Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1630: Sozial fortschrittlich und links - Kesseltreiben ... (SB)



Unter den Funktions- und Geldeliten dieses Staates scheint die Angst umzugehen. Man hat etwas zu verlieren und wähnt sich von der sozialen Opposition der außerparlamentarischen Linken bedroht. Jüngstes Ergebnis eines regelrechten Rundumschlages gegen linke AktivistInnen ist das Verbot zweier kurdischer Verlage, das heute vom Bundesinnenministerium verhängt und mit Hausdurchsuchungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durchgesetzt wurde. Es habe sich der Verdacht erhärtet, daß der Geschäftsbetrieb der beiden Verlage lediglich ein Tarnmantel sei und der PKK diene, so die Begründung des Ministeriums.

Der nun verbotene Mezopotamien-Verlag war bereits vor einem Jahr zum Ziel einer sich über mehrere Tage erstreckenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion geworden. Ganze sieben Lastwagenladungen mit Büchern und Tonträgern wurden damals von der Polizei konfisziert. Das freie Wort nicht nur eines Abdullah Öcalan, der mit dem demokratischen Konföderalismus das glatte Gegenteil dessen vorschlägt, was dem Verlag als Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung angelastet wird, sondern auch international bekannter Autoren wie Yasar Kemal, Orhan Pamuk, Nazim Hikmet, Leo Tolstoi oder Victor Hugo fielen dieses Mal zwar nicht den Flammen zum Opfer, wurden aber doch der Lektüre durch Menschen vorenthalten, die über den Tellerrand bloßen Konsums und ohnmächtiger Beherrschbarkeit hinausschauen wollen.

Anstatt der Opposition gegen das Erdogan-Regime in der Bundesrepublik die Möglichkeit zu geben, den demokratischen Widerstand, der ihr in der Türkei verwehrt wird, auszuüben, unterliegt sie auch hier der politischen Verfolgung. Dabei gelangt vor allem das Gesinnungsstrafrecht nach Paragraph 129 b zur Anwendung. So wurde der türkische Sozialist Musa Asoglu letzte Woche in Hamburg wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Zur Last gelegt wurden ihm keine militanten Aktionen, das Organisieren von Kundgebungen und Konzerten der politischen Musikgruppe Grup Yorum reichten aus, ihn der Mitgliedschaft der verbotenen DHKP-C zu bezichtigen. Wegen dieses Vorwurfes hatte er im Jahr 2007 vor einem belgischen Gericht bereits einen Freispruch erlangt. Als ob es darum ginge, in der Bundesrepublik eine Außenstelle des türkischen Repressionsapparates einzurichten, werden kurdische und türkische Linke hierzulande mit juristisch fragwürdigen Mitteln hinter Gitter gebracht, so daß der Verdacht, die Bundesregierung wolle sich dem AKP-MHP-Regime andienen, nicht ausbleiben kann.

Zudem wird mit der politischen Unterdrückung seiner GegnerInnen auch das Bündnis mit der US-Regierung gefestigt. Diese verfolgt durchaus eigene Interessen, wenn sie ein Kopfgeld von vier Millionen Dollar auf den Kovorsitzenden des Exekutivrates der Koma Civaken Kurdistan, Cemil Bayak, als auch drei Millionen Dollar auf Musa Asoglu aussetzt. Isoliert und kriminalisiert werden sollen gerade diejenigen, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem US-amerikanischen Imperialismus keinem Bündnis mit der Regierung in Washington zustimmten. Die Bundesrepublik wiederum scheint das deutschen Hegemoniestreben im Nahen und Mittleren Osten am besten dadurch gewährleistet zu sehen, im Schatten US-amerikanischer Militärmacht zu agieren.

Auch die Klimagerechtigkeitsbewegung wird immer härter angefaßt. Nachdem letzte Woche in Reaktion auf den unsäglichen Kompromiß der Kohlekommission Bagger in den Braunkohletagebauen Jänschwalde und Welzow Süd besetzt worden waren, wurden 23 AktivistInnen auf dem Weg in die Gefangenensammelstelle fünf Stunden in Handfesseln ohne Trinkwasser oder die Möglichkeit, zum Klo zu gehen oder zu telefonieren, in ungeheizten Polizeibussen festgehalten. Nachdem sie bereits den ganzen Tag in der Kälte auf Baggern verbracht hatten, setzte man die Gefangenen auf diese Weise unter Druck, um den Widerstand gegen die von ihnen verlangte Angabe der Identität zu brechen. Während die meisten AktivistInnen im Lauf der Tage der Forderung nachkamen, befinden sich eine Woche später noch drei AktivistInnen in Cottbus in U-Haft [1]. Weil sie nicht mit einer Justiz kooperieren, die ein politisches System schützt, das den schwerwiegenden sozialen Folgen des Klimawandels insbesondere im globalen Süden zugunsten des eigenen Wohlstandskonsums nicht entschieden entgegentreten will, wird die ganze Härte einer Repression auf sie angewendet, die stetig verschärft wird, um Handlungsmöglichkeiten sozialer Bewegungen wie die des zivilen Ungehorsams einzuschränken.

Auch im Rheinischen Braunkohlerevier befinden sich drei AktivistInnen nach einer Baggerbesetzung seit einigen Tagen in polizeilichem Gewahrsam. Seit über vier Monaten wird ein Aktivist der Hambacher Waldbesetzung wegen des Vorwurfes des tätlichen Angriffes auf Vollstreckungsbeamte in U-Haft festgehalten. Mit der gesetzlichen Erweiterung der Vollmachten der Polizei wird dieser Straftatbestand immer weiter auf passive Akte wie der des Versuches, sich einer Maßnahme der Polizei zu entziehen, ausgedehnt. Da dieses Land noch möglichst lange von den angeblichen Segnungen fossiler Energieproduktion profitieren will, wird der dagegen gerichtete Widerstand kriminalisiert, wenn sich nur die vage Möglichkeit dazu bietet.

Dementsprechend geraten auch Rechtshilfe- und Informationsstrukturen der Linken ins Visier politischer Verfolgung. So wird die Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe mit Verbotsforderungen belegt, und nach dem Verbot von Indymedia linksunten vor anderthalb Jahren fordert die AfD nun das Verbot der verbliebenen Informationsplattform Indymedia. Es ist ein bezeichnendes Symbol für die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in Richtung der extremen Rechten, wenn diese im Mainstream staatlicher Verbotspolitik segeln und sich bei weiteren Maßnahmen gegen die linke Opposition nützlich machen kann. Da AfD und Konsorten allem behaupteten Aufbegehren gegen das "Establishment" die Staatsgewalt nicht autoritär genug sein kann, wird ihnen freie Hand gelassen, wenn sie sich als SachwalterInnen herrschender Interessen anbieten. Während die bürgerlichen Parteien sich pro forma von der extremen Rechten distanzieren, nehmen sie deren Dienste als Fußsoldaten gerne in Anspruch. Wer hingegen für eine Welt sozialer Gleichheit, für die Einebnung aller Grenzen und die Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen aufsteht, wird als Bedrohung der kapitalistischen Eigentumsordnung identifiziert und bekämpft.


Fußnote:

[1] https://www.ende-gelaende.org/de/press-release/pressemitteilung-vom-12-02-2019/

12. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang