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RAUB/1246: Mehr als nur Späne ... (SB)



Für den in der industriellen Machtpolitik verschulten Menschen fällt es schwer, sich Modernisierung eher als eine Senkung denn als eine Steigerung des Energieverbrauches vorzustellen. In seinen Augen ist eine fortgeschrittene Technik notwendig mit einem tiefen Eingriff in die physikalischen, geistigen und sozialen Prozesse verbunden. Wollen wir das Werkzeug in einer sinn- und zweckvollen Perspektive sehen können, dann müssen wir uns von der Illusion befreien, als setzte ein hohes Kulturniveau einen möglichst hohen Energieverbrauch voraus.
Ivan Illich - Selbstbegrenzung - "Tools for Conviviality" [1]

9 Milliarden Euro in eine untote Mobilitätsform zu stecken und dabei - je nach Lesart - 22.000 bis 26.000 Arbeitsplätze auszulöschen ist das Ergebnis einer Wirtschaftsweise, die nicht auskommt ohne massiven Verbrauch von Mensch und Natur. Sie machte sich schlicht selbst überflüssig, wenn sie versuchte, daran etwas zu ändern, wie ihre SachwalterInnen behaupten, wenn sie "grünes" Fliegen beschwören. Alle Welt weiß, daß die zivile wie militärische Luftfahrt im Ranking sozialökologisch zerstörerischer Verkehrsformen die Spitzenposition einnimmt. Das würde ohne die zahlreichen regulatorischen und fiskalischen Vergünstigungen, mit denen diese vornehmlich bessergestellten Menschen vorbehaltene Verkehrsform gepampert wird, noch deutlicher hervortreten als unter den Ausnahmebedingungen der Coronakrise.

Global betrachtet gehört auch der mit dem Billigflieger fürs Wochenende nach Malle jettende Gelegenheitstourist zur Elite derjenigen, die überhaupt schon einmal den Fuß in ein Flugzeug gesetzt haben. Legte man den Maßstab sozialer Gerechtigkeit an die zivile Luftfahrt an, dann könnte kaum von etwas anderem gesprochen werden als einer in höchstem Maße egoistischen, auf dem Rücken der großen Mehrheit der Menschen abhebenden Verkehrsform.

Noch vor kurzem hat die Flugverkehrsbranche mit Wachstumsraten von 5 Prozent im Jahr gerechnet und ihre langfristige Planung daraufhin ausgerichtet. Weltweit werden Mega-Airports errichtet, was in den meisten Fällen mit erheblichen ökologischen Belastungen, Gesundheitsbeeinträchtigungen als auch der Vertreibung ganzer Wohnbevölkerungen einhergeht [2]. Da das vielbeschworene grüne Fliegen aus entwicklungstechnischen Gründen auf sich warten läßt und auch im Falle der Verwendung klimaneutraler Treibstoffe, deren angebliche Harmlosigkeit rechentechnisch mit dem Erwerb von Verschmutzungsrechten und dem Zauberwort "Nettonull" inszeniert wird, die Frage unbeantwortet bleibt, ob die dafür verwendete Energie nicht an anderer Stelle sinnvoller und im Endergebnis weniger destruktiv eingesetzt werden könnte, hatte es die Branche bisher schon schwer, Legitimität außerhalb der Kreise direkt und mittelbar von ihr profitierender Personen zu erwirtschaften.

Mit der Coronapandemie ist der bislang eher unbeachtete Faktor in den Blickpunkt geraten, daß das durch die zivile Luftfahrt bewirkte zeitliche Schrumpfen des Planeten auf einen 24-Stunden-Horizont, innerhalb derer alle Global Cities per Flieger zu erreichen sind, auch die schnelle Verbreitung gefährlicher Infektionskrankheiten ermöglicht. Wie sich anhand epidemiologischer und genetischer Untersuchungen herausstellt, ist die schnelle weltweite Verbreitung von COVID-19 maßgeblich dem kontinenteübergreifenden Reiseverkehr geschuldet. Das ist für das weitere Wachstum dieser Verkehrsform nicht besonders werbeträchtig und auch in Sicht auf künftige Pandemien bedenkenswert. Zudem stehen die wohlhabenden Industriestaaten, deren Bevölkerungen für das Gros der Flugreisen verantwortlich zeichnen, vor einem durch die Pandemie beschleunigten Einbruch ihres Wirtschaftswachstums, so daß die erwartete Zunahme von Flugreisen, wie schon durch die Ausfälle während der Quarantänemaßnahmen eingeleitet, sich absehbar in die Gegenrichtung entwickeln wird.

Die Lufthansa zieht ihre Bedeutung, wie die von solchen Prognosen unbeeindruckte Rettung des Unternehmens durch den Staat zeigt, vor allem aus ihrer Rolle als Projekt nationaler Wettbewerbsfähigkeit. In Berlin will man gegenüber der internationalen Konkurrenz keinen Fußbreit Bodens preisgeben, könnte dies doch weitergehende Folgen für die Innovationsfähigkeit im Bereich des Flugzeugbaus, für den Wettbewerb der Tourismusanbieter und die Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland zeitigen. Je anspruchsvoller eine Technologie in ihrem Kapitalumschlag, ihrer wissenschaftlich-technischen Bemittelung und ihrem Ressourcenverbrauch, desto unverzichtbarer scheint sie den SachwalterInnen des deutschen Kapitalismus zu sein. Sie einfach als ökonomischen Schadensfall abzuwickeln, wie es das bis zum Erbrechen gepredigte Prinzip des Marktes erforderte, erscheint auch deshalb undenkbar, weil das der Anfang vom Ende einer zivilisatorischen Entwicklung sein könnte, die mit dem Einsatz fossiler Energie überhaupt erst das heute als normal empfundene Maß an Produktivitätssteigerung ermöglicht hat.

Flugzeuge, ob sie nun Bomben, zivile Fracht oder Passagiere zu fernen Zielen transportieren, sind vielleicht mehr noch als das Automobil Symbol nicht nur dieses Fortschrittes, sondern der durch ihn eröffneten zivilreligiösen Perspektive, Herr über alle materiellen Belange werden zu können. Die diesem patriarchalen, für die christliche Religion geradezu emblematischen Auftrag inhärente Aggressivität zeigt sich darin, daß die fossil befeuerte Raumüberwindung mit jeweils höherer Geschwindigkeit ein höheres Quantum an Zerstörungskraft freisetzt, die zu Lasten anderer Lebewesen und Menschen geht. Sich über die Köpfe von Menschen zu erheben, die davon nur träumen können oder vor verschlossenen Grenzen stehen, um ihr Leben zu retten, steht nicht nur symbolisch für die Überwindung physischer Trägheit, sondern löst auch das Hochgefühl aus, zumindest kurzfristig der Erdenschwere entkommen zu sein.

Die dabei produzierte Asche, sei es in Form der Partikelströme, die die Atmosphäre kontaminieren, oder der Umweltvergiftung, die der Produktion und dem Transport von Erdöl und Metallen geschuldet sind, legt sich als Bodensatz nur scheinbar überwundener Trägheit wie ein schwerer Schleier über das Leben. An der Spitze solcher Verbrennungsketten und Veraschungsprozesse eine Freiheit imaginieren zu können, die in dem organischen Wechselprozeß, der sie ermöglicht, ausschließlich negative Äquivalente hervorbringt, kann als Ertrag einer Mobilitätsform betrachtet werden, die in ihrer Zukunftsperspektive bereits verschwunden ist, weil die Erde und ihre Atmosphäre sie nicht mehr ertragen konnte.


Fußnoten:

[1] Ivan Illich: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, 1975, Reinbek bei Hamburg, S. 61

[2] https://stay-grounded.org/map/

12. Juni 2020


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