnis zu unterliegen, durch Maßnahmen, die die schmerzhaften Auswirkungen der Massentierhaltung ein wenig lindern sollen, dann dient das allemal dem eigenen Wohlbefinden.

Ist dem sogenannten Nutzvieh in seiner schon sprachlich vollzogenen Bestimmung, ausschließlich Objekt fremder Interessen zu sein, durch das Prädikat "Tierwohl" überhaupt gedient, wenn das Problem seines Verbrauchs dadurch relativiert und unsichtbar gemacht wird? Für die Menschen, die es unter dem Siegel der Leidensminderung mit größerem Genuß konsumieren, kann dies zweifellos konstatiert werden. Die am unzureichenden Charakter des Tierwohl-Labels geübte Kritik verbleibt im Rahmen der Rechnung, doch etwas mehr Kosten bei der Produktion von Fleisch, Milch und Eiern in Kauf zu nehmen, um einen im Gesamtergebnis größeren Nutzen zu schaffen, der auch die Moral als Kriterium des Tierverbrauchs anerkennt. Gesellt sich dazu die Erkenntnis, daß ein unter weniger qualvollen Bedingungen gehaltenes und getötetes Tier besser mundet, dann kann in der Terminologie unbedingter Erfolgslogik wohl von einer Win-Win-Situation für Mensch und Verbraucher gesprochen werden. Ist die Welt im Schlachthof und auf dem Teller wieder in Ordnung, bedarf es der grundlegenden Auseinandersetzung mit den zerstörerischen Folgen menschlicher Stoffwechselsprozesse und Produktionsweisen um so weniger.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1110.html

5. April 2017


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