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REPRESSION/1669: Soziale Apokryphen - finale Spiele ... (SB)



Es soll wirklich darum gehen, dass alle Mitglieder, die diese Blöcke machen, irgendwann so einen Stand haben, wenn die alles durchgemacht haben, dass man sagt, das sind gute Infanteristen, die kann man gut einsetzen, ob deutschlandweit oder sonstwo.
Aus einem Chat von André S. alias Hannibal (Gründer von Uniter) [1]

Sind dies lediglich bizarre, aber letztlich harmlose Spielereien eines Männerbundes oder war der Verein Uniter dabei, eine paramilitärische "Schattenarmee" aufzubauen? Gemäß seiner Satzung ist der 2016 in Stuttgart gegründete Verein ein "unpolitischer, unabhängiger und überkonfessioneller Zusammenschluss", der "keine radikalen oder extremistischen Tendenzen toleriert". Im Zentrum seiner Tätigkeit steht eigenen Angaben zufolge "die Kontaktpflege unter ehemaligen und aktiven Angehörigen von Sicherheitskräften sowie deren Weiterbildung". Nach außen hin präsentiert sich Uniter betont gemäßigt als "eine Gemeinschaft von sicherheits- und militäraffinen Menschen, die sich in den Dienst der Gesellschaft stellen". Man wolle den Wissenstransfer fördern, ehemaligen Soldaten den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern, betreibe eine Jobbörse, fördere soziale Projekte und organisiere Grillabende. [2]

Daß sich die Ziele und Aktivitäten von Uniter mit dieser Außendarstellung zur Deckung bringen lassen, wird indessen ernsthaft bezweifelt. Seit 2018 haben die taz und andere deutsche Medien aufgrund eigener Recherchen Details über den Verein zutage gefördert, die ein ganz anderes Bild zeichnen. Gründer André S., Deckname "Hannibal", ist ein ehemaliges Mitglied des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, deren Angehöriger er offiziell noch ist. Er darf jedoch die Uniform derzeit nicht tragen, da ein Disziplinarverfahren gegen ihn läuft und die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz ermittelt. "Hannibal" war Administrator mehrerer Chatgruppen, in denen sich sogenannte Prepper darüber austauschten, wie man sich auf einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Deutschland vorbereiten solle.

Unter den Mitgliedern der unterdessen gelöschten Chatgruppen Nord, Süd, West und Ost sowie je einer für die Schweiz und Österreich waren zahlreiche Uniter-Mitglieder zu finden, darunter auch solche mit rechtsextremistischer Gesinnung. Ermittlungen verschiedener Behörden deckten auf, daß Mitglieder der Chatgruppen Lager mit Waffen, Munition und Sprengstoff angelegt haben. Es wurden Listen mit den Namen von Politikern und Aktivisten vor allem aus dem linken Spektrum herumgereicht, die man am "Tag X" in Gefangenenlagern internieren und gegebenenfalls töten werde. Gegen zwei Mitglieder der Chatgruppe Nord wird wegen Terrorverdachts ermittelt. Franco A., ein Angehöriger der Bundeswehr und Mitglied der Chatgruppe Süd, muß sich vor Gericht wegen "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" verantworten. Laut Anklageschrift plante er, als syrischer Flüchtling getarnt hochrangige Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens zu töten. Franco A. soll André S. mindestens zweimal getroffen haben.

Später wurde enthüllt, daß "Hannibal" im Juni 2018 die Mitglieder einer Uniter-Abteilung namens "Defence" auf einem Übungsgelände im baden-württembergischen Mosbach unterrichtete. Mit Hilfe von Softairguns lernten die Zivilisten, sich in Gefechtssituationen mit Waffen zu bewegen. An Schießständen trainiert Uniter den Gebrauch von Schußwaffen. Ermittler durchsuchten die Wohnungen von André S. und weiteren Mitgliedern von "Defence" unter dem Vorwurf, die Männer hätten sich beim Betreiber keine Erlaubnis geholt, um auf dem Trainingsgelände mit Softairwaffen zu schießen. Das wäre ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Mosbach sah offenbar keine Möglichkeit, das Militärtaktiktraining selbst zu ahnden. Das Schießen mit scharfen Waffen zu Übungszwecken ist für sich genommen mit entsprechender Erlaubnis nicht verboten. Sich im Gelände zu bewegen ebenfalls nicht, solange die Vereinsmitglieder dabei lediglich mit Airsoftwaffen ausgerüstet sind. Würde Schießen und taktisches Bewegen miteinander kombiniert, läge indessen das Training für eine paramilitärische Einheit vor, das auf dieser frühen Stufe zumindest offiziell vermieden wurde. Laut recherchierten internen Dokumenten waren jedoch insgesamt 30 Module in vier Stufen geplant, die unter anderem urbanen Häuserkampf, Nahkampf, taktische Bewegungen in Gebirge, Wasser und Luft bis hin zur "Gefechtsbereitschaft" vorsahen.

Zudem sollen Mitglieder des Vereins im Sicherheitsbereich in Libyen oder Guinea tätig gewesen sein. Auf den Philippinen stellten Uniter-Vertreter im Februar 2019 vor hochrangigen Militärs, Polizisten und Vertretern privater Sicherheitsunternehmen ihre Pläne vor, im Inselstaat zwei bis vier Jahre dauernde Kurse anzubieten, deren Teilnehmer im Umgang mit "Extremsituationen" geschult werden sollten. Im Juli 2019 fand dazu eine Trainingseinheit mit Kräften der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) im Laguna Distrikt südlich der Hauptstadt Manila statt. Das dabei vermittelte Wissen kann der Polizei dabei helfen, effektiver im sogenannten Krieg gegen die Drogen vorzugehen, den Präsident Rodrigo Duterte 2016 ausgerufen hat. Seither sind den Todesschwadronen nach offiziellen Angaben 6000 Menschen zum Opfer gefallen, während die Vereinten Nationen von 27.000 Toten ausgehen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat deswegen bereits Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen das Land aufgenommen. Dennoch reiste eine sogenannte Medical Response Unit (MRU) der Uniter auf die Philippinen, deren besondere Fähigkeit in der Behandlung von Verwundeten in Gefechtssituationen besteht. Dabei soll nach internationalen Standards auch die Feuerhoheit hergestellt werden. In einem internen Papier spricht Uniter in diesem Zusammenhang von "aktiver Selbstverteidigung".

In einem Skype-Interview räumte der neue Erste Vorsitzende des Vereins, Michael Z., ein, daß Uniter auf den Philippinen entgegen der bisherigen Behauptungen nicht nur zivile Rettungskräfte, sondern auch Polizisten ausgebildet habe. Die Teilnahme von Polizeibeamten sei aber weder geplant noch abgemacht gewesen. Vielmehr habe sich das vor Ort so entwickelt, was "vielleicht auch unglücklich" sei. Das Angebot derartiger Schulungen ist per se nicht illegal. Solange Gruppen wie Uniter nicht selbst kämpften, kann der deutsche Staat nach geltender Rechtslage diese Handlungen nicht unterbinden. [3]

Ein Offizier des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) hatte schon vor gut zwei Jahren intern von "möglichen Extremismusbezügen" bei Uniter gesprochen. Zu einer Beobachtung des Vereins durch die Geheimdienste kam es damals aber noch nicht. Da der MAD nur aktive Soldaten beobachten darf, suchte er schließlich die Hilfe des Verfassungsschutzes, worauf 2019 eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet wurde, um Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Verein auszuwerten. Angesichts wachsenden öffentlichen Drucks regte sich auch die Politik, und so sprach der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl von einem "Störgefühl". Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte im Dezember: "Jeder sollte sich bewusst sein, dass man sich mit einer Mitgliedschaft in Uniter und mit dem Tragen von Uniter-Symbolik selbst dem Verdacht aussetzt, in der Nähe rechtsextremer Netzwerke und Chats zu stehen."

Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Uniter zum Prüffall erklärt und kann damit systematisch auswerten, ob es bei dieser Organisation verfassungsfeindliche Tendenzen gibt. Geheimdienstliche Mittel wie das Überwachen von Telefonen oder das Anwerben von V-Leuten dürfen auf dieser Stufe noch nicht eingesetzt werden. Das Amt darf nicht über Prüffälle sprechen und erklärte lediglich, daß der Verein "derzeit kein Beobachtungsobjekt" sei, was die nächsthöhere Stufe wäre. Man bewerte aber "fortlaufend verschiedene Personenzusammenschlüsse hinsichtlich des Vorliegens von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung". [4]

Uniter verzeichnet im Zuge der unerwünschten öffentlichen Beachtung offenbar einen erheblichen Mitgliederschwund. Von einst 2.151 Mitgliedern sei die Zahl inzwischen auf knapp 1.000 zurückgegangen und sinke weiter, sagte André S. gegenüber Medien, an die der Verein im Januar herangetreten war, um sein Image in der Öffentlichkeit zu verbessern. Wie sich dabei andeutete, wälzt "Hannibal" nach wie vor überambitionierten Pläne, während der neue Vorsitzende den Ball eher flach zu halten und den Verein angesichts der Auflösungserscheinungen zu retten versucht. [5] Der seit längerem geplante Umzug in die Schweiz nimmt nun Gestalt an, Uniter hat den Vereinssitz nach Rotkreuz im Kanton Zug verlegt. Der dortige Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sieht aufgrund der aktuell vorliegenden Informationen Uniter nicht als Bedrohung für die innere Sicherheit der Schweiz. Während in Deutschland rechtsextrem motivierte Straftaten weiter gefaßt werden und auch Propagandadelikte einschließen, beschränkt sich der Schweizer Geheimdienst auf Fälle, in denen "zur Erreichung der Ziele Gewalttaten verübt, gefördert oder befürwortet" werden. Ein ideologischer oder politischer Hintergrund von Personen allein reicht nicht aus, damit der Nachrichtendienst präventiv tätig werden kann. Die Zuger Polizei hat Kenntnis vom Umzug des Vereins, der aber in der Schweiz nicht verboten sei und keine Tätigkeiten ausübe, die gemäß den gesetzlichen Vorgaben polizeiliches Handeln erforderten. Das könnte ein Klima sein, in dem sich der in Deutschland schwer angeschlagene Verein aus der Schußlinie medialer Kritik bringt und regenerieren kann.

Da der Verfassungsschutz seinen Hauptfeind bekanntlich im linksradikalen Spektrum verortet, ist der pauschale Vorwurf, er sei nicht effektiv genug und gehe zu zögerlich zu Werke, Wasser auf die Mühlen der Staatsräson. Wie sich indessen im Falle Uniters abermals zeigt, mußte der Geheimdienst in Hinblick auf rechte Umtriebe von interessierten Medien zum Jagen getragen werden, als sei ihm völlig unbekannt und aus eigenen Kräften unzugänglich, was deren Recherche ans Licht brachte.


Fußnoten:

[1] taz.de/Interne-Dokumente-des-Vereins-Uniter/!5664632/

[2] www.watson.ch/schweiz/deutschland/561483186-rechtsextreme-mit-anschlagsplaenen-deutscher-verein-zieht-in-die-schweiz

[3] www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/uniter-philippinen-101.html

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/uniter-verfassungsschutz-erklaert-umstrittenen-verein-zum-prueffall-a-4340a636-f0ef-479c-9755-acd93bca88ec

[5] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87411240/prueffall-uniter-hannibals-verein-aus-elitesoldaten-traut-sich-aus-der-deckung.html

28. Februar 2020


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