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REPRESSION/1566: Spektakel der Schlapphüte - Pack schlägt sich, Pack verträgt sich! (SB)



Krokodilstränen fließen, Politiker reden sich in Rage, Journalisten schreien empört Verrat: Der türkische Geheimdienst spioniert in Deutschland! Welches Ausmaß an Geschichtsvergessenheit, Ignoranz und Opportunismus muß da sein Unwesen treiben, wenn ein Sachverhalt zum Skandal erklärt wird, der naheliegender nicht sein könnte, jedoch aus Perspektive deutscher Staatsräson nie ein Thema war. Die hat seit jeher eine solide Schnittmenge mit ihrem Pendent in Ankara, wenn es gilt, gemeinsam die kurdische Befreiungsbewegung und die radikale Linke in der Türkei zu verfolgen. Deutsche Waffenlieferungen, geheimdienstliche Zusammenarbeit und ein politisches Strafrecht, das nach Paragraph 129 b den Schulterschluß der Repression vollzieht, zeugen von einem unverbrüchlichen gemeinsamen Interesse, die Willkür des Terrorverdikts durchzusetzen, um linke Opposition niederzuwerfen und zum Schweigen zu bringen. Erinnern wir uns: Derzeit stehen hierzulande mindestens drei Dutzend migrantische Linke vor Gericht oder sitzen im Knast, weil sie in der Türkei gegen die Machtergreifung Recep Tayyip Erdogans und der AKP-Regierung zu Felde ziehen. [1]

Wie die hiesige Konzernpresse höhnt, könne nur jemand, der wie der türkische Präsident in einer Wahrnehmungsröhre stecke, glauben, die deutschen Sicherheitsbehörden wären bereit, den türkischen Diensten auf deutschem Staatsgebiet bei der Verfolgung von Personen Amtshilfe zu leisten, denen Ankara vorwirft, mit der Gülen-Bewegung in Verbindung zu stehen. Ankara behaupte, Gülen und seine Anhänger seien die treibende Kraft hinter dem Putschversuch vom vergangenen Jahr gewesen. Das aber glaube, wie Verfassungsschutzpräsident Maaßen sage, außerhalb der Türkei niemand. [2] Kein Wort davon, daß Erdogan die von ihm verfolgten Kurdinnen und Kurden im eigenen Land wie auch in Rojava mit "Terroristen" gleichsetzt, die man gnadenlos vernichten müsse, bis ihr Widerstand restlos gebrochen, ihre Gesellschaftsentwurf zerstört und ihre kulturelle Identität ausgelöscht sei. Wenn Ankara behauptet, die gesamte kurdische Opposition sei mit der PKK gleichzusetzen, die man mit allen Mitteln zu verfolgen habe, wäre das in Deutschland nicht nur seitens des Verfassungsschutzpräsidenten keiner Silbe des Widerspruchs wert.

Als der Chef des türkischen Geheimdienstes, Hakan Fidan, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz dem BND-Chef Bruno Kahl eine Liste mit Gülen-Anhängern übergab, die es in Deutschland zu verfolgen gelte, dürfte er schlichtweg so wie immer in der Vergangenheit gehandelt haben. [3] Wenngleich es angesichts seines Metiers und Werdegangs schwerfällt, in diesem Zusammenhang von gutem Glauben zu sprechen, kann man doch davon ausgehen, daß er mit dem nachfolgenden Schuß vor den Bug nicht gerechnet hat. Das engmaschige türkisches Agentennetz in Deutschland muß dem BND so bekannt gewesen sein, wie sein Hosentascheninhalt. Daß man diesen Umstand wider Erwarten Hakan Fidans plötzlich so lanciert, als sei gerade eine Bombe geplatzt, heißt am allerwenigsten, daß die gegenseitige Bespitzelung der vom Grundsatz her gedeihlichen Zusammenarbeit der Dienste Abbruch täte. Blut ist zwar bekanntlich dicker als Wasser, aber ein dünnes Gebräu gegen die Verwandtschaft der Schlapphüte.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1565.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/kommentar-die-groessere-gefahr-erdogans-gluehende-anhaenger-14946794.html

[3] https://www.jungewelt.de/artikel/308021.zurück-auf-nato-weg.html

29. März 2017


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