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REPRESSION/1337: Sarkozys Frankreich züchtigt seine Jugend (SB)



In Frankreich rüstet Präsident Nicolas Sarkozy das Arsenal staatlicher Repressionsinstrumente unablässig auf, indem er vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise destruktive soziale Entwicklungen prognostiziert, derer man Herr werden müsse. Die um sich greifende Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen schaffe in dieser Bevölkerungsgruppe ein Klima der Frustration und des Ausgeschlossenseins, dem neue Formen der Gewalt traumatischen Ausmaßes entspringen, warnte er bereits am 28. Mai im Élysée-Palast. Er bezog sich dabei insbesondere auf einen Zwischenfall im Pariser Vorort Saint Seine Denis am 10. März, bei dem es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in einer Schule kam, die von einer Gruppe bewaffneter Jugendlicher gestürmt worden war.

Sarkozy, der schon als Innenminister für eine Politik der harten Hand bekannt war, mit der er dem Aufruhr in den Vorstädten den Krieg erklärte, gewann 2007 die Präsidentschaftswahl mit einem Programm, das wesentlich auf die Sicherheitspolitik an der Heimatfront abstellte. Nun verwahrte er sich gegen wohlmeinende aber kriminalpsychologisch naive Volksvertreter, die allen Ernstes an das Gute im Menschen glaubten. Justizministerin Michèle Alliot-Maire trat ihm mit der Erklärung zur Seite, der Regierung gehe es doch nicht um die Einschränkung der Freiheitsrechte, sondern den Schutz der Bürger.

Wieviel Staatsgewalt diese in Kauf zu nehmen bereit sind, stellt ein soeben vom Parlament verabschiedetes Gesetz auf die Probe, das Mitgliedern von Jugendbanden harte Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis oder 45.000 Euro androht. Lediglich Ersttätern steht unter Umständen die Alternative offen, einen zwangsverordneten Sozialdienst abzuleisten. Unter das neue Gesetz fallen ausdrücklich nicht nur Gruppierungen, die in der Vergangenheit Gewalttaten begangen haben, sondern auch solche, die das künftig tun könnten. Ein Kompromißvorschlag, der den Entwurf auf Banden begrenzen wollte, die eine definierte Struktur aufweisen und tatsächlich Straftaten verübt haben, fand bei der Abstimmung keine Mehrheit. (The Christian Science Monitor 01.07.09)

Der von Christian Estrosi aus Sarkozys regierender Mitte-Rechts-Partei eingebrachte Entwurf läuft in seiner Umsetzung darauf hinaus, mutmaßliche Mitglieder formeller oder informeller Gruppierungen aufs Korn zu nehmen, gleich ob diese polizeibekannt sind oder nicht. Er ist somit maßgeschneidert für die systematische Zerschlagung bestehender Banden, doch ebenso für alle Arten von Gewaltausbrüchen und Unruhen, bei denen die Sicherheitskräfte künftig eine spontane Bandenbildung zum Zweck der Verübung von Straftaten unterstellen und Festnahmen vornehmen können.

Als reichten bestehende Gesetze und sattsam bekannte Polizeipraktiken nicht aus, treibt die französische Regierung ein Regime voran, das sich eine Eskalation der Repression auf die Fahnen geschrieben hat. Die Anwendung eines absichtlich nicht näher definierten Bandenbegriffs droht alle Jugendlichen zu kriminalisieren, die in der Öffentlichkeit in Gruppen in Erscheinung treten, gleich welcher Anlaß und Zweck dieser Verhaltensweise zugrunde liegt. Die Entscheidungsgewalt, ob es sich dabei um Bandentum handelt, bleibt der Willkür der Sicherheitskräfte überlassen. Und da die Bandenbildung per se für illegal erklärt wird, da der bloße Verdacht ausreicht, es könnten in dieser Formation künftig Straftaten begangen werden, wird mit der Beweispflicht eines der Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt.

Die absehbaren Folgen fallen verheerend aus. Künftig kann die französische Polizei im Falle ausbrechender Unruhen festnehmen, wen immer sie will, und dabei illegale Bandenbildung geltend machen. Dies zielt zweifellos auf eine massive Abschreckung ab, da ausnahmslos jeder am Schauplatz derartiger Ereignisse unmittelbar von Strafverfolgung bedroht ist. Darüber hinaus kann die Gruppenbildung in der Öffentlichkeit willkürlich eingeschränkt oder verhindert werden, selbst wenn von einer Bande im ursprünglichen Sinn des Wortes keine Rede sein kann und Gewalttaten nicht absehbar sind.

Potentiell kann fortan jeder französische Jugendliche festgenommen und abgestraft werden, der sich mit anderen an irgendeiner Örtlichkeit versammelt und allein aus diesem Grund den Sicherheitskräften ein Dorn im Auge ist. Wenngleich die Legalisierung präventiver Massenverhaftungen zur Aufstandsbekämpfung zweifellos Teil dieser Doktrin ist, reicht die von dieser Verschärfung ausgehende Bedrohung noch weit darüber hinaus. Die eskalierende Gefahr, unter der veränderten Gesetzeslage sanktioniert zu werden, zielt auf eine weitreichende Kontrolle öffentlicher Räume und eine damit verbundene tiefgreifende Verhaltenssteuerung mit dem Ziel atomisierter Individuen fern jeder Subkultur ab.

2. Juli 2009