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KULTUR/0814: Giordanos Kulturkampf gegen Kölner Moschee ... Rassismus der besseren Stände (SB)



Zur Grundsteinlegung der Moschee in Köln-Ehrenfeld hat der Publizist Ralph Giordano im Deutschlandfunk (07.11.2009) grundsätzliches Mißtrauen gegenüber den Betreibern angemeldet. Sie würden sich nicht daran halten, den Ruf des Muezzins nur innerhalb des Gebäudekomplexes erschallen zu lassen, zudem sei die Moschee mindestens eine Nummer zu groß. Sein Unbehagen an der Existenz einer religiösen Stätte repräsentativen Charakters, an der die Kölner Muslime ihren Glauben zelebrieren können, ohne sich in Fabriketagen und Hinterhöfen zu verstecken, begründete Giordano einmal mehr mit der angeblichen Rückschrittlichkeit des Islam.

Der westliche Kulturkreis habe gegenüber dem muslimischen 500 Jahre Vorsprung, so Giordano unter Verweis auf die Aufklärung und die damit einhergehende Säkularisierung. Wieso diese Entwicklung nicht geradezu eine gesellschaftliche Vielfalt einfordert, in der verschiedenste Kulturen und Milieus in friedlicher Koexistenz leben, ist eine Frage, die der Historiker aus gutem Grund nicht diskutiert. Sein Kulturparadigma ist das der hegemonialen Mehrheitsgesellschaft, der sich Außenseiter anzupassen oder die sie zu verlassen haben. Eine ganze Gruppe der Bevölkerung zu marginalisieren und ihre angebliche Antiquiertheit als unvereinbar mit dem unterstellten Fortschritt der eigenen Weltanschaung darzustellen ist Ausdruck einer Gesellschaftskonzeption, die mit der humanistischen Aufklärung längst gebrochen hat und sich ihrer Dialektik in reaktionärer Stoßrichtung bedient.

Giordanos Argumentation ist protofaschistisch in dem Sinne, als sie ein Ganzes des Volkes unterstellt, das den einzelnen bedingt und nicht umgekehrt. Das bürgerliche Aufbegehren gegen Adel und Klerus richtete sich nicht nur gegen den dogmatischen Einfluß der Kirche auf die Moral der Gesellschaft und gegen die Kollaboration von Thron und Altar, es konstituierte vor allem republikanische Freiheiten, die auch die der Freiheit des Glaubens, der Religion und Weltanschauung umfassen. Wo unter Verweis auf den in der Bundesrepublik keineswegs vollständig verwirklichten Säkularismus die Hegemonie einer von christlichen Werten bestimmten Mehrheitsgesellschaft durchgesetzt und mit der These von der Unvereinbarkeit der Kulturen verlangt wird, daß Muslime sich in ihrem Auftreten mäßigen sollen, weil sie in ihrer Eigenständigkeit ansonsten zum Ärgernis oder gar zur Bedrohung von Ruhe und Ordnung geraten, nur um diese Feste bürgerlicher Wohlanständigkeit im Endeffekt durch die Aggressivität ihrer Verteidiger zu demontieren, da wird die Dominanz einer Einheitsgesellschaft beschworen, die all ihren Insassen, die ihr nicht genügen, dadurch Gewalt antut, daß sie sie zu Bürgern zweiter Klasse herabsetzt, ausgrenzt und vertreibt.

Wie Giordanos diskriminierender Übergriff auf den Islam zeigt, geht es ihm keineswegs darum, daß die Normen und Werte seiner Leitkultur auf demokratischem Wege bestimmt werden. Sie werden ad hoc von denjenigen festgesetzt, die sich mit ideologisch begründeter Suprematie zu den Sprechern der vorgeblichen Mehrheit erklären. Die Bevölkerung konstituiert sich nicht mit dem Primat der Selbstbestimmung aus der Diversität ihrer Zusammensetzung, sie wird von vornherein in die Zwangsjacke einer normativen Ordnung gesteckt, in der gravierende Klassenunterschiede herrschen, die keineswegs zum Anlaß des gesellschaftlichen Konflikts geraten sollen. Gerade weil die Subalternen keine Stimme erhalten und sich ihrer Widerstandsfähigkeit bewußt werden sollen, wird dieser Konflikt kulturalistisch ausgedeutet und auf dem Feld der von den westlichen Industriestaaten dominierten Weltordnung aggressiv entufert.

Giordanos Herabsetzung der Muslime ist Kulturimperialismus reinsten Wassers, deckt sich die von ihm unterstellte Rückständigkeit doch mit dem politischen Selbstverständnis westlicher Kriegspolitik in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Die dort durchzusetzende Ordnung westlicher "market democracies" hat Demokratie und Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben und meint damit einen Wertekodex, der das Prinzip demokratischer Selbstbestimmung durch die positive Bestimmung ihres Gehalts von vornherein aufhebt. Wenn Demokratie nur auf der Basis marktwirtschaftlicher Verwertungsverhältnisse als solche gilt oder wenn die universalen Menschenrechte ausschließlich kapitalismusapologetisch durchgesetzt werden, indem das Aushungern von Millionen durch aggressive Aneignungspraktiken oder Ausbeutung durch Arbeit nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt wird, dann erweisen sich Kulturkämpfer wie Giordano als Herolde unverhohlener Raubinteressen.

Wenn der Kölner Publizist in der Tradition der Aufklärung stände, dann legte er die Toleranz gegenüber Menschen anderen Glaubens nicht restriktiv aus und forderte sie dazu auf, den Kopf zu senken, wenn ein Herrenmensch daherkommt. Wenn die Größe einer Moschee oder die Frage, ob zwischen hunderten von Kirchenglocken der Ruf des Muezzins ertönt, zum Anlaß wird, sich in seiner Lebensform bedroht zu fühlen, was sollen dann die Menschen in Ländern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung sagen, in deren Himmeln die Bomber einer christlichen Großmacht kreuzen? Daß Giordano es nötig hat, sich von offen rassistischen Nazis zu distanzieren, ist gut zu verstehen.

Seine Feindseligkeit kommt vornehmer daher, sie bedient sich einer kulturalistischen Verabsolutierung des Integrationsanspruchs, die die damit angeblich zu schützenden bürgerlichen Freiheit Lügen straft und koppelt, wie der Sozialrassismus des von ihm verteidigten Thilo Sarrazin, als neokonservativ modernisiertes Hybrid des klassischen Rassenhasses aus strategischen Gründen an die Sachzwanglogik moderner Sozialingenieure an. Im Kern jedoch zeigt sich, daß die neue bürgerliche Rechte einen Krieg nicht zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie, sondern zur Durchsetzung ihrer Privilegien und Herrschaft führt.

7. November 2009