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REPRESSION/1657: Potsdam - Justiz gegen Rechte ... (SB)



Alle Taten sind Ausdruck einer menschenverachtenden fremdenfeindlichen Gesinnung.
Richter Klaus Feldmann zum Urteil gegen Maik Schneider [1]

In den Jahren seit dem Anschluß der DDR wurden Hunderte Menschen aus rassistischen Gründen auf offener Straße umgebracht, Pogrome gegen Flüchtlingsunterkünfte und zahllose Brandanschläge verübt, trieb der sogenannte NSU an der Leine der Geheimdienste sein Unwesen. Den Gewalttaten in Hoyerswerda (September 1991), Rostock-Lichtenhagen (August 1992), Mölln (November 1992), Solingen (Mai 1993) und Lübeck (Januar 1996), bei denen Menschen zu Tode kamen, folgte eine vor allem in den östlichen Bundesländern flächendeckende rechtsradikale Eskalation. Wie viele Migrantinnen und Migranten aus solchen Motiven umgebracht wurden, ist nicht im einzelnen bekannt, da lange aus behördlicher Sicht kein Aufklärungsbedarf bestand oder nur zögernd eingeräumt wurde. So wurden die Fälle der rund 200 seit 1990 getöteten Menschen ausländischer Herkunft erst im Kontext der bekanntgeworden NSU-Mordserie ab 2011 daraufhin untersucht, ob es sich um fremdenfeindliche Straftaten gehandelt haben könnte, die nicht länger als isolierte Einzelfälle unter den Teppich gekehrt werden dürfen. Nach Angaben der Amadeu-Antonio-Stiftung aus dem Jahr 2011 gab es zwischen 1990 und 2009 mehr als 180 Todesopfer rechter Gewalt. Der Berliner Tagesspiegel erfaßte im Verbund mit Zeit Online in einer Langzeituntersuchung seit der Jahrtausendwende die Zahlen rechter Gewalt und sprach von mindestens 169 Todesopfern seit dem 3. Oktober 1990. Hinzu kommen 61 weitere bislang ungeklärte Verdachtsfälle, in denen Menschen zu Tode kamen.

Seit 2014/2015 nahm der Rechtsruck noch einmal deutlich Fahrt auf, der seinen Ausdruck in starken Wahlergebnissen der AfD insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, zugleich aber in Bedrohungen und Angriffen auf der Straße, gegen Flüchtlingsunterkünfte und auf Kommunalpolitiker fand. Im Jahr 2016 wurden in der Bundesrepublik mehr als 900 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, statistisch gesehen also fast drei pro Tag. Hinter solchen Zahlen verbergen sich fliegende Steine und Bierflaschen, Molotowcocktails, Brandfackeln, Böllerschüsse und Sprengstoffexplosionen, Körperverletzungen, Bedrohungen, Beleidigungen, Schmierereien und vieles mehr. Von den Hochzeiten der Pegida bis hin zu den Aufmärschen in Chemnitz und Zukunft Heimat in Cottbus heizte die Rechte das politische Klima an und ging dabei immer offener vor.

Längst waren auch Straftaten gegen Entscheidungsträger, Politiker, Betreiber von Flüchtlingsunterkünften und Helfer keine Einzelfälle mehr. Journalisten, Kommunal- und Landespolitiker erhalten rechtsextreme Drohmails, die Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker und der Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein überlebten nur knapp Mordanschläge. Der Berliner Linken-Politiker Philipp Wohlfeil wurde von einem rechten Schlägertrupp schwer verletzt, unter Rechten kursieren "schwarze Listen" bevorzugter Opfer. Rechte Netzwerke treiben in der Bundeswehr und bei Polizeien ihr Unwesen. Allein im Jahr 2016 verzeichnete die Polizei bereits im Sommer über 800 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger in Deutschland und mehr als 120 Straftaten gegen Hilfsorganisationen, ehrenamtliche und freiwillige Helfer. Die Drohungen und Haßbotschaften in sozialen Netzwerken nahmen deutlich zu, eine Verrohung der Sprache griff um sich. Mit dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde im Juni 2019 erstmals seit 1945 ein deutscher Politiker von einem mutmaßlich rechtsradikalen Täter ermordet, was endlich auch den Blick einer breiteren Öffentlichkeit auf die rechten Netzwerke in Hessen und deren Brückenfunktion zwischen der gewaltbereiten Szene in Thüringen im Osten und Hochburgen wie Dortmund im Westen richtete.

Im Kontext dieses rechten Vormarsches ist auch der Prozeß gegen den ehemaligen NPD-Politiker Maik Schneider zu sehen, der als Kopf der rechten Szene in Nauen im Havelland galt, soweit die Vergangenheitsform in seinem Fall zutreffend ist. Das Landgericht Potsdam hat den 32jährigen zu neun Jahren und einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt. "Alle Taten sind Ausdruck einer menschenverachtenden fremdenfeindlichen Gesinnung", sagte der Vorsitzende Richter Klaus Feldmann in der Urteilsbegründung. Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre und drei Monate Haft gefordert, die Verteidigung plädierte auf Freispruch.

Schneider wird zu Last gelegt, im August 2015 mit Komplizen, die bereits verurteilt sind, eine neuerrichtete Sporthalle in Nauen angezündet zu haben, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Die Halle brannte vollständig nieder, so daß sie auch von Vereinen und Schulen nicht mehr genutzt werden konnte. Der Sachschaden soll bei 3,9 Millionen Euro liegen. Dafür verhängte die Kammer eine Strafe von sieben Jahren und vier Monaten. Zudem sah es das Gericht als bewiesen an, daß der Beschuldigte im Mai 2015 in einem Akt von Selbstjustiz maskiert mit einer Axt oder einem Baseballschläger das Auto eines Polen zertrümmert hat, der in der Stadt als Kinderschänder diffamiert wurde. Eine weitere Straftat vom Februar 2015 wurde als versuchte Nötigung gewertet. Damals hatte er eine Menge aufgewiegelt, die Stadtverordnetenversammlung durch Trommeln gegen die Scheiben des Versammlungssaals zu stören, in dem über den Standort eines neuen Flüchtlingsheims beraten werden. Schneider hatte als NPD-Stadtverordneter vorgeschlagen, Flüchtlinge könnten doch in einer Tierkörperbeseitigungsanlage untergebracht werden. In der Strafe enthalten ist eine bisher nicht verbüßte Bewährungsstrafe wegen Hakenkreuzschmierereien.

In Whats-App-Gruppen mit Namen wie "Die Straße frei" und "Heimat im Herzen" organisierte der Angeklagte nach Auffassung des Gerichts die Taten und gab in den Chats den Komplizen Anweisungen. Schneider, der auch in der Kameradschaft "Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland" führend war, hatte offenbar im Verlauf des fast ein Jahr dauernden Mammutprozesses auch einige der 49 Zeugen beeinflußt, die deswegen Erinnerungslücken aufwiesen oder Aussagen nicht wiederholten, die sie ursprünglich gemacht hatten. Mehrere Zeuginnen bekundeten im Prozeß, daß sie Angst vor Repressalien der rechten Szene in Nauen hätten. Aus dem Prozeß heraus habe Schneider einem Zeugen eine Textnachricht auf das Handy geschickt, einem weiteren Zeugen habe einer seiner Verteidiger in einer Pause ein Verfahren wegen Falschaussage angedroht, so der Vorsitzende. [2]

Beim aktuellen Verfahren handelte es sich um einen Revisionsprozeß, da Schneider bereits 2017 vor dem Potsdamer Landgericht wegen schwerer Brandstiftung und der anderen Delikte zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof wegen der Befangenheit eines Schöffen aufgehoben, weshalb komplett neu verhandelt werden mußte. Der Revisionsprozeß hatte am 10. Oktober 2018 begonnen. Unzählige Beweisanträge, Vernehmungen von Zeugen und zuletzt eine Erkrankung des Angeklagten verzögerten das Verfahren. Im ersten Prozeß war Schneider teils geständig gewesen, im zweiten schwieg er jedoch und verlegte sich auf eine "konfrontative Art" der Verteidigung durch seine Anwälte, wie Feldmann anmerkte. Der Angeklagte brachte seine Mißachtung des Gerichts deutlich zum Ausdruck, indem er während der Urteilsbegründung zunächst demonstrativ gelangweilt in Unterlagen blätterte und dann den Saal vorzeitig verlassen wollte, was der Richter jedoch verhinderte. Das Gebäude verließ Schneider später schimpfend über die "verkommene Justiz". [3]

Feldmann ging in der Urteilsbegründung ausführlich auf die Situation im Jahr 2015 ein, als die sogenannte Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte und die Kanzlerin in einer "humanitären Entscheidung" weitere Flüchtlinge, "darunter sicher nicht nur Bürgerkriegsflüchtlinge", ins Land ließ. Anfangs seien die Flüchtlinge in den meisten Orten freundlich empfangen worden, doch als der Druck auf die Kommunen stieg, die Menschen unterzubringen, habe sich das geändert. Maik Schneider sei nicht Teil der Willkommenskultur gewesen, sondern habe die menschenverachtende, fremdenfeindliche Gesinnung der NPD verinnerlicht, die zwar nicht verboten sei, aber dennoch nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Hinzu sei der manipulative Charakter des Angeklagten gekommen, der sich nicht nur bei der Vorbereitung der Taten in Nauen gezeigt habe, sondern auch im Prozeß.

Diese Ausführungen des Vorsitzenden Richters wertete Schneiders Anwalt Sven-Oliver Milke nach Prozeßende mit den Worten, das sei kein Urteil gewesen, sondern eine "Abrechnung" mit dem Angeklagten. Da Milke erwirkt hatte, daß Schneider nach knapp drei Jahren in Untersuchungshaft im Januar 2019 wegen überlanger Verfahrensdauer entlassen wurde, verließ sein Mandant zunächst als freier Mann den Gerichtssaal. Das Schriftstück, um nun abermals Revision zu beantragen, hatte der Anwalt bereits mitgebracht. Jetzt muß sich wieder der Bundesgerichtshof mit dem Fall befassen und entscheiden, ob er einen dritten Prozeß zuläßt.

Schneiders Komplizen von damals sind bereits rechtskräftig verurteilt. Ein Mittäter erhielt sechseinhalb Jahre Haft und sitzt ein. Drei weitere Männer wurden im Februar 2017 wegen Beihilfe verurteilt, sie bekamen Bewährungsstrafen. Ausgestanden ist die Sache für Schneider natürlich noch nicht, da ihm allenfalls ein dritter Prozeß Aufschub verschaffen kann. Wird das Urteil jedoch rechtskräftig, erhält er eine Ladung zum Haftantritt. Zudem verklagt ihn die Feuerversicherung auf Schadensersatz in Millionenhöhe, worüber das Landgericht noch in einem Zivilprozeß entscheiden muß. Natürlich könnte er versuchen, weiteren Druck auf die Zeugen auszuüben, um ihre Aussagen zunichte zu machen. Richter Feldmann verwies in der Urteilsbegründung jedoch vor allem auf das Geständnis, das Schneider noch im ersten Prozeß abgelegt hatte. Er habe die noch nicht bewohnte Halle nur als "Signal" einrußen wollen, hatte der Rechtsextremist damals gesagt. Und: "Jeder sollte zu dem stehen, was er gemacht hat." Wenngleich der Angeklagte im zweiten Prozeß schwieg, sprach der Richter dem ursprünglichen Geständnis einen "hohen Beweiswert" zu. [4]

Der Brandanschlag auf die Nauener Sporthalle reihte sich 2015 in eine bundesweite Anschlagsserie auf Asylunterkünfte ein. So war das erste Urteil gegen Schneider, mit neuneinhalb Jahren Haft damals eine der bundesweit härtesten Strafen, denn auch ein klares Zeichen, das mit dem aktuellen, abermals harten Urteil bekräftigt wurde. Die juristische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Straftaten kann jedoch nur dann angemessene Wirkung entfalten, wenn sie in der Lebenswirklichkeit in Nauen und anderswo einen Widerhall findet, der nicht von um so heftigerer Drangsalierung seitens der Rechten geprägt ist.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/berlin/hohe-haftstrafe-fuer-ex-npd-politiker-neun-jahre-gefaengnis-wegen-brandstiftung/25078694.html

[2] www.tagesspiegel.de/berlin/lange-haft-fuer-ex-npd-politiker-menschenverachtend-und-manipulativ/25079784.html

[3] www.taz.de/Brandstiftung-in-Gefluechtetenunterkunft/!5631077/

[4] www.rbb24.de/panorama/beitrag/2019/10/maik-schneider-nauen-turnhalle-erneut-verurteilt.html

4. Oktober 2019


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