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REPRESSION/1646: Polizei - rechte Netzwerke und Blöcke ... (SB)



Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt.
Jörg Radek (Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei) [1]

Wer der aussterbenden Spezies angehört, die noch nicht vollständig von Geschichtsvergessenheit umnachtet ist, wird im gespenstisch anmutenden Szenario des rechten Aufmarsches in Wort, Bild und Tat die Antwort auf die Frage finden, wie in aller Welt das damals möglich war. Und schlimmer noch: Obwohl die deutsche Geschichte lehren sollte, daß das nie wieder geschehen darf, bleibt die angemessene Reaktion selbst auf die Wiederholung der alten Parolen und Verwendung der alten Symbole weitgehend aus. Ein Sturm der Entrüstung, der diese Wiedergeburt untoten Geistes von der Straße fegen würde, ist nicht in Sicht. Dabei machen rechte Kreise kein Geheimnis aus ihrem Ansinnen, die Grenze des Sag- und Machbaren unablässig zu verschieben und die anderen Parteien wie auch die Gesellschaft insgesamt vor sich her zu treiben.

In einem Gesprächsband, den Björn Höcke letzten Sommer vorgelegt hat, demonstriert der AfD-Rechtsaußen aus Thüringen den strategischen Entwurf, legalistisch zu argumentieren und zugleich über den Umsturz zu sinnieren. Wenngleich er aus naheliegenden Gründen nicht das Begriffspaar von parteipolitischem und bewaffnetem Arm der Bewegung verwendet, die im Gleichschritt die angestrebte Machtübernahme betreiben, sind seine Einlassungen doch auf eine diesbezügliche Dekodierung ausgelegt. So erteilt er Gewalt, gerade auch gegen geflohene Menschen, eine Absage, umreißt aber zugleich ein "großangelegtes Remigrationsprojekt" zur "geordneten Rückführung der hier nicht integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer". Charakteristisch für die Neue Rechte macht er als eigentliches Feindbild linke oder liberale "Gutmenschen" aus, die aus seiner Sicht das identitäre Leitmotiv des weißen deutschen Mannes mit feministischen und Minderheiten schützenden Zumutungen in den Dreck ziehen. Höcke ruft nicht direkt zur Erhebung auf, denkt aber laut darüber nach, wie wahrscheinlich angesichts der "millionenfachen Invasion von Fremden nach Europa" und des "Totalversagens der politischen Klasse" ein "offener Aufstand" der "unzufriedenen Bürger" sei. [2]

Obgleich die Rechte ein zutiefst patriarchales und sozialrassistisches Herrenmenschentum zeitgenössischen Zuschnitts propagiert, bedient sie die Ideologie, sich der Opfer des politischen Establishments anzunehmen und deren berechtigter Empörung Stimme und Wirkung zu verleihen. Was immer ihr argumentativ entgegengehalten wird, verwandelt sie als angeblichen Beweis unerträglicher Bevormundung in eine Munitionierung ihres Klientels, dem sie gesundes Volksempfinden attestiert. Der völkische Opfermythos richtet sich als Gegenentwurf zur dem Verständnis einer Klassengesellschaft nicht gegen die herrschenden Verhältnisse, sondern drängt auf Übernahme der Macht zum Zwecke ihrer Verschärfung. Da der Ausbau repressiver Instrumente nach innen und außen aber ohnehin auf der langjährigen Agenda deutscher Regierungspolitik steht, ist die Rechte im Unterschied zur Linken Fleisch vom Fleische elitären Machterhalts, dessen Option im Krisenfall sie bleibt.

Als Exekutivorgane des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und außen sind Geheimdienste, Polizeien und Bundeswehr ihrer Funktion nach Repräsentanten des starken Staates, den sie dank ihrer besonderen Befugnisse und Waffengewalt gewährleisten. Alle Staatsgewalt gründet auf der Indienstnahme dieser Mittel ihrer Durchsetzung, da Administration und Justiz ohne sie zahnlose Instrumente staatlicher Ordnung blieben. Die genannten Institutionen unterliegen zwar einer gesetzgebenden parlamentarischen Kontrolle, die jedoch den Ausnahmezustand prinzipiell einschließt. Dem wollen die Rechten insofern nachhelfen, als sie kraft ihrer eigenen Deutungsmacht zu bestimmen trachten, wann der nicht offiziell erklärte Notstand eingetreten sei, der ihre Selbstermächtigung begründet, massiv zu intervenieren. Sie wollen das Land von allem Undeutschen säubern, worunter Menschen migrantischer Herkunft, aber nicht zuletzt auch jegliche für schwach erachteten Minderheiten, ja selbst Frauen fallen, die zurück an Heim und Herd getrieben werden sollen.

Um das durchzusetzen, müssen sie nicht nur aufrüsten, sondern sich insbesondere auch der Kollaboration in Kreisen der Sicherheitsapparate versichern, die ihre Umtriebe andernfalls leichterdings durchkreuzen könnten. Umgekehrt weisen auch die Sicherheitsorgane ihrer Natur nach mehr oder minder ausgeprägte Tendenzen auf, die Rechte zu instrumentalisieren oder gar ihre Bestrebungen zu teilen. Diese beiderseits betriebene Verflechtung bringt eine Gemengelage hervor, die gegenwärtig eskaliert, da Morde, Morddrohungen und Netzwerke der Rechten wie auch Kontroversen um mögliche Koalitionen von CDU und AfD in aller Munde sind und die Wahrnehmung vermeintlicher Normalität von einem Tag auf den andern verschieben. Wenngleich auch die AfD Flügel aufweist und als Partei nicht mit den diversen rechtsradikalen Gruppierungen in eins zu setzen ist, hat sie sich doch aller taktischen Abgrenzungsbeschlüsse zum Trotz nach rechts stets offengehalten. Björn Höcke in Thüringen oder Andreas Kalbitz in Brandenburg stehen in diesem Sinne nicht für die ganze AfD, verfügen aber über einen ungebrochenen und insbesondere in ostdeutschen Landesverbänden wachsenden Einfluß. Insofern muß man im eingangs beschriebenen Sinne davon ausgehen, daß viele Hände das Eisen der Rechten an unterschiedlichen Essen schmieden.

In Anbetracht einer erstarkenden Rechten in zahlreichen Ländern Europas und absehbarer Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst gilt es daher nicht nur, diese Partei selbst ins Visier zu nehmen, sondern auch rechtsradikale Umtriebe im Umfeld sowie den rechten Rand der Sicherheitsapparate einzubeziehen. Erika Steinbachs Tweets, die den Haß auf Walter Lübcke mit anheizten, Hans-Georg Maaßen, der vorerst seine Bestimmung in der rechtslastigen WerteUnion der CDU gefunden hat, Joachim Gauck, der Toleranz nach rechts predigt, und Friedrich Merz, der beklagt, wir verlören Bundeswehr und Bundesgrenzschutz an die AfD, rühren mit im großen Topf, aus dem sich die Rechte ausgiebig speist, die Avancen ebenso für sich verbucht wie sie halbherzige Kritik seitens der sogenannten Zivilgesellschaft zum Gaudium ihrer Gefolgschaft verhöhnt.

Wie die Vertuschungen im Zuge der Aufklärung rund um die NSU-Morde zeigen, sind staatliche Behörden nicht an einer lückenlosen Aufdeckung rechter Strukturen interessiert. Diese wurden nicht nur durch V-Männer finanziert, sondern derart eng observiert, daß eine Unkenntnis des Verfassungsschutzes auszuschließen ist. Um dies zu verschleiern, wurden die Akten, soweit nicht ohnehin geschreddert, für 120 Jahre unter Verschluß gestellt. Vor allem aber wurde die Version eines angeblichen Behördenversagens durchgesetzt, die zudem die Forderung nach noch effektiveren Geheimdiensten und deren engere Verzahnung mit der Polizei beflügelten. Die längst abgewirtschaftete Ausflucht, man habe nichts gewußt, da behördliche Abläufe fehleranfällig und Beamte eben auch nur Menschen seien, wird bis heute durchgetragen.

Einige aktive und ehemalige Polizisten sitzen für die AfD in deutschen Parlamenten, darunter im Bundestag. Bei der Thüringer Landtagswahl am 27. Oktober gehen fünf Polizisten für diese Partei ins Rennen. Und bei der Stichwahl um das Amt des Görlitzer Oberbürgermeisters trat kürzlich ein Polizist als AfD-Kandidat an, dessen Erfolg nur durch ein Bündnis aller anderen Parteien verhindert werden konnte. Im August 2018 pöbelte ein Mitarbeiter des sächsischen LKA bei einer Pegida-Demonstration in Dresden gegen Journalisten, im September 2018 trug sich ein Beamter des LKA Sachsen für einen Einsatz mit dem Namen "Uwe Böhnhardt" in eine offizielle Dienstliste ein. Im Dezember 2018 flog eine rechtsextreme Zelle innerhalb der Polizei in Frankfurt am Main auf, die einen Drohbrief im Namen des "NSU 2.0" an eine türkischstämmige Rechtsanwältin verschickt haben soll, die im Münchner NSU-Prozeß die Familie eines Opfers vertreten hatte. Insgesamt 38 Ermittlungen gegen die eigenen Beamten leitete das hessische LKA ein. Auch in Bayern ermitteln die Behörden gegen die eigenen Kollegen, nachdem Bereitschaftspolizisten in Chatgruppen Hakenkreuze und antisemitische Videos ausgetauscht hatten. Andere Beamte hatten in einem Rosenheimer Lokal den Hitlergruß gezeigt. [3]

Die Liste ist unvollständig und wird durch die jüngst erfolgte Festnahme von vier Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern ergänzt. Drei sind aktive Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamts (LKA), der vierte, das AfD-Mitglied Marko G., ist ein ehemaliger SEK-Beamter. Bei ihm wurden 10.000 Schuß Munition und eine Maschinenpistole der Marke "Uzi" gefunden. Gegen die vier wird nun wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz sowie wegen gemeinschaftlichen Betrugs ermittelt. Das Haus von Marko G. war bereits im Herbst 2017 von der Antiterroreinheit der Bundespolizei GSG9 durchsucht worden, wobei Waffen und Munition in einem erheblichen Umfang gefunden wurden, zu deren Besitz er teilweise nicht berechtigt war. Auch wurde bekannt, daß Marko G. Gründer und Administrator der Chatgruppe "Nordkreuz" war, die über den Messenger Telegram kommunizierte. Die rund 30 Mitglieder der Gruppe waren sogenannte "Prepper", die sich durch das Horten von Vorräten und Waffen, Schießübungen und ähnliche Aktivitäten auf einen "Tag X" vorbereiten, an dem die staatliche Ordnung zusammenbricht. Eine Todesliste enthielt Tausende Namen und Daten von politischen Gegnern, darunter Landes- und Bundespolitiker von Linkspartei und Grünen, Vertreter von Flüchtlingsverbänden, der Arbeiterwohlfahrt und von Gewerkschaften. Marko G. wurde damals jedoch nur als Zeuge vernommen, man eröffnete nicht einmal ein Disziplinarverfahren gegen ihn. So konnte er seine Umtriebe zwei weitere Jahre unbehelligt fortführen und seine Chatgruppe, die mit rechtsradikalen Gruppen in ganz Deutschland vernetzt ist, weiterbetreiben. [4]

Björn Höcke formulierte es in seinem Interviewband so: "Wer nur einen Job sucht, sollte sich bei der Bundeswehr umsehen. Wer seinem Land wirklich mit der Waffe dienen will, sollte sich überlegen, ob er nicht auf andere, bessere Zeiten warten möchte." Er will das "Establishment" nicht nur durch Proteste und Parlamentsarbeit in die Zange zu nehmen, sondern auch "aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus, die die Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen". So rief er bei einer Demonstration in Erfurt Polizisten dazu auf, sich Weisungen zu widersetzen. Sie sollten "Widerstand" gegen Merkels Flüchtlingspolitik leisten. Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechten Magazins "Campact", beschwor nach dem Amoklauf in München im Jahr 2016 "alle verantwortungsbewussten Kräfte im Staatsapparat". Auch ohne Befehle von Vorgesetzten müßten die Beamten Flüchtlingsheime abriegeln, sowie Moscheen und Grenzen schließen. Dabei hoffte er neben Zoll- und Justizbeamten auch explizit Bundeswehrsoldaten zu mobilisieren. Direkt an die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes wandte sich Björn Höcke. Nachdem die AfD letztes Jahr offiziell zu einem "Prüffall" erklärt worden war, appellierte er an die Beamten: Sie hätten das Recht, unrechtmäßigen Weisungen nicht Folge zu leisten. Dieses müßten sie unbedingt wahrnehmen, verlangte er.

Offensichtlich sind solche Rufe nicht nur auf taube Ohren gestoßen. Im Innenausschuß des Landtags Mecklenburg-Vorpommern drückte es der Polizei-Experte der SPD-Landtagsfraktion, Manfred Dachner, so aus: Vorkommnisse wie das Beseiteschaffen dienstlicher Munition und Unterstützung der Prepper-Szene hätten stets eine lange Geschichte. "Offenbar konnten sich Schattenstrukturen aufbauen", sagte Dachner. Dazu Innenminister Lorenz Caffier (CDU) auf die Frage, ob er die Lage in der Polizei noch im Griff habe: "Jawohl, haben wir im Griff." [5]


Fußnoten:

[1] ww.faz.net/aktuell/politik/inland/sicherheitsbehoerden-und-afd-ist-frust-die-ursache-16252415.html

[2] taz.de/Essay-rechte-Netzwerke/!5602141/

[3] www.zdf.de/nachrichten/heute/staatsfeinde-in-uniform-rechtsextremismus-bei-der-polizei-100.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2019/06/22/nazi-j22.html

[5] www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/-Polizei-Skandal-Caffier-kuendigt-weitere-Konsequenzen-an,sek272.html

25. Juni 2019


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