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REPRESSION/1496: Luxemburgs Regierung geht - Der Geheimdienst bleibt (SB)




So spektakulär der Rücktritt der luxemburgischen Regierung unter Premierminister Jean-Claude Juncker anmuten mag, ist er doch nicht mehr als ein Bauernopfer zur Wahrung des Scheins demokratisch kontrollierbarer Geheimdienste. Deren Aufgabe besteht darin, die Herrschaftsverhältnisse mit Mitteln zu sichern, die jenseits der Grenzen ohnehin verhandelbarer Statthaftigkeit angesiedelt sind und sich ihrer Natur nach jeder Kenntnis und Regulation seitens Außenstehender zu entziehen trachten. Vergleichbar dem sogenannten NSU-Skandal in Deutschland kochen auch im Falle Luxemburgs jahrzehntelang unter dem Deckel gehaltene Verhältnisse hoch, die nur über das Ablassen von Dampf auf eine innovative Stufe höherer Effizienz und größerer Akzeptanz überführt werden können. In Deutschland beklagen Politik und Medien ein Versagen des Inlandsgeheimdienstes, woraus sie den Ruf nach dessen grundlegender Verbesserung wie auch der Koordination sämtlicher Sicherheitskräfte ableiten. In Luxemburg stürzt die Regierung über die als Geheimdienstaffäre unter dem Vorwand der Enthüllung um so nachhaltiger verschleierte Notwendigkeit geheimdienstlichen Flankenschutzes zur Fortschreibung der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Was bei diesem Manöver an Versatzstücken historischer Verstrickungen ans Licht der mediengenerierten Öffentlichkeit entweicht, ist zwar brisant genug, um weitere Köpfe rollen zu lassen, doch längst nicht mehr geeignet, die Grundfesten der Bastion zu erschüttern. Verfügungsgewalt qualifiziert sich im Vorgriff auf morgen und übermorgen, was die Spurensuche in der Vergangenheit keineswegs überflüssig macht, sich aber nicht in der Falle der Wahrheitsfindung verfangen sollte. Der späte Triumph, daß heute alle Welt über Stay Behind und Gladio zu reden beginnt, ist für sich genommen Ausdruck vollendeten Scheiterns der Aufklärung, da der dabei von ihr reklamierte Erfolg in die Banalisierung hintergründiger Winkelzüge zu Zeiten des kalten Krieges umschlägt, die keinerlei emanzipatorischen Übertrag auf aktuelle oder künftig zu erwartende Kämpfe erkennen läßt.

Der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, der in einer Parlamentsdebatte jede persönliche Verantwortung bestritt, sah sich zur Rücktrittserklärung und Auflösung der Regierung gezwungen, weil sich sein sozialdemokratischer Koalitionspartner gegen ihn stellte und einen brisanten Untersuchungsbericht unterstützte. Darin wird dem Regierungschef vorgeworfen, er habe die Kontrolle über den Geheimdienst SREL (Service de Renseignement de l'État du Luxembourg) verloren. Juncker habe die zuständige parlamentarische Kontrollkommission nur lückenhaft oder gar nicht über Mißstände beim Geheimdienst informiert und selbst bei offenkundigen Rechtsverstößen keine Disziplinarverfahren eingeleitet. Erst als Straftaten bereits verjährt waren, habe er die Staatsanwaltschaft informiert. [1]

Da Juncker selbst vom luxemburgischen Geheimdienst abgehört wurde, wirkt er wie eine hochrangige, aber durchaus entbehrliche Figur, die nun im Zuge demonstrativen Ausmistens von der Bettkante gestoßen wird. Wie weich er dabei fällt, werden die Neuwahlen im Oktober zeigen, bei denen er wieder antreten will. Er regierte das Großherzogtum seit 1995 und war damit der dienstälteste Regierungschef Europas, wobei er als Vorsitzender der Euro-Gruppe in den Jahren 2005 bis 2013 eine wichtige Rolle in der Europäischen Union spielte. Für das von ihm angestrebte Amt des EU-Ratspräsidenten wurde 2009 jedoch der Belgier Herman Van Rompuy vorgezogen, da Juncker der deutschen und französischen Regierung zu eigenwillig war.

Die Einflußnahme des luxemburgischen Geheimdienstes auf die Regierungspolitik ist kein Eigengewächs des nur 500.000 Einwohner zählendes Landes, sondern in engem Zusammenhang mit anderen westlichen Geheimdiensten und rechten politischen Kreisen zu sehen. Der Untersuchungsausschuß befaßte sich intensiv mit einem Gespräch, das Juncker Anfang 2007 in kleinem Kreis mit SREL-Chef Marco Mille geführt hatte. Dabei soll es unter anderem um eine mögliche Verwicklung der großherzoglichen Familie in die Bombenlegeraffäre der Jahre 1984 bis 1986 gegangen sein. Mille hatte das Gespräch mit einer präparierten Armbanduhr heimlich aufgezeichnet, wovon Juncker erst zwei Jahre später erfahren haben will. Er zog aber auch dann keine Konsequenzen, sondern tolerierte nach eigener Aussage den schwerwiegenden Loyalitätsbruch, um das Vertrauensverhältnis zu anderen Nachrichtendiensten nicht zu belasten.

In den frühen 1980er Jahren waren in Luxemburg zwanzig Bomben explodiert, ohne daß Urheber und Hintergründe aufgeklärt werden konnten. Die Anschläge richteten sich gegen den Justizpalast, den Flughafen, Polizeistationen, Strommasten, ein Notarbüro, ein Schwimmbad, ein Gaswerk und eine Zeitung. [2] Zwar forderten sie keine Todesopfer, doch war es bei einigen purer Zufall, daß niemand zu Schaden kam oder nur wenige Menschen verletzt wurden. Auffallend waren die genauen Kenntnisse der Täter über Sicherheitsvorkehrungen und das letztendliche Desinteresse an der geforderten Geldübergabe. Dies führte die Ermittler zu dem Schluß, daß es sich bei den Tätern um Insider handle.

Derzeit stehen zwei Mitglieder einer Eliteeinheit der Gendarmerie unter dem Vorwurf vor Gericht, sie hätten die Anschläge verübt, um zusätzliche Mittel für die Ordnungskräfte zu erzwingen. Hingegen beharren ihre Verteidiger darauf, daß das Gladio- oder Stay-Behind-Netzwerk der NATO hinter den Anschlägen stand. Das damals geheime Netzwerk hatte nach offizieller Version die Aufgabe, im Falle eines sowjetischen Einmarsches hinter den Linien Sabotageakte zu verüben. De facto war das Netzwerk jedoch von rechtsextremen Kräften durchsetzt und führte in mehreren Ländern Bombenanschläge durch, um einen politischen Rechtsruck zu provozieren, was insbesondere im Falle Italiens inzwischen weitreichend dokumentiert ist.

Im Untersuchungsausschuß, dessen Tätigkeit nun zum Rücktritt der Regierung geführt hat, spielte diese Vorgeschichte jedoch nur am Rande eine Rolle. Schlafende Hunde will niemand mutwillig wecken, und sollte ein parlamentarischer Ausschuß das doch versuchen, läßt man ihn gegen die Wand fahren. Allein bei den Ermittlungen gegen die beiden Angeklagten verschwanden nach Angaben der Staatsanwaltschaft 88 von 125 Beweisstücken. Es wird daher vermutet, daß die Täter von Teilen des Sicherheitsapparats gedeckt wurden. Daß einem dabei die rabiate Aktenvernichtung in Kreisen des deutschen Verfassungsschutzes im Zuge der NSU-Affäre in den Sinn kommt, liegt auf der Hand.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/07/12/junc-j12.html

[2] http://www.wsws.org/de/articles/2013/06/08/bomb-j08.html

14. Juli 2013