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KULTUR/0811: "Rockin' the free world" ... der Sound des Kulturimperialismus (SB)



Was sagen eigentlich Rockmusiker dazu, daß ihr Sound nicht nur zum Amüsement von Angriffstruppen und Folterschergen dient, sondern direkt zur Einschüchterung überfallener Bevölkerung und zum Quälen verschleppter "Terrorverdächtiger" eingesetzt wird. Bislang haben berühmte Künstler wie Britney Spears, Eminem, Christina Aguilera, Bruce Springsteen und Neil Diamond es vorgezogen, zu Berichten über die Verwendung ihrer Musik bei Folterungen zu schweigen. Das berufliche Selbstverständnis der meisten Pop- und Rockstars besteht ohnehin darin, daß sie eine Ware wie jede andere auch produzieren. So, wie man von den Herstellern von Waffen und anderen Erzeugnissen, die ihren Weg in die Folterkammern und Geschützstände des Terrorkriegs finden, nicht erwartet, diesen Gebrauch zu verurteilen, so meinen sich auch Musiker davon freihalten zu können, für die Nutzung ihrer Produktionen im Krieg Verantwortung zu übernehmen.

Das Selbstverständnis, lediglich ein neutrales Funktionselement im Reigen der Kapitalverwertung zu sein, wird allerdings dort widerlegt, wo Musiker Partei für den Aggressor ergreifen oder sich in ihren Liedtexten zu revanchistischen Parolen versteigen. Dabei erweist sich, daß Pop- und Rockmusik nicht nur integraler Bestandteil der kapitalistischen Kulturindustrie sind, sondern daß mit ihren Produkten häufig auf besonders effiziente Weise Propaganda für einen mörderischen Liberalismus betrieben wird. Der die Texte von Rockstücken durchwehende Hauch von Freiheit und Abenteuer, das mit ihren treibenden Rhythmen induzierte Draufgängertum und die raumgreifende Dynamik schneidender Gitarrensoli eigenen sich, wie schon der Vietnamkrieg gezeigt hat, hervorragend dazu, zum rauschhaften Erleben beim Bedienen einer Tod und Verderben säenden Maschinenwaffe oder beim Vorpreschen im Sitz eines Kampfhubschraubers auf feindliche Stellungen beizutragen.

So freute sich James Hetfield von der Rockband Metallica, deren Hit "Enter Sandman" den Einmarsch der US-Truppen in die irakische Stadt Falluja musikalisch untermalte, darüber, dazu beigetragen zu haben, die eigene Überlegenheit mit Shock and Awe-Argumenten zu demonstrieren. Im November 2004 rühmte er den "kulturell offensiven" Charakter des Metallica-Sounds: "Wenn sie nicht an Freiheit gewöhnt sind, dann bin ich froh darüber, Teil ihrer Durchsetzung zu sein". Der Ire Bono von U2 erwies der Kriegführung der USA Reverenz, indem er beim ersten Superbowl-Konzert nach dem 11. September 2001 im Januar 2002 seine Lederjacke öffnete und eine US-Flagge präsentierte. Der Sommerhit des Jahres 2002 in den US-Country-Charts war die Single "Courtesy of the Red, White and Blue (the Angry American)" des Sängers Toby Keith. Er kündigte den Feinden der USA, sprich Al Qaida und Taliban, an, ihnen "mit dem Stiefel in den Arsch zu treten", denn "das ist der amerikanische Weg". Insbesondere die letzte Strophe wurde als Kampfansage verstanden, die auch die Gemütslage vieler US-Bürger beschrieb, als der Irak im darauffolgenden Jahr überfallen wurde:

"Hey, Uncle Sam stellt deinen Namen ganz oben auf die Liste, und die Freiheitsstatue beginnt, ihre Faust zu schwingen, und der Adler wird fliegen, und die Hölle wird losbrechen, wenn du die Glocke von Mutter Freiheit erklingen hörst, und es wird sich anfühlen, als ob die ganze Welt auf dich herabstürzt. Das hast du dem Rot, Weiß und Blau zu verdanken."

Keith trat mit diesem Song bei den US-Soldaten in Afghanistan, auf dem Schlachtschiff New Jersey, in Camp Bondsteel im Kosovo und anderen US-Garnisonen in aller Welt auf. Er wurde vom Texaner George W. Bush, seinerseits ein ausgemachter Country-Fan, zu einem Konzert ins Weiße Haus geladen, wo er dem US-Präsidenten die Nationalhymne Star Spangled Banner vortragen durfte. Sein Liedtext eignete sich hervorragend dazu, auf die Bomben und Granaten der US-Angriffstruppen geschrieben zu werden, erfüllte er doch alle Anforderungen, die man an aggressive Kriegspropaganda nur stellen kann.

Die Parole "Let's Roll!", von der die Legende behauptet, sie habe auf den Lippen Todd Beamers gelegen, als er mit anderen Fluggästen den Märtyrertod gewählt habe, um den vorzeitigen Absturz des in Pennsylvania zu Boden gegangenen United-Airlines-Fluges 93 zu erzwingen, bildete die dazu passende Signatur des Terrorkriegs. Sie ist verewigt in der Luftaufnahme des US-Flugzeugträgers "Belleau Wood", auf dessen Flugfeld die Besatzung eine Formation bildete, die die kriegerische Botschaft "9-11 LET'S ROLL" in den Himmel schickt. Neil Youngs Song "Let's Roll" wird auf dem Album "Are You Passionate?" mit einem Cover inszeniert, auf dem eine von einer Rose gezierte Militäruniform Gefühl und Härte demonstriert.

Während Neil Young zugutezuhalten ist, daß er sich später offen gegen die Kriegspolitik der US-Regierung wendete, arbeiten zahlreiche US-Musiker der Kriegführung ihres Landes bis heute zu, indem sie mit musikalischer Truppenbetreuung zur guten Laune der Truppen in Afghanistan und im Irak beitragen. Selbst der als politischer Aktivist geltende kanadische Sänger Bruce Cockburn trat vor den Besatzungstruppen seines Landes in Afghanistan auf und wurde, als er seinen ursprünglich gegen die Militärdiktatur in Guatemala gerichteten Song "If I Had a Rocket Launcher" sang, mit einer derartigen Waffe präsentiert.

Den Gipfel popkultureller Aufrüstung im Terrorkrieg erklommen die US-Streitkräfte jedoch damit, daß sie gefesselte Gefangene, die sich nicht einmal die Ohren zuhalten konnten, stundenlang dröhnender Popmusik aussetzten. Das Wachpersonal machte sich mitunter ein sadistisches Vergnügen aus der Beschallung der jeweiligen "Disco". So zwangen sie ihre Opfer, zu der quälenden Musik zu tanzen, um sich über den Anblick der nackten, mit Kapuzen über den Köpfen zu anzüglichen Texten orientierungslos herumtaumelnden Männer köstlich zu amüsieren.

Laut Aussage des irakischen Anwalts Moustafa Bayoumi vom Dezember 2005 waren Folterkonzerte von mehr als zwölf Stunden Dauer in ohrenbetäubender Lautstärke im Lager Abu Ghraib keine Seltenheit. Die Heroen der globalen Popkultur provozierten bei ihrem unfreiwilligen Publikum regelmäßig vegetative Reaktionen wie das Erbrechen des Mageninhalts. Da die Musik nicht nur von ihrer Lautstärke her unerträglich war, sondern des Englischen kundige Iraker mit sexuellen Provokationen und üblen Schimpfwörtern traktiert, hatten diese über die physischen Qualen hinaus allen Grund dazu, die Erzeugnisse imperialistischer Kulturproduktion zum Kotzen zu finden.

In den USA provozierten Berichte über diese Form der Folter nicht etwa einen Aufschrei der Empörung, sondern trugen zur Unterhaltung bei. So berichtete Bayoumi von einer Hitparade der beliebtesten Folterstücke auf der Website der Chicago Tribune, in der New York Sun witzelte man über "Stimmungsmusik, um deinen Jihadi durchzuschütteln", andere Blätter machten sich darüber lustig, daß das gewaltsame Anschauen von Fotos amerikanischer Popstars nicht durch die Genfer Konventionen verboten wäre.

Es ist daher folgerichtig, das Schweigen der Künstler, mit deren Musik die Opfer des Terrorkriegs terrorisiert wurden, als ihren Beitrag zum Sieg der freien Welt über zurückgebliebene Völker, deren Lebensstil ein Leistungsträger der westlichen Metropolengesellschaft ganz und gar nicht sexy findet, zu verstehen. Als Ausdruck einer allgegenwärtigen, den letzten Winkel der Erde penetrierenden Kulturindustrie sind Rock'n'Roll und HipHop Bannerträger einer Weltordnung, der es gleichgültig ist, wie das sie fungierende Kapital verwertet wird. Wenn junge Soldaten in der Uniform der US-Streitkräfte hinter dem Steuerknüppel eines Kampfbombers oder dem Lenkrad eines Schützenpanzers zum Sound von treibendem Rock und HipHop andere Länder heimsuchen, wenn das Blubbern des Basses und die Fanfaren elektronischer Klangerzeuger in den Rhythmus ihrer Kriegsmaschinerie einfallen, dann erhalten Freiheit und Demokratie einen ausgesprochen sinnlichen, Kulturimperialismus zum sinnstiftenden Identifikationsfaktor verklärenden Anstrich.

Zuguterletzt haben sich dieser Tage doch noch einige Musiker zu Wort gemeldet und angekündigt, Klage gegen die Verwendung ihrer Stücke bei Folterverhören in Guantanamo und anderswo zu erheben. Bands wie REM, Pearl Jam, Nine Inch Nails, Rage Against the Machine und The Roots sowie die Musiker Steve Earle, Jackson Browne und Roseanne Cash verlangen Einsicht in die Dokumente, aus denen hervorgeht, wie Musik als Mittel der Folter eingesetzt wurde. Es ist zwar nie zu spät, etwas dafür zu tun, daß die eigene Arbeit nicht auf eine Weise zweckentfremdet wird, die man nicht gutheißen kann, doch müssen sich gerade die Mitglieder dieser als politisch progressiv geltenden Bands die Frage gefallen lassen, wieso sie erst jetzt auf die seit langem bekannten Berichte über den Einsatz von Rockmusik bei der Folterung sogenannter Terrorverdächtiger reagieren.

24. Oktober 2009