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RAUB/1143: Mitleben - das Elend der Gerechtigkeit ... (SB)



Tiere sind wesentlich intelligenter und empfindsamer als angenommen, dennoch töten wir Tiere für Fleisch oder akzeptieren, dass Versuche an ihnen durchgeführt werden.
Aus der Ankündigung des Dokumentarfilmes "Brauchen Tiere Rechte?"[1]

Der im sehenswerten Dokumentarfilm "Brauchen Tiere Rechte?" aufgemachte Widerspruch ließe sich ohne weiteres in sein Gegenteil verkehren. Wir ordnen das Leben der Tiere unseren Zwecken unter, eben weil sie intelligent und empfindsam sind. So entspringt die jahrtausendealte Geschichte der Domestizierung sogenannter Nutztiere der Bedingung, daß sie nicht bloß passives Material wie ein zu bearbeitender Stein sind, sondern zahlreiche hochentwickelte kognitive Fähigkeiten wie physische Stärken aufweisen, die sich der Mensch zunutze macht.

Die Verstoffwechselung der Tiere in Gestalt ihrer Körperbestandteile und Sekrete mögen das dominante Merkmal sein, das das Verhältnis des modernen Metropolenmenschen zu nichtmenschlichen Tieren kennzeichnet. Auch das wird vom höchst sozialen Wesen der Schweine, Rinder und Hühner unterstützt. Ihr Verhalten läßt sich auf eine Weise konditionieren, die den erheblichen Aufwand, auf jedes einzelne von ihnen Jagd zu machen, zugunsten der Einrichtung von Großställen, Mastbetrieben und Factory Farms überflüssig gemacht hat. In umfassend digitalisierten Ställen gehen die Kühe inzwischen selbsttätig zum Melken und übernehmen damit die Kosten der dadurch eingesparten Lohnarbeit. Für ihr Dasein erschwerend hinzu kommt, daß sich die Körper der "Nutztiere" mit züchterischen und genetischen Mitteln fast nach Belieben auf den Ertrag bestimmter Körperteile und -sekrete zurichten lassen. Auch das wäre undenkbar, hätten nichtmenschliche Tiere auf ihre Souveränität bestanden und sich vorbehalten, ihre biologische Reproduktion nicht den Besamungsverfahren der VeterinärmedizinerInnen zu überantworten.

Weitgehend übersehen in der Debatte über das Mensch-Tier-Verhältnis wird häufig die zentrale Rolle domestizierter Lebewesen für die zivilisatorische und industrielle Entwicklung. Dabei liegt gerade in der Mißachtung ihrer Funktion als ArbeiterInnen auf dem Feld und im Wald, beim Ziehen schwerbeladener Transportmittel, beim monotonen Betreiben von Wasserpumpen, als Fortbewegungsmittel für den Menschen oder als Waffe im Krieg ein wesentlicher Schlüssel für die Beantwortung der Frage, wieso mit intelligenten und empfindsamen Lebewesen auf eine all ihre Sinne und Schmerzen negierende Art und Weise umgegangen werden kann. Spätestens seit René Descartes im 17. Jahrhundert nichtmenschliche Tiere mit Maschinen gleichsetzte und sie später zum Zwecke ihrer industriellen Verwertung als Produktionsmittel eingestuft wurden, werden sie erkenntnistheoretisch wie rechtlich als Ding oder Sache, als nach Belieben zu benutzendes Neutrum verstanden.

Wie zentral ihre Arbeit für die industrielle Produktivkraftentwicklung war, wie wesentlich aller zivilisatorischer Fortschritt auf der Ausbeutung der Tiere basiert, hat Jason Hribal in zwei vieldiskutierten Schriften [2] herausgearbeitet. Ohne ihre kognitive und physische Leistungsfähigkeit hätten nichtmenschliche Tiere nicht den genügsamen und gehorsamen Roboter vorwegnehmen können, ohne ihre Empathie für den Menschen, die ihnen zuguterletzt das möglichst klaglose Dahinscheiden unter dem Schlachterbeil abverlangt, hätte das Programm der Domestizierung nicht durchgeführt werden können. Die Arbeit der Tiere ist wie die der Menschen im Kapitalismus einem Zwangsverhältnis geschuldet, wobei letzterer allerdings als doppelt freie LohnarbeiterIn nominell über das Recht verfügt, alle Arbeit zu verweigern. Die heute in den Fertigungsketten für tierisches Protein und Fett geleistete Arbeit der sogenannten Nutztiere reduziert diese hingegen auf biologische Module eines hochgradig automatisierten und rationalisierten Biokonverters, in dem pflanzliche Produkte in Tiersubstanzen verwandelt werden.

Die MacherInnen des von Arte France produzierten Dokumentarfilms "Brauchen Tiere Rechte?" verlegen sich in ihrer Argumentation auf die Ergebnisse neuester Forschungen, bei denen immer mehr bislang unbekannte Seiten und Facetten kognitiver Fähigkeiten nichtmenschlicher Tieren entdeckt werden. Sie dennoch wie eh und je zu töten, um aus ihren Körpern Nahrungsmittel und Rohstoffe für Textilien wie pharmazeutische und chemische Produkte aller Art herzustellen, nachdem sie in der Massentierhaltung und in Forschungslabors auf grausame Weise traktiert wurden, entspricht dem Stand technischer Produktivkraftentwicklung und kapitalistischer Verwertungslogik. Nichts anderes gilt für die Ausbeutung von Menschen, die auf den Feldern und in den Bergwerken, auf den Müllhalden und in den Textilfabriken, den Abwrackbetrieben und Schlachthöfen des Globalen Südens unter horrenden Bedingungen dafür sorgen, in einer nur wenige Jahrzehnte umfassenden Lebensspanne Nachkommen aufzuziehen, die ihrerseits als Betriebsstoff in die große Maschine des kapitalistischen Weltsystems eingespeist werden.

Vor diesem Hintergrund die Frage nach dem Rechtsstatus nichtmenschlicher Tiere zu stellen, wie in dem Dokumentarfilm auf repräsentative, viele relevante Akteure einbeziehende Weise getan wird, unterstellt zum einen eine Wirksamkeit rechtlicher Codices, die Milliarden Menschen trotz des Schutzes erklärter und angeblich unveräußerlicher Grundrechte verhungern und verdursten läßt, sie zu Opfern ökologisch untragbarer Lebens- und physisch wie psychisch auszehrender Arbeitsbedingungen macht. Unveräußerlich ist die Form des Rechts, nicht sein Inhalt, der jederzeit und nicht nur im Ausnahmezustand mit legalistischen Mitteln aufgehoben werden kann. Umschifft wird die sich für menschliche wie nichtmenschliche Tiere stellende Machtfrage, die auf sozialrevolutionäre Weise final zu beantworten bislang scheiterte.

Vergessen wird zum andern, daß kein Recht wirksam wird, wenn es keine geschäfts-, vertrags- und schuldfähigen Rechtssubjekte gibt, die es in Anspruch nehmen. Als ultimativer Garant des Rechtes kann das staatliche Gewaltmonopol Rechte ebenso entziehen wie zugestehen. Wer sich nicht als kognitiv handlungsfähig genug erweist, um den Status der Mündigkeit zuerkannt zu bekommen, dem oder der wird im bürgerlichen Rechtsstaat alle eigenverantwortliche Teilhabe an diesem aberkannt. Demenzkranke, geistig behinderte, psychiatrisierte Menschen taugen nicht zum Rechtssubjekt, weil sie in ihrer Pflicht, sich an die Regeln vertraglicher Bindung zu halten, unberechenbar sind. Gesellschaftliche Naturverhältnisse zeichnen sich dadurch aus, daß sie der Natur zugeordnete Lebewesen den Objektstatus der gesellschaftlichen Eigentumsordnung aufoktroyieren, obwohl seit jeher bekannt ist, daß nichtmenschliche Tiere schmerzempfindende und zu Empathie fähige Lebewesen sind.

Wie Thomas Krüger in dem hörenswerten Vortrag "Animal Riots. Zur kritischen Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses" [3] feststellt, geht es bei der sogenannten Rechtspflege im bürgerlichen Rechtsstaat nicht darum, Gerechtigkeit herzustellen oder andere universelle Rechtsinhalte zur Geltung zu bringen, sondern die Konsistenz der Rechtsform zu sichern, um gesellschaftliche Vermittlungsprozesse unter Wahrung des bloßen Formzusammenhangs zu ermöglichen. Der Begriff des Formalrechtlichen hebt nicht nur auf eine unverbindliche Konvention ab, sondern postuliert den Charakter des Rechts als Vollzug von Interessen ganz verschiedener und nicht notgedrungen wertekonsistenter Art. Die Justiz ist nicht an der Sinnhaftigkeit ihrer Normen interessiert, sondern sichert die Anwendbarkeit des Normsystems durch dessen möglichst abstrakte, auf vielerlei Fälle anwendbare Kodifizierung.

Von daher, und darin liegt vor allem die Verkennung der in dem Dokumentarfilm präsentierten Argumentationen, haben Recht und Moral nicht nur nichts miteinander zu tun, sondern stehen sich auf einander ausschließende Weise gegenüber. So heißt es im Tierschutzgesetz an prominenter Stelle: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." [4]. Ausnahmen sind wesentlicher Bestandteil der Rechtsform, und wenn sie auf eine so schwer bestimmbare Kategorie wie die der Vernunft abheben, dann sind legalistischer Willkür Tür und Tor geöffnet. Diktatoren, Tyrannen und Menschenschinder aller Art hatten stets das Recht auf ihrer Seite. Auch in der repräsentativen Demokratie tritt der paternalistische Charakter des bürgerlichen Rechsstaates an vielen Stellen hervor, und sei es dadurch, daß er das Eigentum, nicht aber das Leben schützt.

Der Subjektcharakter eines nichtmenschlichen Tieres tritt in dem Anliegen jedes Lebewesens hervor, sich frei von Zwang und fremder Beeinflussung entfalten zu können. Dies zu attestieren ist mit Instanzen bürgerlichen Rechtes unvereinbar, die nichtmenschliche Tiere der Verfügungsgewalt ihrer EigentümerInnen unterwerfen. Selbst wenn einigen - nach wissenschaftlichen Kriterien "höherstehenden" Arten - Individualrechte zuerkannt würden, blieben diese einer Arbeitsgesellschaft unterworfen, in denen ihnen bestenfalls Lohnsklaverei zugedacht wäre. Eine grundrechtliche Entscheidung, in der die Maßstäbe und Kriterien einer Wissenschaft Geltung erhielten, die das gezielte, dem Erhalt des eigenen Lebens zugedachte Vorgehen nichtmenschlicher Tiere in experimentellen Anordnungen untersucht und zu der Erkenntnis gelangt, daß die Probanden zählen können, reflektierte Wertmaßstäbe und Erkenntnispostulate anthropozentrischer Art, die mit den davon betroffenen Lebewesen nichts zu tun haben.

Ob Tiere Rechte brauchen, müssen diese selbst entscheiden. Sie zu Subjekten einer von ihnen nicht geschaffenen und anerkannten Rechtsordnung zu machen entspricht dem paternalistischen Charakter derselben. Die vermeintlich erstaunlichen Ergebnisse der Tierverhaltensforschung, die in dem Arte-Dokumentarfilm präsentiert werden, verraten vor allem etwas über den eingeschränkten Horizont von Wissenschaften, die die eigenen Erkenntnisgrundlagen absolut setzen, um die Souveränität der Objekte ihrer Forschung zu relativieren. Die Debatte um Tierrechte ist eine ganz und gar menschliche - sie ignoriert schlichtweg die Subjektivität einer Natur, die jenseits ihrer menschengemachten Begrifflichkeit so sehr für sich ist, daß sie keiner anthropozentrischen Bewertung, wissenschaftlichen Objektivierung und ökonomischen Aneignung zur Verfügung steht.


Fußnoten:

[1] "Brauchen Tiere Rechte?" Regie: Martin Blanchard, Frankreich 2015, 90 Min.
Nächster Ausstrahlungstermin: Freitag, 3. August um 09:30 auf arte
https://www.arte.tv/de/videos/055175-000-A/brauchen-tiere-rechte/

[2] Jason C. Hribal: Animals, Agency, and Class: Writing the History of Animals from Below
www.humanecologyreview.org/pastissues/her141/hribal.pdf
Jason C. Hribal: Animals are Part of the Working Class Reviewed
www.borderlands.net.au/vol11no2_2012/hribal_animals.pdf

[3] Animal Riots. Zur kritischen Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses
http://audioarchiv.k23.in/Referate/Veganismus-Reihe_Jena/Thomas_Krueger_-_Zur_kritischen_Theorie_des_Mensch-Tier-Verhältnisses.mp3

[4] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html

1. August 2018


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