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RAUB/1181: Dammbruch der Gifte - gängige Praxis ... (SB)



Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Opfern zu helfen, die Schäden gering zu halten, die Fakten zu ermitteln, für Gerechtigkeit zu sorgen und diese Tragödien für die Brasilianer und die Umwelt künftig zu verhindern.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro auf Twitter [1]

Daß der rechtsextreme brasilianische Staatschef im Ruf steht, den Unternehmen weitgehend freie Hand zu lassen und den Umweltschutz zu schleifen, ist indessen nur ein Grund, davon auszugehen, daß das Regierungshandeln seine eingangs zitierten Worte Lügen strafen wird. Ein anderer Grund ist die Vorgeschichte des Bergbaukonzerns Vale. Im Jahr 2015 kam es im Bundesstaat Minas Gerais zur "Tragödie von Mariana", als in einem Eisenerzbergwerk der Damm an einem Rückhaltebecken brach. Seinerzeit kamen 19 Menschen ums Leben, als sich eine riesige Welle mit Schlamm und schädlichen Stoffen in die angrenzenden Ortschaften ergoß, sie nachhaltig verunreinigte und den Fluß Rio Doce auf rund 650 Kilometern Länge kontaminierte. Bis in den Atlantik floß die braunrote Brühe. Bei der bis dahin größten Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens waren 55 Millionen Kubikmeter toxischen Schlamms in die Umwelt gelangt. Das damalige Betreiberunternehmen Samarco gehörte ebenfalls Vale sowie dem australisch-britischen Konzern BHP. Die Mine hat ihren Betrieb seither nicht wieder aufgenommen, bis heute warten Hunderte Familien auf Entschädigungszahlungen der Bergbaufirma. [2]

"Diese neue Katastrophe ist die traurige Konsequenz davon, dass die brasilianische Regierung und die Bergbauunternehmen nichts dazugelernt haben", so die Umweltorganisation Greenpeace heute. "Das ist kein Unfall, sondern ein Umweltverbrechen, das bestraft werden muss." Naturschutzverbände fordern eine strengere Kontrolle. "Brasilien muss die Regierungsbehörden stärken, die die wichtige Aufgabe haben, die wirtschaftlichen Aktivitäten mit hohem Risiko für Umwelt und Gesellschaft zu überwachen", sagte der Direktor der Naturschutzorganisation WWF in Brasilien, Mauricio Voivodic.

Bei der aktuellen Katastrophe ist die Zahl der bestätigten Todesopfer auf 58 gestiegen, 305 weitere Menschen werden noch vermißt, wie die Zivilschutzbehörde mitteilte. Wenngleich die Hoffnung schwindet, noch Überlebende zu finden, wird die Suche fortgesetzt. "Es sind viele Vermisste. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie tot sind, ist erheblich gestiegen", sagte der Minister für regionale Entwicklung, Gustavo Canuto. Nach dem Dammbruch an der Eisenerzmine Córrego do Feijao des Bergbaukonzerns Vale im Bundesstaat Minas Gerais war eine riesige Schlammlawine über Teile der Anlage und benachbarte Siedlungen hinweggerollt und hatte Menschen und Tiere, Häuser und Straßen unter sich begraben. Laut Firmenangaben ergossen sich 12 Millionen Kubikmeter Minenabfälle in die benachbarte 39.000-Einwohner-Stadt Brumadinho. Die meisten Opfer der Katastrophe waren offenbar Beschäftigte des Minenkonzerns Vale. Dessen Chef, Fábio Schvartsman, sprach von einer "fürchterlichen Tragödie" und berichtete, die Schlammlawine habe unter anderem die Kantine des Bergwerks unter sich begraben, als die Arbeiter gerade beim Mittagessen saßen. "Wir gehen von einer hohen Opferzahl aus." [3]

Am frühen Sonntagmorgen befürchteten die Experten eine weitere Katastrophe an dem Bergwerk, da Vale wegen steigender Pegelstände an einem weiteren Damm Alarm auslöste. Die Feuerwehr rief die Bevölkerung der Stadt Brumadinho auf, sich in hochgelegene Gebiete in Sicherheit zu bringen. Die Suche nach den Vermißten wurde vorübergehend eingestellt. Wenig später gab die Zivilschutzbehörde Entwarnung, es bestehe keine Gefahr mehr. [4]

Der Vale-Konzern ist der weltweit größte Exporteur von Eisenerz und mit rund 74.000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 34 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 eines der wichtigsten Unternehmen des Landes. Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Untersuchung eingeleitet, um die Verantwortlichen für das Unglück zu ermitteln, und die Regierung des Bundesstaates Minas Gerais ließ etwa 1,3 Milliarden Dollar des Konzerns für etwaige Entschädigungszahlungen und Aufräumarbeiten sperren. Brasilianische Medien berichteten, daß bei der Lizenzvergabe zum Weiterbetrieb der Mine mehrere Umweltschutz- und Sicherheitsverfahren übersprungen worden seien.

"Wir tun alles, um die Sicherheit und Stabilität der Dämme sicherzustellen", versicherte Schvartsman hingegen in einer Erklärung. Er berief sich darauf, daß der deutsche TÜV Süd die Dämme erst im vergangenen Jahr geprüft habe, was das Unternehmen in München auf Anfrage bestätigte. Bei der Inspektion im September seien "nach unserem momentanen Kenntnisstand keine Mängel festgestellt" worden, sagte ein Unternehmenssprecher. "Wir werden die Ermittlungen vollumfänglich unterstützen und den Ermittlungsbehörden alle benötigen Unterlagen zur Verfügung stellen." Nach Angaben Schvartsmans wurden auch bei einer weiteren Inspektion am 10. Januar keine Mängel entdeckt.

Allerdings war der 1976 gebaute und 86 Meter hohe Damm zum Abriß vorgesehen. Protestierende Anwohner berichten nun, daß die Menschen stets Angst gehabt hätten, daß der Damm eines Tages brechen würde, auch wenn Vale stets garantiert habe, daß er sicher sei. Das Problem mit Vale in dieser Region sei die maßlose Ausbeutung. Es gebe keine Kontrolle, so Protestierende. Sie fordern, daß der Konzern die Anlage in Brumadinho unverzüglich verläßt. Im Zentrum der Kontroverse steht eine Lizenz, die Vale erst Anfang Dezember 2018 erhalten hat. Sie erlaubt es dem Unternehmen, seine Aktivitäten in der Eisenerzmine von Brumadinho auszuweiten. Maria Teresa de Freitas Corujo ist Beraterin der Kammer für Bergbau im Umweltausschuß des Bundesstaates Minas Gerais. Sie hatte sich gegen die Vergabe der Lizenz ausgesprochen. "Vale machte Druck, um alle Lizenzen, die der Konzern benötigte, in nur einer Sitzung der Bergbaukammer erteilt zu bekommen", so Freitas Corujo im Interview mit der Deutschen Welle. Aus den Unterlagen zur Lizenzvergabe geht hervor, daß der Konzern grünes Licht bekam, um bestimmte Stoffe aus dem Abraumbecken, das jetzt zerstört ist, abzubauen. [5]

Ob es bereits derartige Arbeiten gegeben hat, ist bislang nicht bekannt. Da es zum Zeitpunkt des Dammbruches weder regnete noch die Erde bebte, bleiben für Maria Teresa de Freitas Corujo nur zwei Möglichkeiten: "Entweder hat Vale gelogen, als man sagte, der Staudamm wäre sicher oder der Konzern hat bereits mit den Arbeiten zur Gewinnung der Stoffe aus dem Abraumbecken begonnen - und dabei muss es dann zu einem Fehler gekommen sein."

Daß es sich bei der erneuten Katastrophe nicht um einen unvorhersehbaren Unglücksfall, sondern eine fast zwangsläufige Folge der Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Interessen zu Lasten der ansässigen Bevölkerung und der Umwelt handelt, belegt ein Rückblick auf die Konsequenzen, die auf die "Tragödie von Mariana" vor drei Jahren gezogen wurden. Nur einen Monat nachdem dort der Staudamm gebrochen war, verabschiedete der Bundesstaat Minas Gerais ein Gesetz, welches die gesamte Struktur zur Lizensierung von Umweltaspekten veränderte. Diese wurde jedoch nicht etwa strenger gefaßt, sondern im Gegenteil noch einfacher. Die mit dem Gesetz ins Leben gerufene sogenannte "Obere Aufsicht für vorrangige Projekte" wurde nach Auffassung von Klemens Laschefski, Professor an der Universität von Minas Gerais, nur zu einem Zweck gegründet: Um den Umweltrat des Bundesstaates unter Druck zu setzen, damit diejenigen Projekte, die der Gouverneur für wichtig erachtet, schneller bearbeitet werden können.

"Die Unternehmen, die diese Gesetze fordern, sind die gleichen, die die Wahlkampfkampagnen der Regierungspartei finanziert haben. Welche Bauarbeiten also genehmigt werden, entscheiden die Interessen der Konzerne", kritisiert Laschefski. Die Gründung der "Oberen Aufsicht für vorrangige Projekte" habe den Umweltaspekt im Bergbaubereich mehr als alle anderen Maßnahmen in den Hintergrund gedrängt. Die Lizenzvergabe findet jetzt gewissermaßen an der Verkaufstheke statt, der Staat verabschiedet sich von jeglicher Kontrolle, die diesen Namen verdient.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_85156566/dammbruch-in-brasilien-dutzende-leichen-aus-schlammlawine-geborgen.html

[2] www.taz.de/!5565614/

[3] www.stern.de/panorama/weltgeschehen/brasilien--dammbruch-mit-58-totentuev-sued-bestreitet-mitschuld-8553362.html

[4] www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/brasilien-nach-dammbruch-in-brumadinho-steigt-zahl-der-todesopfer-auf-58-a-1250261.html

[5] www.dw.com/de/dammbruch-in-brasilien-suche-nach-den-verantwortlichen/a-47252179

28. Januar 2019


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