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REPRESSION/1366: Kolumbiens Sicherheitspolitik forciert Klassenkampf von oben (SB)



Medienberichte über Kolumbien kolportieren des öfteren die Propaganda Präsident Álvaro Uribes, das Land sei dank seiner Politik der harten Hand in den letzten Jahren wesentlich sicherer geworden. Diese Behauptung ist nicht glaubhafter als jene der US-Administration, die mit ihrem vorgeblichen Antidrogenkampf Erfolge bei der Eindämmung der Produktion und Distribution von Rauschgift erzielt haben will. Bogotá und Washington verbindet das gemeinsame Interesse des Klassenkampfs von oben im Kontext einer neuen Weltordnung, die den Widerstand gegen Ausbeutung und Verfügung als "terroristisch" diffamiert, um das Aufbegehren physisch zu vernichten und dessen Potentiale zum Schweigen zu bringen. Sicherer ist der Alltag in Kolumbien allenfalls für die Eliten und bessergestellten Schichten der Bevölkerung in den großen Städten geworden, nicht jedoch für die Landbevölkerung, die ärmeren Leute in den urbanen Zentren und am allerwenigsten für all jene Menschen, die auf die eine oder andere Weise in Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen treten.

Im vergangenen Jahr warnte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Philip Alston, bei einem Besuch in Kolumbien, daß dort außergerichtliche Hinrichtungen inzwischen zu einer "systematischen Praxis" geworden seien. So waren im August 2008 drei Jugendliche aus der Ortschaft Soacha im Departamento Cundinamarca von einer Person angesprochen worden, die ihnen Arbeit in anderen Regionen des Landes anbot. Wenige Tage später wurden ihre Leichen in Norte de Santander aufgefunden. Im Zuge der Ermittlungen wurden drei Unteroffiziere und vierzehn Berufssoldaten der kolumbianischen Streitkräfte unter dem Verdacht festgenommen, die Jugendlichen verschleppt und umgebracht zu haben, um sie anschließend in Uniformen der Guerilla zu stecken und sie als im Kampf getötete Rebellen zu präsentieren. Anfang Januar setzte man die Militärangehörigen jedoch wieder auf freien Fuß, da die Höchstdauer der Untersuchungshaft abgelaufen war, ohne daß ein Prozeßtermin festgelegt worden wäre (junge Welt 09.01.10).

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind zwischen 2002 und 2007 mehr als 1.100 ermordete Zivilisten als Aufständische in die Statistiken eingegangen, wobei es für diese Praxis im wesentlichen zwei Gründe gibt: Die US-Administration fordert konkrete Erfolge im Kampf gegen die Guerilla, und die kolumbianische Regierung hat Kopfgelder für getötete Rebellen ausgesetzt. Dies hat zu einer deutlichen Zunahme der von Soldaten ermordeten Zivilisten geführt. Nur wenn Angehörige die anonym verscharrten Leichen ausfindig machen, werden die Fälle dokumentiert, so daß man davon ausgehen muß, daß von den 25.000 Menschen, die nach aktuellem Stand als verschleppt gelten, erheblich mehr als bislang bekannt von Armeeangehörigen umgebracht und als im Kampf getötete Rebellen klassifiziert worden sind.

Anfang Dezember 2009 stieß der Anwalt Jairo Ramírez nahe der Ortschaft La Macarena, rund 200 Kilometer südlich von Bogotá, auf ein riesiges Massengrab. Dort soll die Armee seit 2005 anonym mehr als 2.000 Tote beerdigt haben. In dieser Region kämpft der Einsatzverband Omega mit rund 21.000 Soldaten gegen die Guerillaorganisation FARC. Rund 21.000 Soldaten stehen unter dem Kommando des Generals Javier Florez, der steif und fest behauptet, man habe in diesem Gebiet lediglich Guerilleros beerdigt, die bei Kampfhandlungen gestorben seien. Hingegen berichteten Anwohner von zahlreichen Bauern und sozialen Aktivisten aus der Gegend, die spurlos verschwunden seien. Eilig hat es die Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung des bislang größten Massengrabs der jüngeren Geschichte Lateinamerikas nicht, da sie erst Mitte März nach den Parlamentswahlen tätig werden will (junge Welt 03.02.10).

Angesichts einer Politik massiver Militarisierung, die Präsident Uribe auf Grundlage des milliardenschweren Kolumbienplans der US-Regierung forciert, haben Verbrechen gegen die Menschenrechte auf breiter Front zugenommen. Nach Angaben des Senators Gustavo Petro von der Oppositionspartei Polo Democrático sind in den vergangenen Jahren rund 5.000 Menschen aufgrund bezahlter Denunzierungen inhaftiert worden. Präsident Uribe schreckt nicht einmal davor zurück, Jugendliche als Informanten für die Sicherheitsorgane anzuwerben. So hat er ihnen in Medellín eine Belohnung von umgerechnet etwa 36 Euro versprochen, wenn sie mit Polizei und Militär zusammenarbeiten (junge Welt 04.02.10).

Kolumbien gilt nach Einschätzung des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) als weltweit gefährlichstes Land für Aktivisten der Arbeiterbewegung. Demnach wurden seit 1986 über 2.700 Gewerkschafter getötet. Allein im Jahr 2008 starben 49 und im Jahr 2009 bis Ende November 36 Gewerkschaftsmitglieder eines gewaltsamen Todes. Seit Amtsantritt Uribes 2002 wurden schätzungsweise 2.000 Zivilisten von Soldaten umgebracht. Mit fast vier Millionen Flüchtlingen im eigenen Land rangiert Kolumbien diesbezüglich an zweiter Stelle hinter dem Sudan (Counterpunch 27.01.10).

Neben den regulären Sicherheitskräften drangsaliert auch die ausgelagerte Staatsgewalt in Gestalt paramilitärischer Nachfolgeorganisationen der nur dem Schein nach entwaffneten irregulären rechtsgerichteten Privatarmeen die kolumbianische Bevölkerung. Eine aktuelle Untersuchung von Human Rights Watch listet eine breite Palette von Grausamkeiten wie Massaker, Anschläge, Vergewaltigung und Vertreibung auf, die vorrangig zu unterbinden schon deshalb keine Priorität der Regierung sei, weil diese andernfalls das Scheitern eines zentralen Bestandteils ihrer Sicherheitspolitik einräumen müßte.

Relativ neue Gruppierungen mit Namen wie "Wiedergeburt", "Neue Generation" oder "Revolutionäre antiterroristische Volksarmee" unter Führung früherer paramilitärischer Kommandeure der mittleren Ebene, die nach Schätzungen von NGOs insgesamt mehr als 10.000 Kämpfer unter Waffen haben, treiben unter Duldung der Streitkräfte oder ersatzweise für fehlende staatliche Präsenz ihr Unwesen.

Human Rights Watch führte Feldstudien in acht Regionen durch, darunter zahlreiche Interviews mit Opfern, demobilisierten Paramilitärs, Diplomaten, Sicherheitsexperten, Regierungsmitgliedern und Vertretern von Strafverfolgungsbehörden. Die Ergebnisse der Studie riefen harsche Kritik auf Regierungsebene hervor, wo man dem Bericht vorwarf, er ignoriere die Bemühungen der Sicherheitskräfte im Kampf gegen diese kriminellen Gruppierungen. Präsident Uribe, der offenbar eine dritte Amtszeit erzwingen will, kommt diese Untersuchung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenso ungelegen wie Barack Obama, der jüngst in seiner Rede zur Lage der Nation den Ausbau der Handelsbeziehungen zu Kolumbien angekündigt hat. Der US-Kongreß hat das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Verbündeten noch immer nicht ratifiziert, dessen Kritiker die prekäre Menschenrechtslage ins Feld führen (New York Times 04.02.10).

Während Armut und Arbeitslosigkeit weiter auf dem Vormarsch sind, verstärken die Administrationen in Bogotá und Washington ihren eisernen Griff in dem Land mit den schlimmsten Verletzungen der Menschen- und Arbeitsrechte in der gesamten westlichen Hemisphäre. Die US-Regierung finanziert den kolumbianischen Alptraum nicht nur mit Militärhilfe in Milliardenhöhe, sondern hat die Präsenz ihrer Streitkräfte deutlich verstärkt. Ein zehnjähriger Pachtvertrag gewährt diesen Zugang zu drei Stützpunkten der Luftwaffe, zwei Armeebasen und zwei Häfen, die von der Karibik bis zum Pazifik nicht nur alle rebellischen Kräfte Kolumbiens, sondern auch die Nachbarländer bedrohen.

Dabei ist der Zugriff auf die reichhaltigen Ölreserven, zu deren Ausbeutung der US-Gigant Occidental Petroleum eng mit der staatlich kolumbianischen Ölgesellschaft Ecopetrol S.A. zusammenarbeitet, nur ein Aspekt im Kontext strategischer Ressourcensicherung in dieser Weltregion, deren Wasserreichtum, Nahrungsmittelproduktion, Bodenschätze und biologische Artenvielfalt die Vereinigten Staaten zu einem unverzichtbaren Bestandteil ihrer nationalen Sicherheitsinteressen erklärt haben.

5. Februar 2010