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RAUB/1233: Sauerei - Tierwohl eine glatte Lüge ... (SB)



Weibliche Tiere werden doppelt ausgebeutet - im Leben und im Tod. Sie sind das wortwörtliche weibliche Stück Fleisch. Weibliche Tiere werden durch ihre Weiblichkeit unterdrückt, indem sie zu Ersatzammen gemacht werden. Wenn ihre (Re)produktionsfähigkeit endet, werden sie geschlachtet und zu Tierprotein verarbeitet, Protein in der Form von Fleisch.
Carol J. Adams - The Sexual Politics of Meat [1]

Mit dem Kastenstand, einem aus Eisenstangen bestehenden, wie ein rechteckiger Käfig aussehenden Geviert kaum größer als die Ausmaße eines ausgewachsenen Schweines, soll das Reproduktionsverhalten der Muttersauen unter effiziente Kontrolle gebracht werden. Bis zu fünf Wochen lang werden weibliche Schweine auf eine Fläche eingepfercht, auf der sie gerade einmal stehen und beengt liegen können, meist ohne sich umdrehen zu können. Angeblich um ihren Nachwuchs nicht zu erdrücken, tatsächlich aber auch um möglichst wenig Stallfläche in Anspruch zu nehmen, soll unter kostengünstigen Bedingungen möglichst viel Output für die Schlachtfabrik produziert werden. Die Sauen werden gezwungen, in ihrem Kot zu liegen, was Schweine generell höchst ungerne tun, sie können kaum Kontakt mit ihrem Nachwuchs aufnehmen, geschweige denn dem Impuls folgen, ihm Nester zu bauen.

Das sogenannte Tierwohllabel [2] sieht zwar eine etwas kürzere Befristung der Kastenstandhaltung je Geburtsvorgang vor, ändert jedoch nichts an der mehrere Wochen währenden Fixierung der Sauen im Kastenstand, wo sie auf nacktem Spaltenbetonboden liegen müssen. Seit einem Urteil aus dem Jahre 2016 müssen Sauen in den Kastenständen ungehindert auf der Seite liegen können, darüber geht auch das Tierwohllabel nicht hinaus. In der tierzüchterischen Praxis allerdings seien die Kastenstände, gestand das Agrarministerium ein [3], häufig so eng wie eh und je. Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will die Nutzung von Kastenständen für Muttersauen in der geplanten Reform der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung noch für weitere 17 Jahre erlauben und verspricht dazu, sich um eine Vergrößerung der Vorrichtungen und eine engere Befristung ihrer Nutzung zu sorgen.

Wie wohl sich die etwa 1,8 Millionen sogenannten Zuchtsauen der Bundesrepublik fühlen, die wie lebendige Ferkelfabriken gehalten werden und nach dem permanenten Wechsel von Besamung und Abferkeln im Schlachthof enden, bedarf keiner weiteren Überlegung. De facto handelt es sich bei diesen Lebewesen um Inkubatoren für die Fleischindustrie, denen jeder Eigensinn und jedes subjektive Verlangen durch ihre allein auf das Ergebnis möglichst vieler Ferkel ausgerichteten Haltungsbedingungen ausgetrieben werden soll.

Gleiches gilt für die Ferkel, die es der züchterischen Sorge weniger um ihr Erdrücktwerden denn um ihre möglichst große Zahl pro Wurf zu verdanken haben, daß einige nicht einmal die Schlachtreife eines kurzen Lebens von 5 bis 6 Monaten erreichen. Die Produktivitätssteigerung in der sogenannten Wurfgröße führt dazu, daß die Überlebenschance neugeborener Ferkel geringer wird, was den schwächsten unter ihnen zusätzliche Qualen zufügt [4].


"Feminisiertes Protein"

Wo man auch hinschaut, das vielbeschworene Tierwohl wird insbesondere an jenen Lebewesen, die den Nachwuchs für die Agroindustrie liefern sollen, grausam exekutiert. Kühe, denen die Kälber weggenommen werden, damit diese den Menschen nicht die Milch ihrer Mutter wegtrinken, Hühner, die auf Hochleistung beim Eierlegen getrimmt [5] als physisch ausgelaugtes Suppenhuhn enden, Schafe, deren Lämmer zum sprichwörtlichen unschuldigen Opfer gemacht werden, sind weitere Beispiele für die besondere Belastung, denen weibliche "Nutztiere" ausgesetzt sind. Vor ihrer Schlachtung steht die Tortur jahrelanger Produktion von Tierprotein, das in ihrem Körper erzeugt werden kann, ohne sie dazu schlachten zu müssen.

Dieses Sachverhaltes wegen spricht die feministische Autorin Carol J. Adams in ihrem 1990 erstmals veröffentlichten Klassiker "The Sexual Politics Of Meat" von "feminized protein". Sie meint damit Milch und Eier, deren Produktion zur doppelten Belastung weiblicher Tiere führt. Gleiches gilt im Prinzip für Schweinefleisch, denn es sind die Sauen, die den Nachwuchs in die Welt setzen, ohne die in der Bundesrepublik nicht bis zu 60 Millionen Schweine im Jahr geschlachtet werden könnten. In ihren Augen handelt es sich bei dieser spezifischen Form von Tierausbeutung um ein patriarchales Vorrecht, das zwar auch von Frauen ausgeübt, jedoch von Männern dominiert wird. Diesen den Konsum tierischen Proteins streitig zu machen stelle ihre Vormachtstellung akut in Frage, so Adams, die zu den frühen Feministinnen gehört, die Frauenunterdrückung und Tierausbeutung zusammendenken.

Die biologische Reproduktion von Tieren unter Kontrolle zu bringen ist ein wesentliches Anliegen züchterischer Intervention, daher bieten sich Parallelen zu entsprechenden Formen gegen Frauen gerichteter Sozialkontrolle in Hülle und Fülle. Gerade wenn Gewalt im Spiel ist wie etwa beim Fesseln weiblicher Hunde, die in diesem Zustand von einem Rüden "gedeckt" werden, oder das Abzapfen des Blutes trächtiger Stuten, was 30 Prozent in den dafür eingerichteten Blutfarmen nicht überleben, um das daraus gewonnene Hormon bei Zuchtsauen mit dem Ziel einzusetzen, die Wurfgröße zu steigern [6], sind Praktiken von struktureller wie expliziter patriarchaler Gewalt. Sie müssen nicht immer von männlichen Züchtern vollzogen werden, doch in diesem Gewerbe sind mehrheitlich Männer damit beschäftigt, die reproduktiven Fähigkeiten weiblicher Tiere für ihr Einkommen auszubeuten.

Auf diesem Feld streitbar tätig zu werden könnte durchaus eine Bereicherung des Kampfes von Frauen und LGTBIQ-Menschen um die eigene Befreiung darstellen. Das allerdings verlangte manchen AktivistInnen ab, den eigenen Umgang mit gesellschaftlichen Naturverhältnissen kritisch zu überprüfen, was sich jedoch als Unterfangen von hoher Erkenntnisdichte und anwachsender Handlungsfähigkeit erweisen könnte.


Fußnoten:

[1] Carol J. Adams: The Sexual Politics of Meat. A Feminist-Vegetarian Critical Theory, New York London 2010, S. 22

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1190.html

[3] https://taz.de/Tierschuetzer-gegen-Kaefige-fuer-Schweine/!5666524/

[4] https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/landwirtschaft/schweine/#c7679

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1201.html

[6] https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/landwirtschaft/pferdeblut-fuer-die-schweinezucht/

10. April 2020


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