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REPRESSION/1346: "Terrorverdächtige" ebnen sozialer Disziplinierung den Weg (SB)



Wahlkampfzeit ist Terrorzeit, das gebietet schon die hohe Aufmerksamkeit, die erschreckende Nachrichten aus dem islamistischen Untergrund in der deutschen Öffentlichkeit auf sich ziehen. Dabei müßte die dringliche Prognose, in der Bundesrepublik sei gerade jetzt mit Anschlägen zu rechnen, da die Taliban Einfluß auf die Bevölkerung nehmen wollten, eigentlich der Forderung in die Hände spielen, die Bundeswehr so bald wie möglich aus Afghanistan abzuziehen. Da die Linke in der allgemeinen Wahlkampfberichterstattung nur marginale Bedeutung hat, dringt nicht einmal diese Stimme der Vernunft durch. Der sogenannte islamistische Terrorismus hat, ganz und gar nicht anlaßbezogen, Hochkonjunktur zumindest in den PR-Agenturen der etablierten Parteien.

Das Problem an dem probaten Wahlkampfrezept, den starken Mann zu markieren, um durch ganz andere Dinge wie vor allem die prekäre ökonomische Zukunft verunsicherte Bürger ins eigene Lager zu treiben, besteht allerdings darin, daß damit allen Menschen in der Bundesrepublik vor staatlicher Willkür schützende Bürgerrechte entzogen werden. So verlangen die Innenminister der Union in ihrer "Chemnitzer Erklärung für eine moderne Sicherheitspolitik" nach zwar technisch innovativen, aber hinsichtlich ihrer Freiheitseinschränkung ganz und gar unmodernen Maßnahmen der präventiven Terrorismusbekämpfung.

Obwohl das erst im Mai verabschiedete Staatsschutzstrafrecht nach Paragraph 89a - "Vorbereitung einer Gewalttat" etwa durch Besuch eines "Terrorcamps" - und 91 StGB - "Anleitung zu einer Gewalttat" etwa durch das Verbreiten oder Anpreisen terroristischer "Anleitungen" - bereits erhebliche Weiterungen des Organisationsstraftatbestands nach Paragraph 129 a/b StGB erwirkt, soll hier draufgesattelt werden. Seitdem können sogenannte Terrorverdächtige auch als Einzelperson im Vorfeld des Begehens einer konkreten Straftat zu Haftstrafen verurteilt werden. Zuvor benötigte man eine mindestens aus drei Personen bestehende terroristische Vereinigung, um die Sondervollmachten der Antiterrorgesetzgebung anwenden zu können.

Dabei wird die Strafbarkeit einer sogenannten Vorbereitungshandlung von der Bedingung gelöst, die Tatabsicht anhand konkret dokumentierter Äußerungen des Angeklagten nachzuweisen. Die subjektive Absicht soll schon durch objektive Umstände, sprich das angeblich von einer terroristischen Gesinnung bestimmte Umfeld, auf strafrechtsrelevante Weise bestimmbar sein. Damit steht nichts geringeres als die Freiheit der politischen Meinung zur Disposition eines strafrechtlichen Zugriffs, der des objektiven Anlasses nicht wirklich bedarf, weil er ihn selbst definiert. Nicht nur Menschen mit angeblich sinistren Absichten, sondern auch Webseiten, Schriften, Ausbildungslager oder Organisationen, die auf diese oder jene Weise terroristischer Umtriebe bezichtigt werden, laufen Gefahr, einem willkürlich bestimmten Terrorverdacht ausgesetzt zu werden.

Offensichtlich unzufrieden mit dem beträchtlichen Ausmaß dieser strafrechtlichen Kompetenzen wollen die Unionsminister schon die Ausreise in "Terrorcamps" verhindern, indem die betroffenen Personen mit GPS-Systemen und Fußfesseln der permanenten Überwachung unterstellt werden. Sie haben offensichtlich das in Britannien erprobte System im Auge, Menschen, die aufgrund ihrer Gesinnung, ihres Glaubens oder ihres Verhaltens als Terrorverdächtige stigmatisiert werden, mit sogenannten Kontrollanordnungen zu belegen, die ihre körperliche Bewegungsfreiheit und ihre soziale Kommunikation einschränken und überprüfbar machen.

Hat man eine derartige Kontrollstruktur erst etabliert und erprobt, dann finden sich zweifellos weitere Delinquenten, deren Verhalten sich nach Maßgabe der herrschenden Ordnung konditionieren läßt. Nicht nur einmal wurde über die Anwendung der elektronischen Fußfessel bei Langzeitarbeitslosen debattiert. Die terroristische Indikation, die die Unionsinnenminister unter anderem über Ausstiegsprogramme für Islamisten nachdenken läßt, läßt sich in Anbetracht der angespannten volkswirtschaftlichen Lage ohne weiteres auf die soziale Indikation übertragen. Der in Britannien eingeschlagene Weg, Maßnahmen gegen "antisoziales Verhalten" bei notorischen Störern zu "Kontrollanordnungen" für Terrorverdächtige weiterzuentwickeln, funktioniert ebensogut in umgekehrter Richtung. Aller Präventivlogik gemein ist die Absicht der Umerziehung im Sinne einer Verhaltens- und Gesinnungsnorm, die auf "systemrelevante" Weise zu "selbsttragender Sicherheit" führt. Wozu sonst sollten Zwangsmaßnahmen gegen Menschen, die sich keiner aktiven Gewaltausübung schuldig gemacht haben, gedacht sein?

25. August 2009