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REPRESSION/1298: Aufrüstung der Bürger unverzichtbar (SB)



"Was ist in unserer Gesellschaft los?" Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble plädiert dafür, nach der Tragödie von Winnenden erst einmal nachzudenken, bevor man über "alle möglichen sinnvollen und nicht sinnvollen Gesetze" (Deutschlandfunk, 13.03.2009) debattiert. Die Mahnung des CDU-Politiker zur Besonnenheit richtet sich insbesondere an jene Stimmen, die nun nach schärferen Waffengesetzen rufen und dabei monieren, daß die Mitglieder von Schützenvereinen ihre Schußwaffen zuhause aufbewahren dürfen. Seiner Ansicht nach reicht die herrschende Gesetzeslage aus, um zu gewährleisten, daß so etwas wie in Winnenden nicht passiert, sei in diesem Falle die strenge Auflage, alle Waffen im Privatbesitz sicher wegzuschließen, doch gerade nicht eingehalten worden.

Was an Schäubles Argument erstaunt, ist die Liberalität, die er in einem Fall gewahrt wissen will, bei dem außer dem Attentäter 15 Menschen ums Leben gekommen sind. Wenn im Rahmen der Terrorismusbekämpfung schon der Besuch fragwürdiger Websites kriminalisiert wird, müßte der Handlungsbedarf dort weit größer sein. Schäubles Eintreten für die Sportschützen, die mit Handfeuerwaffen wie der beim jetzigen Fall verwendeten Beretta hantieren, als handle es sich bei diesen zum gezielten Töten konstruierten Schußwaffen um bloße Sportgeräte, steht in krassem Widerspruch zur unbedingten Präventivlogik, mit der sogenannte Gefährder schon weit im Vorfeld möglicher Straftaten, also ohne Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts, in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.

Angesichts der Tatsache, daß die Bluttat von Winnenden weit mehr Opfer gefordert hat als alle Aktivitäten, die dem sogenannten islamistischen Terrorismus in der Bundesrepublik zugeschrieben werden, müssen Gründe für Schäubles Nachsicht vorliegen, die mit der vorgeblichen Frage nach der Sicherheit der Bürger nichts zu tun haben. So werden unbescholtene Muslime schon deshalb als sogenannte Terrorverdächtige staatlicher Überwachung ausgesetzt, weil sie einer landesfremden Kultur angehören und womöglich andere Vorstellungen von demokratischer Rechtsstaatlichkeit haben als gutbürgerliche Bundesbürger. Wenn aus deren Mitte mörderische Anschläge gegen Ausländer verübt werden, dann ist zwar die Betroffenheit groß, doch von Terrorismus will niemand reden. Wenn Vertreter des politischen Islam Vorstellungen vom Leben in der Bundesrepublik verbreiten, die nicht mit der Mehrheitsgesellschaft konform gehen, oder Kritik an der Politik der USA und Israels üben, dann ist man schnell mit dem Stigma des "Haßpredigers" bei der Hand. Wenn Jugendliche ihre Entfremdung von der Gesellschaft auf gewalttätige Weise zum Ausdruck bringen, wird nach dem Psychiater gerufen und eine psychopathologische Entwicklung diagnostiziert.

1,5 Millionen Sportschützen sind nicht nur ein politisches Klientel von vorzugsweise konservativer Gesinnung, mit der es sich die Unionsparteien nicht verscherzen wollen, sie repräsentieren auch eine Tradition des Umgangs mit Waffen, die im Umfeld bewaffneter Staatsorgane und als Vorfeld militaristischer Mobilisierung besonders starke politische Protektion genießt. Wie in den USA, wo die National Rifle Association erheblichen Einfluß auf die Washingtoner Politik ausübt und eine striktere Regulation des Waffenbesitzes zu verhindern weiß, verfügen die Vertreter des Schießsports hierzulande über einigen Einfluß, gegen den der Bundesinnenminister nicht unbedingt antreten will.

Daher läuft dieses Mal alles ein wenig anders als in Fällen, in denen aus kriminellen oder terroristischen Straftaten geschöpfte Legitimation als Rückenwind bei der Durchsetzung verschärfter Sicherheitsgesetze fungiert. So wird man sich bei der Forderung nach dem Verbot sogenannter Killerspiele womöglich handelseinig, obwohl man weiß, daß sie nur in Fällen, in denen die Spieler bereits eine hochgradige Disposition zur Anwendung von Gewalt mit sich bringen, möglicherweise verstärkend auf die reale Ausführung einer Tat wirken. Demgegenüber soll an der prinzipiellen Verfügbarkeit von Schußwaffen in privater Hand auch in Fällen, in denen kein begründeter Anlaß zur dadurch ermöglichten Selbstverteidigung besteht, nicht gerührt werden. Während Zensurmaßnahmen tendenziell immer auch auf Gebiete angewendet werden, die mit der ursächlichen Absicht der Gewaltvermeidung wenig oder nichts zu tun haben, also aus demokratischen Gründen abzulehnen sind, erfüllt die Ausbildung an der Waffe auch im nichtmilitärischen Zusammenhang Zwecke, die vor allem das Interesse herrschender Kräfte reflektieren.

Schäuble scheint nicht wirklich darauf aus zu sein, etwas über "unsere Gesellschaft" in Erfahrung zu bringen, denn dann müßte er sich für all die Widersprüche interessieren, über die jetzt wie zuvor geschwiegen wird. Ihm geht es darum, die Tragödie mit einem demonstrativen Aufschrei zu beklagen, der davon ablenkt, daß latente Gewalttätigkeit keine Spezialität sogenannter Extremisten ist, sondern inmitten der sozialen und familiären Verhältnisse saturierter Bürgerlichkeit heranreift. Ohne dieses Potential entbehrte die neokonservative Restauration ihrer zentralen Triebkraft, der gegen den anderen gerichteten Aggressivität persönlicher Behauptung und gesellschaftlicher Einflußnahme. Tatsächlich sind es immer Menschen und nicht Waffen oder Computerspiele, die Tod und Verderben über andere bringen. Gerade dieser Umstand soll nicht an der Wurzel gepackt, sondern als Produktivkraft ideologischer wie struktureller Herrschaftsicherung genutzt werden.

13. März 2009