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RAUB/1199: Luftraum - imperiale Okkupation allgemein verfügbarer Ressourcen ... (SB)



Während sich logistische Infrastrukturen in Gestalt konzentrierter Knoten wie Häfen, Landhäfen oder Datenzentren präsentieren, besteht ihre Wirklichkeit in einer verteilten und resilienten Form von Macht, die Ungleichgewichte und spezifische Ausbeutungsbedingungen in Wert setzt und reproduziert. Während logistische Infrastrukturen eine Welt der Unternehmen mit selektiven Grenzen zelebrieren, müssen wir eine transnationale politische Kommunikation herstellen, mit der Forderungen erhoben werden, die der fortwährenden Mobilität von MigrantInnen in Europa und darüber hinaus entsprechen.
Logistics, Power, Strike: Elements for the Political Infrastructure[1]

Der in der EU offiziell erhobene Anspruch auf die freie Bewegung von Personen endet an den Außengrenzen des Staatenbundes und ist ohnehin nur gültig im Kontext der sogenannten Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Allein zur Erfüllung von Sinn und Zweck des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen und Kapital ist die Einwanderung in die EU legitim und erwünscht. Besonders augenfällig wird dies in der Unterscheidung des Reisens auf geographisch vertikaler Achse - von der EU ausgehenden Flugreisen steht die Welt offen, wer sie zu Fuß in Richtung EU erschließen will, ist mit einem selektiven Grenzregime konfrontiert, das flüchtende Menschen abwehrt und eventuell gewährten Zutritt an den potentiellen ökonomischen Nutzen der MigrantInnen bindet.

Dieses Mißverhältnis gründet im Kern auf dem Interesse an der Ausbeutung von Arbeit im Rahmen einer weltweiten Logistik, die die Produktivitätsunterschiede der verschiedenen Länder und Regionen als Hebel der Kapitalakkumulation einsetzt. Um Geschäfte in aller Welt machen zu können, ist der freie Flugverkehr unentbehrlich, denn vieles läßt sich nicht mit elektronischer Datenkommunikation organisieren. Zudem befürchten Unternehmen, die in einem stark umkämpften Markt agieren, auf diesem Wege von der Konkurrenz ausspioniert zu werden. Der imperiale Anspruch auf Kapitalverwertung an jedem Ort zu jeder Zeit und zu möglichst selbstgewählten Bedingungen wird durch die physische Präsenz der transnationalen Managerklasse und ihrer temporären Residenz in einer der Global Cities unterstrichen, die nur per Flugzeug und einer auf die Flughäfen ausgerichteten Logistik der Straßen und Verkehrsmittel schnell und sicher zu erreichen sind.

Ohne dies wäre die Ausübung des Kommandos über die Billigarbeit in den Ländern des Südens ein weit zeitaufwendigerer und mit höheren Kontrollverlusten behafteter Teil der Verwertung lebendiger Arbeit. Verfügten die Menschen, die aus Mangel an Eigentum und Produktionsmitteln ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, über ein entsprechendes System global vernetzter Infrastruktur, mit dem dafür gesorgt werden könnte, daß Arbeitskämpfe und Streiks auf transnationaler Basis Wirkung entfalten, dann wäre das Gefälle zwischen den Standorten nicht ganz so steil. Die zwischen den Belegschaften ausgespannten Schwellen der Landesgrenzen wie der zu ihrer Überwindung anfallenden Reisezeiten und -kosten, der nationalen Unterschiede der Sprachen und Rechtssysteme begünstigen transnational opererierende Unternehmen, die von den regionalen und nationalen Unterschieden bei Entlohnung und Arbeitsrecht profitieren und Arbeitskämpfe durch die Verlagerung der Produktion in ein Werk im Nachbarland ins Leere laufen lassen können.

Darüberhinaus ist die Flugverkehrsbranche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und hat eine hochprofitable Tourismusindustrie hervorgebracht, die das Wohlstandsversprechen des neoliberalen Kapitalismus bekräftigt, seit NormalverdienerInnen touristische Trips in alle Welt offenstehen. Während die Infrastruktur des Fliegens mit Megaairports, einem dichten Netz von Direktflügen und der Erreichbarkeit wichtiger Metropolen im Stundentakt glauben macht, die Welt sei enger zusammengerückt, stimmt dies für flüchtende Menschen und ArbeitsmigrantInnen aufgrund der drakonischen Grenzregimes immer weniger.

Global gesehen bleiben Flugreisen das Privileg von rund 5 Prozent der Weltbevölkerung. Diese nehmen für sich den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an natürlichen Ressourcen von allen Fortbewegungsformen in Anspruch, so daß die Mobilität dieses Klassenverhältnisses auch eine Form kolonialer Naturausbeutung beinhaltet. Dennoch wurde der internationale Flugverkehr weder im Klimaabkommen von Kyoto noch von Paris in die Pflicht genommen. Bis heute muß die Flugverkehrsbranche keine Steuern für das Flugbenzin zahlen, internationale Flüge sind von der Mehrwertsteuer und dem Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) ausgenommen, und der Bau von Flughäfen wird in hohem Ausmaße staatlich subventioniert. Auf diese Weise wird der extreme Naturverbrauch pro Personenkilometer auf eine Allgemeinheit umgelastet, die mit MigrantInnen das Gegenteil dessen macht, was sie mit der Hofierung der Luftfahrtindustrie praktiziert.

Für die Klimagerechtigkeitsbewegung liegt daher nahe, nicht nur eine Einpreisung der ökologischen Kosten des Flugverkehrs oder am besten dessen weitgehende Einstellung zu fordern, sondern im Gegenzug auch diejenigen Menschen zu unterstützen, deren Mobilität kriminalisiert oder ökonomisch selektiert wird. Die Einladung "Refugees Welcome" und der Ruf "No Borders" sind keineswegs nur ethische, den Universalismus der Menschenrechte beim Wort nehmende Forderungen. Eine sozialökologisch gerechte und nachhaltige Politik erhebt freie Bewegung für alle Menschen auch deshalb zu einer Kernforderung, weil dies in einer Welt finaler Ressourcen den Kampf um den Erhalt der Lebensgrundlagen von unten repräsentiert.

Zumindest theoretisch könnten die Wanderungs- und Fluchtbewegungen von Millionen aus den bereits jetzt unbewohnbar werdenden Regionen in Äquator- und Küstennähe die Radikalität einer Verbrauchs- und Wachstumsbegrenzung erzwingen, ohne die die im Verlauf der Industrialisierung aufgehäuften Schulden wirtschaftlicher Entwicklung nicht zu begleichen sind. Wer eine solche Entwicklung moralisch unterfüttern möchte, braucht nur darauf zu verweisen, daß der in Westeuropa und Nordamerika von nicht allen, aber vielen Menschen genossene Reichtum historisch das Ergebnis der Kolonisierung der Welt durch westeuropäische Staaten und ihrer imperialistischen Bewirtschaftung durch die USA und ihre Verbündeten darstellt.

Die gegen die Freiheit der Bewegung gerichtete Renationalisierung der Staaten und die aus angeblichen Gründen nationaler Vorteilsnahme vollzogene Einschränkung etablierter Freihandelssysteme müßte folgerichtigerweise auch das erreichte Ausmaß an Extraktion von Naturressourcen wie lebendiger Arbeit jenseits der eigenen Grenzen zurückfahren. Spätestens wenn man die Besinnung aufs Nationale beim Wort nimmt und daran erinnert, daß dies vollständig nur mit weitgehender Rohstoffautarkie gelingen kann, wird sich zeigen, wie sehr das von der Neuen Rechten propagierte Hochziehen der Grenzmauern und Einfuhrzölle die Basis der eigenen Reichtumsproduktion in Frage stellt. Natürlich wollen die Herren über die Festung "Deutscheuropa" beides - den Schutz eigener Reichtümer durch hohe Zinnen und Mauern wie die Ausplünderung der umliegenden Bauerndörfer zur eigenen Ernährung.

Was im Ergebnis fast zwingend auf Bürgerkrieg hinausläuft, kann zumindest im Ansatz durch das Exponieren immanenter Widersprüche der Belagerungsmentalität als nicht nur menschenfeindliche, sondern ökologisch destruktive Politik bloßgestellt werden. Wenn Anspruch und Wirklichkeit des nationalchauvinistischen Ressentiments so weit auseinanderklaffen wie in diesem Fall, dann bietet sich an, den politischen Kampf gegen rechte Parteien, die die Ablehnung aller Klimaschutzmaßnahmen als Wahlempfehlung in eigener Sache nutzen, angesichts ihrer anwachsenden Popularität nicht nur ideologisch, sondern auch unter Verwendung rationaler Argumente zu führen. Wie das Beispiel der FDP zeigt, schüren bereits Parteien der sogenannten Mitte die Angst vor klimapolitisch bedingten Wohlstandsverlusten, dem am besten mit dem konsequenten Zuendedenken kapitalistischer Verbrauchslogik und ihrer sozialfeindlichen wie naturzerstörerischen Folgen entgegenzutreten ist.


Fußnote:

[1] Transnational Social Strike Platform - Fall 2017 Journal
https://www.transnational-strike.info/wp-content/uploads/Logistics-the-Transnational-Social-Strike-%E2%80%94-TSS-Journal-Fall-2017-1.pdf

Im Original:
While logistics presents itself with the face of concentrated knots such as ports, land ports or data centres, its reality is a dispersed and resilient form of power which valorises and reproduces unbalances and specific conditions of exploitation. While logistics celebrates a corporate world with selective borders, what we need is to produce a transnational political communication by raising demands that resonate with the continuous mobility of migrants across Europe and beyond.

3. Juni 2019


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