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RAUB/1160: Klimawandel - auf dem Rücken des Bürgers ... (SB)



Einmal mehr mahnt der Weltklimarat IPCC "schnelles und weitreichendes Handeln" zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau an. Dabei sind ein Grad Erwärmung bereits erreicht, und das in der erdgeschichtlich kurzen Zeit von 200 Jahren, in denen der CO2-Gehalt der Atmosphäre von weniger als 280 auf 410 parts per million (ppm) zunahm. Ohne anthropogene Klimabeeinflussung bedarf es zu einer solchen Veränderung im Gasgemisch der Atmosphäre zwischen 5000 und 20.000 Jahren. Das ist nur ein Indikator von vielen, die massive Veränderungen im Weltklima ankündigen. Sogenannte Extremwetterereignisse, die sich schon jetzt häufen, werden ganze Regionen unbewohnbar machen, zu Ernteausfällen führen und Wanderungsbewegungen initiieren, die das Ausbrechen massenhafter Überlebenskämpfe archaischer Art befürchten lassen.

All das ist bekannt und wird dennoch nach Kräften ignoriert. Die Krisenkonkurrenz der Nationalstaaten wird mithilfe von Wachstumsprognosen und Wettbewerbsfähigkeit, von Schuldendiktaten und Protektionismus, von Autoritarismus und Krieg auf in jeder Hinsicht zerstörerische Weise ausgetragen. Die standortbezogene Industriepolitik hat der prinzipiell kosmopolitischen Klimapolitik noch immer den Rang abgelaufen. Gegenüber den Partikularinteressen der Auto- und Luftfahrtindustrie, der Energie- und Lebensmittelkonzerne, der Einzelhandelsunternehmen und Finanzwirtschaft haben Anliegen von menschheitsgeschichtlicher Bedeutung bestenfalls die Funktion von Feigenblättern, die immer dann vor den nackten Eigentumsanspruch gehalten werden, wenn die Vergewaltigung der Natur und damit anderer Menschen so deutlich hervortritt, daß auch den FreundInnen des gehobenen Konsums der Appetit vergeht.

Kurz gesagt, Appelle des Weltklimarates haben bestenfalls die gegenteilige Wirkung. Wenn eine Instanz globaler Sorge mit Dringlichkeit zum Handeln mahnt, entsteht der Eindruck, es gebe bereits eine Zuständigkeit, daher werde sicherlich auch etwas getan. Wer einen so hohen ideellen wie politisch machtlosen Status wie der IPCC hat, muß zudem darauf bedacht sein, niemandem zu sehr vors Schienenbein zu treten. Das könnte fatale Auswirkungen auf die eigene Existenz haben, wie die notorischen Attacken des US-Präsidenten auf die Vereinten Nationen belegen. Donald Trump ist nur ein Beispiel für eine ganze Riege nationalchauvinistischer Staats- und Regierungschefs, die das staatliche Gesamtprodukt und damit die eigene Machtstellung durch die ungehemmte Inanspruchnahme kostenloser Naturressourcen sichern wollen. Ob dies, wie im Falle des US-Präsidenten, ganz offen wie beim Hochjubeln der Kohle- und Frackingindustrie als Projekt nationalen Reichtums geschieht, oder eher unter dem Mantel angeblicher Sachzwänge wie in der EU, wo Umweltstandards regelmäßig zugunsten von Wettbewerbsvorteilen unterlaufen werden, macht im Ergebnis kaum einen Unterschied.

Das demgegenüber errichtete Szenario eines grünen Kapitalismus, der den Klimawandel durch "marktbasierte Mechanismen" - Verhaltensänderungen beim Verbrauch, unter anderem bedingt durch den Kauf sogenannter Verschmutzungsrechte, die Quantifizierung von Natur als Ökosystemleistungen, technologische Innovationen zur Effizienzsteigerung - ausmanövrieren will, nimmt den vermeintlichen Sachzwang der Kapitalverwertung in Anspruch. Als gesellschaftliche Produktionsweise sei der Kapitalismus unter allen denkbaren Alternativen immer noch am leistungsfähigsten, heißt es, also soll die notwendige Reduktion von Treibhausgasen und anderen Umweltgiften marktimmanent über den anwachsenden Preis zerstörerischer wie die Verbilligung ökologisch nachhaltiger Praktiken ausgesteuert werden.

Doch dieses Konzept kann nicht funktionieren. Die externalisierten Kosten sind allein durch technische Effizienzsteigerung nicht einzuholen, und ihre vollständige Einpreisung würde den ohnehin mit Anlageproblemen durch massiv akkumuliertes Kreditgeld belasteten Kapitalismus vollends zum Erliegen bringen. Doch selbst wenn sich ein ökologisch nachhaltiges Preisniveau durch die Verteuerung der Waren um die bislang nicht eingerechnete Nutzung kostenloser Naturleistungen etablieren ließe, würden Milliarden Menschen nicht mehr in der Lage sein, ihre fundamentalen Lebensbedürfnisse zu befriedigen.

Der grüne Kapitalismus krankt an der Lebenslüge, sich nicht einzugestehen, daß die allein am Tauschwert - dem Prinzip, aus Geld mehr Geld zu machen - und nicht am Gebrauchswert - der sozialökologischen Bedürfnisbefriedigung - orientierte Kapitalakkumulation auf eine bezahlbare Nachfrage setzt, die jetzt schon über 800 Millionen Menschen zu Mangelernährung und Hunger verurteilt. Die Anrechnung aller bislang externalisierten Kosten in Produktion und Zirkulation müßte erhebliche Lohnsteigerungen zur Folge haben, um die Menschen weiterhin mit den Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu versorgen, um von der Inanspruchnahme renditeträchtiger Investivgüter wie vermietbarem Wohnraum nicht zu sprechen. Dem steht entgegen, daß die durch starken Rationalisierungs- und Flexibilisierungsdruck kostengünstig gemachte Lohnarbeit wie die sklavenartige Ausbeutung im Globalen Süden ein zentraler Faktor betriebswirtschaftlicher Logik und wesentliche Bedingung der Verfügbarkeit erschwinglicher Konsumgüter hierzulande sind.

In dem suggerierten Szenario eines ökologisch nachhaltigen Kapitalismus müßte das Lohnniveau der Arbeit zusätzlich zu den stark ansteigenden Kosten für Ressourcen wie Wasser, Luft, Land, Rohstoffe, Verkehrsinfrastruktur et cetera erheblich höher sein, um den Kauf dementsprechend verteuerter Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Mobilitäts- und Gesundheitsleistungen ermöglichen zu können. Da der Preis der Arbeit den dynamischsten Anteil an den Produktionskosten darstellt, wie die darum geführten Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital belegen, wird er auch und gerade in einer grünen Marktwirtschaft so sehr unter Druck stehen, daß alle Ein-Euro-Shops und Tafeln des Landes nicht ausreichen, um die daraus resultierende Einkommenslücke zu schließen.

Die soziale Frage wird im neoliberalen Kapitalismus ohnehin nach Kräften mit der individuellen Bezichtigung beantwortet, laut der die persönliche Misere durch eigenes Versagen und schuldhaftes Verhalten bedingt sei. Wenn sie zudem unter die Räder ökologischer Zwangsverhältnisse gerät, dann ist leicht ersichtlich, daß der grüne Kapitalismus ein menschenfeindliches, bezogen auf die sich ausweitenden Hungerregionen und Kriegsszenarien tendenziell genozidales Entwicklungsmodell sein wird. Wo der Markt die Verteilungsordnung bestimmt, steht und fällt das Leben des Menschen mit seiner Zahlungsfähigkeit. Wird diese zum Steuerinstrument des ökologischen Krisenmanagements, dann siegt Malthus über Marx, dann gebietet die Quantifizierung des Lebens über die Qualifizierung des Menschen zum solidarischen Handeln im Sinne eines Gattungswesens.

Höchste Zeit also, über einen radikalen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen nachzudenken. Wenn die soziale und die ökologische Frage auseinanderdriften, weil die eine nur zu Lasten der anderen und vice versa zu beantworten sei, dann liegt die Zukunft ihrer Konvergenz in der Überwindung der kapitalistischen Eigentumsordnung. Ohne eine Form von Ökosozialismus, in dem die Eigentumsfrage dem Erhalt der Grundlagen des Lebens nachgeordnet und Ressourceneffizienz im kollektiven Sinne angestrebt wird, ist beides nicht unter einen Hut zu bringen. Da dringende Appelle wie der aktuelle Sonderbericht des Weltklimarates zu nichts anderem als angestrengtem Weggucken führen, kann ebensogut um das Unmögliche eines kosmopolitischen Ökosozialismus gekämpft werden.

8. Oktober 2018


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