Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1367: Kollaboration in politischer Strafjustiz zwischen Deutschland und Türkei (SB)



In Anbetracht des propagandistischen Aufwands, mit dem der sogenannte Globale Krieg gegen den Terrorismus geführt wird, könnte man meinen, das dazu in Stellung gebrachte strafrechtliche Instrumentarium habe erst mit dem 11. September 2001 eine Freiheit und Demokratie keineswegs schützende, sondern gefährdende Qualität erlangt. Unterhalb der Schwelle des Feindbilds "islamistischer Terrorismus" findet jedoch seit jeher eine Kriminalisierung politisch oppositioneller Bewegungen statt, in der sich die Interessenlage des Kartells aus Kapital- und Staatsmacht paßförmig abbildet. Dabei ist insbesondere an das Kollektiv- und Gesinnungsstrafrecht nach Paragraph 129 a zu denken. Dieses Staatschutzstrafrecht wurde 1976 auf der Basis des bereits 1871 gegen die SPD eingesetzten Paragraphen 129 geschaffen, um insbesondere linksradikale Zusammenhänge unter leicht zu erwirtschaftenden Vorwänden auszuforschen und einzuschüchtern.

Der grund- und bürgerrechtswidrige Charakter dieser Strafnorm hat die Partei Die Grünen und einige Sozialdemokraten vor ihrem Regierungsantritt 1998 noch dazu veranlaßt, ihre Abschaffung zu fordern. Die rasante Adaption herrschender Interessen nach der Regierungsbildung durch diese beiden zuvor als gemäßigt links geltenden Parteien hatte dann das gegenteilige Ergebnis. Im Dezember 1998 einigten sich die Justiz- und Innenminister der damals 15 EU-Staaten auf eine Gemeinsame Maßnahme, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Straftatbestand der "kriminellen Vereinigung" in ihr Strafrecht aufzunehmen. Um die länderübergreifende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz bei der Verfolgung politisch radikaler Organisationen zu verbessern, legten sich die EU-Staaten darauf fest, gegen mutmaßliche Mitglieder krimineller Vereinigungen unabhängig von ihrem Standort oder ihrer Operationsbasis vorzugehen. Durch die Kriminalisierung der bloßen Zugehörigkeit wurden die Strafverfolgungsbehörden der Pflicht enthoben, einen konkreten Tatverdacht zum Ausgangspunkt ihrer gegen eine Person gerichteten Ermittlungen zu machen, durch die Aufhebung eines Inlandsbezugs versetzten sie sich in die Lage, gegen politische Aktivisten vorzugehen, die in ihrem Land nichts Rechtswidriges getan hatten.

Da in der Bundesrepublik bis dahin galt, daß man zumindest einer Teilorganisation der inkriminierten ausländischen Vereinigung auf deutschem Boden bedurfte, um Anklage zu erheben, wurde die Gültigkeit der Paragraphen 129 und 129 a auf "Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland" ausgedehnt. Ein Vorentwurf des Bundesjustizministeriums der rot-grünen Bundesregierung zum neuen Paragraphen 129 b mahnte im Sommer 1999 am Beispiel deutscher Sympathisanten der baskischen ETA gesetzlichen Handlungsbedarf an. Damit war klar, daß bereits Journalisten, die über diese Organisation so unbefangen schrieben, wie sie es bei der RAF unterließen, mit einem Bein im Gefängnis stehen sollten.

Das Vorhaben, das in der Bundesrepublik erprobte Gesinnungstrafrecht auf die ganze EU auszudehnen, um nicht nur eventuell in Europa operierende militante Gruppen, sondern auch politische Bewegungen, die zu Aktionsformen wie Streiks und Blockaden griffen, unter Terrorismusverdacht zu stellen, war also längst angeschoben. Die Anschläge des 11. September 2001 sorgten lediglich für seine beschleunigte Umsetzung. Am 1. September 2002 trat Paragraph 129 b des Strafgesetzbuches in Kraft, um Mitglieder ausländischer Organisationen, die sich häufig als politische Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufhalten, im Sinne der Länder, aus denen sie aus politischen Gründen geflohen sind, auch hierzulande mit Freiheitsentzug bedrohen zu können.

Da sich die Maßregel, daß des einen Terrorist des anderen Befreiungskämpfer ist, dadurch nicht änderte, wurde 129 b unter Regierungsvorbehalt gestellt. Schließlich hatte sich die rot-grüne Bundesregierung etwa mit der militärischen Unterstützung der kosovoalbanischen UCK oder der Aufnahme für Israel arbeitender Folterschergen aus dem Libanon zumindest in den Augen der davon Betroffenen mit Terroristen handgemein gemacht. Das Bundesjustizministerium ist bei Taten, die nach 129 b verfolgt werden, gegenüber der Bundesanwaltschaft weisungsbefugt, sofern die zu verfolgende "Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union" zurückgeht. In diesem Fall "wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt". So gönnte sich die Exekutive ein Instrument der politischen Strafverfolgung, das - angeblich im Einklang mit der damals noch als werteorientiert propagierten Außenpolitik - ganz in den Dienst bündnispolitischer und geostrategischer Interessen gestellte werden kann. Um den interessenbedingten Charakter dieser Strafnorm nicht zu sehr in den Vordergrund treten zu lassen, heißt es in § 129b, Abs. 1:

"Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen."

Mit dieser weitgefaßten Definition wurden neben einigen Verfahren gegen sogenannte islamistische Terroristen vor allem Strafprozesse gegen Mitglieder der türkischen Revolutionären Partei und Volksbefreiungsfront (DHKP-C) eingeleitet. Diese Organisation der türkischen Linken, die auf der Terrorismusliste der EU steht, ist vor allem durch den Kampf gegen die Einführung des sogenannten Typ-F-Gefängnisses in ihrem Land bekannt geworden. Mit dieser Maßnahme hat die türkische Regierung versucht, den Zusammenhalt politischer Gefangener zu zerschlagen. Anstelle großer Gemeinschaftszellen sollten die meist aus linksradikalen Parteien oder der kurdischen Befreiungsbewegung stammenden Aktivisten nach dem Vorbild europäischer und US-amerikanischer Hochsicherheitsknäste dauerhaft in Einzelzellen isoliert werden.

Der Widerstand gegen die Isolationshaft in der Türkei dauerte sechs Jahre. Er wurde von der DHKP-C, die an dem Hungerstreik auch nach dem Mai 2002 festhielt, als er von den meisten daran beteiligten Gruppierungen aufgegeben wurde, bis 2006 beibehalten. Bei dem Todesfasten innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern kamen 122 Menschen ums Leben. 30 Gefangene fielen der Erstürmung ihrer Gefängnisse am 19. Dezember 2000 durch die türkische Polizei, die ihren durch Hungerstreik gewaltsam unterbinden wollte, zum Opfer. Zwar kam es letztendlich zu einigen Verbesserungen der Kontaktmöglichkeiten zwischen den Insassen, diese werden von den Behörden jedoch immer wieder unterlaufen. Berichte über willkürliche Schikanen bis hin zu Folterungen in den F-Typ-Gefängnissen dokumentieren bis heute, daß politische Gefangene in der Türkei einer brutalen Staatswillkür ausgesetzt sind.

Vor diesem Hintergrund ergänzen die in Deutschland geführten Prozesse gegen angebliche Mitglieder oder Unterstützer der DHKP-C die Justiz der Türkei auf eine Weise, die zeigt, daß das politische Strafrecht der Bundesrepublik komplementärer Bestandteil eines über die EU hinausreichenden Antiterrorregimes ist. Die im Rahmen der europäischen Integration beanspruchte Durchsetzung verläßlicher Menschenrechtsstandards in der Türkei erweist sich als Drehtür einer politischen Verfolgung, die sich europaweit gegen Menschen richtet, die gegen die herrschenden Interessen aufbegehren. So befinden sich die Gefangenen über Jahre 23 Stunden täglich in Isolationshaft, Gespräche mit Verteidigen oder Unterstützern werden abgehört, die Post wird zensiert respektive gar nicht oder erst nach Wochen ausgeliefert.

Im Falle des Gefangenen Faruk Ereren, dem eine hochrangige Position in der DHKP-C angelastet wird und gegen den seit dem 15. Januar 2009 vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verhandelt wird, stützt sich die Bundesanwaltschaft weitgehend auf Beweismaterial, daß in der Türkei unter den dort üblichen, das heißt Folterverhöre einschließenden Bedingungen erbracht wird. Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, werden selbst brutalste Maßnahmen wie der Angriff der Polizei auf die hungerstreikenden Gefangenen am 19. Dezember 2000 durch die deutsche Justiz als "gewöhnliche polizeiliche Maßnahme" rechtfertigt.

Nun plant der 2. Strafsenat des OLG Düsseldorf, den am 8. April 2007 in Hagen verhafteten Faruk Ereren an die Türkei auszuliefern. Obwohl deutsche Gerichte derartige Auslieferungsersuchen immer wieder mit dem Argument, daß den Gefangenen in der Türkei systematische Folter droht, ablehnen, soll Ereren, der in der Türkei nach dem letzten Militärputsch bereits jahrelang im Gefängnis saß und dort schwer gefoltert wurde, erneut dieser Gefahr ausgesetzt werden. Die Begründung, Ereren werde in der Türkei wegen seiner durch Folter entstandenen chronischen Erkrankung möglicherweise entlassen, ist in Anbetracht der Tatsache, daß er denjenigen Behörden übergeben werden soll, die sein Leid verursacht haben, an Zynismus kaum zu überbieten. In türkischen Gefängnissen wird nach wie vor mißhandelt und gefoltert, und einen Menschen auf die bloße Mutmaßung hin, daß es in seinem Fall anders sein könnte, dieser Gefahr auszusetzen, bestätigt die prinzipielle Einigkeit zwischen der Bundesrepublik und der Türkei im Umgang mit der linksradikalen Opposition.

Denkt man an die sozialen Verwerfungen innerhalb der EU, an die prekäre Situation in Griechenland und die absehbaren ökonomischen Erschütterungen, die den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ins Haus stehen, dann liegt nahe, das Terrorismusstrafrecht nach Paragraph 129 a und b für kommende soziale Konfrontationen einzusetzen. Menschen, die die ihnen zugedachten Zumutungen nicht stillschweigend schlucken wollen, können es sich daher kaum leisten, politische Prozesse wie diejenigen, die in Düsseldorf und Stuttgart gegen türkische Aktivisten durchgeführt werden, nicht publik zu machen und zum Anlaß ihres Protestes zu nehmen.

17. Februar 2010