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KULTUR/0785: Ein Bruch im fugenlosen Protokoll des Papstbesuchs (SB)



"Eine Katastrophe", wetterte der aufgebrachte Franziskaner-Kustos Pierbattista Pizzaballa. Der Generaldirektor des Oberrabbinats von Jerusalem, Oded Wiener, entschuldigte sich öffentlich für die Blamage, die der Zwischenfall für Papst Benedikt XVI. bedeute. "In diesem delikaten Moment des interreligiösen Dialogs war die Intervention eine Verneinung des Dialogs", erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi erzürnt. Man wünsche, daß dieser "Unfall nicht die Mission des Papstes für Frieden und Dialog beeinträchtigt."

Was war geschehen? Im Auditorium des vatikanischen Notre-Dame-Zentrums von Jerusalem war der Vorsitzende des Richterverbands der Palästinensischen Autonomiebehörde, Scheich Taisir Al-Tamimi, überraschend ans Mikrofon getreten, um das Protokoll der abgezirkelten Erklärungen, gedrechselten Worthülsen und scheinheiligen Gesten zu durchbrechen. Ohne Punkt und Komma trug er vor, daß Jerusalem seit den Zeiten Saladins ewige Hauptstadt seines Volkes sei; daß Israel den Muslimen das Beten an der Klagemauer ebenso verwehre wie den Christen an Ostern in der Grabeskirche; daß sich der Papst für die palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen einsetzen möge. Zweimal versuchte der Lateinische Patriarch Fouad Twal, den Scheich zu unterbrechen, doch ohne Erfolg.

Da dieser seine Rede in arabischer Sprache hielt, verstand die Mehrzahl der versammelten Vertreter von mehr als hundert Gruppierungen lange nicht, wie ihnen geschah. Auch der Papst, dem der Inhalt der Ansprache offenbar entging, folgte der Entwicklung verwundert. Einige Teilnehmer verließen demonstrativ den Saal, doch die meisten verharrten wie versteinert auf ihren Plätzen. Als Tamimi schließlich geendet hatte, ertönte vereinzelter Beifall, doch herrschte betretenes Schweigen vor. Dann verließen die Gäste nach einer Verabschiedung vom Papst fluchtartig das Podium, worauf auch der Pontifex samt seinem Anhang vorzeitig das Weite suchte. Dabei hatte man eingedenk des nicht minder turbulenten Verlaufs eines interreligiösen Treffens mit Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 die Wiederholung eines derartigen Szenarios verhindern wollen und ausschließlich unverdächtige Redner eingeplant. Nur zwei Worte der Begrüßung habe Tamimi dem Papst sagen wollen, und die habe er ihm gutgläubig zugestanden, klagte Patriarch Twal.

Am nächsten Morgen demonstrierte das Sicherheitsregime des Papstbesuchs, wie man die verheerende Lebenswirklichkeit der Palästinenser lückenlos ausblendet und die Panne des Vortags schnellstmöglich vergessen macht. In Begleitung des Großmuftis von Jerusalem, Scheich Mohammed Hussein, besuchte der Papst den Felsendom, um dort eine salbungsvolle Rede über die Gemeinsamkeiten der drei großen monotheistischen Weltreligionen zu halten. Die Altstadt war unterdessen zu weiten Teilen abgesperrt und menschenleer. Darüber kreiste ein Hubschrauber, während Scharfschützen auf Minaretten und Hausdächern die gespenstische Szene eines Kriegsgebiets komplettierten.

Ganz und gar abspeisen lassen wollte sich Mohammed Hussein nicht, und so bat er Benedikt um Hilfe gegen die "ständige israelische Aggression gegen unser Volk, unser Land und unsere heiligen Orte in Jerusalem, in Gaza und der Westbank". Er trug eine ganze Liste von palästinensischen Bedrängnissen vor, angefangen von der Diskriminierung der Einwohner Ost-Jerusalems über Siedlungsbau und archäologische Projekte, die die islamischen heiligen Stätten gefährdeten: "Unser palästinensisches Volk entbehrt durch die israelische Besatzung seine Grundrechte und jede Form von Sicherheit und Schutz."

Ob dafür der Papst die richtige Adresse ist? Dieser trieb palästinensischen Jugendlichen in einem Appell die Flausen des Aufbegehrens aus und warnte, sie dürften sich von Bitterkeit und Groll nicht überwältigen lassen: "Habt den Mut, jeder vielleicht von euch verspürten Versuchung zu widerstehen, Gewalt anzuwenden oder terroristische Akte zu begehen." Würde Benedikt wenigstens die Sperrmauer in scharfer Form verurteilen? "In diesem Heiligen Land dauert die Besatzung an und baut Trennmauern", spielte ihm Präsident Mahmoud Abbas den Ball zu, worauf der Papst im Flüchtlingslager Aida salbaderte: "In einer Welt, in der immer mehr Grenzen geöffnet werden - für den Handel, für Reisen, für die Beweglichkeit der Menschen, für kulturellen Austausch - ist es tragisch zu sehen, daß noch Mauern errichtet werden." Wer diese Mauern errichtet und welchem Zweck sie geschuldet sind, erwähnte er nicht, womit er zum Ausdruck brachte, wie marginal die Palästinenser in seinem taktischen Kalkül sind.

So blieb es Scheich Taisir Al-Tamimi zu verdanken, daß die Palästinenser nicht vollends zur Staffage des Papstbesuchs degradiert und im Machtkampf des Vatikans mit dem Judentum verheizt wurden. Er hat sich damit als Partner eines Dialogs diskreditiert, der die einträchtige Administration der herrschenden Verhältnisse betreibt. Er hat die Farce gesprengt und die Palästinenser daran erinnert, daß Duldsamkeit und Fügung ihr Schicksal besiegeln.

14. Mai 2009