Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0829: Im Irrgarten der Projektionen ... Junge Liberale auf Kommunistenjagd (SB)



"Täuschend echt. Illusion und Wirklichkeit in der Kunst" - unter diesem Titel präsentiert das Bucerius-Kunstforum in der Hansestadt Hamburg rund 80 Werke der bildenden Kunst, mit denen die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit auf ihre Gültigkeit hin abgeklopft wird. Hier geht es weniger um ein erkenntnistheoretisches Problem nach Art des Platonschen Höhlengleichnisses, sondern um Sinnestäuschungen, denen man auf die Schliche kommen kann, um die Welt anschließend so geordnet und zurechtgerückt vorzufinden, wie es vom nicht nur kunstsinnigen Betrachter bevorzugt wird. Daß dieser, wie es in der Ankündigung zur Ausstellung heißt, "durch Zeichnungen, Gemälde oder Skulpturen an den äußersten Punkt der Sinnestäuschung geleitet werden (soll), so dass er für einen wirklichen Gegenstand hält, was ihm doch nur als Darstellung gegenüber steht", erklärt die Dechiffrierbarkeit des Gesehenen zu einem programmatischen Anliegen. Dem wird das Publikum um so gerechter, als es vorher weiß, es bei einem Trompe-l´oeil mit einem illusionistischen Spiel räumlicher Perspektiven zu tun zu haben, in dem die Faszination des 3-D-Kinos schon vor Hunderten von Jahren mit ungleich einfacheren Mitteln hervorgerufen wurde.

Doch wartet die Ausstellung nicht nur mit optischen Trugbildern aus der Geschichte der Kunst auf, sie zelebriert den Reiz der Täuschung auch mit hintergründigen Inszenierungen wohlvertrauter Ikonen der Gegenwartskultur. So wurde auf dem Hamburger Rathausmarkt eine Statue des Berliner Künstlers Christian Jankowski aufgestellt, bei der es sich vermeintlich um den Revolutionsführer Che Guevara handelt. Tatsächlich jedoch hat Jankowski einen Darsteller des berühmten Argentiniers zum Vorbild seiner Plastik genommen, der sein Dasein als Touristenattraktion in Barcelona fristet.

Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, daß den Passanten dieser feine Unterschied auffällt, geht von dieser Kunstaktion doch nichts Subversiveres aus als ein Schattenspielertrick, dessen Urheber dem unkundigen Betrachter nachher eine lange Nase machen kann. Da sich Werbetreibende und Modedesigner heute des kommunistischen Revolutionärs bemächtigt haben, scheint auch der letzte Rest der Gefahr gebannt zu sein, daß von seiner Figur etwas anderes ausgehen könnte als der Wiedererkennungswert, mit Hilfe dessen der Kunde in seiner vergeblichen Identitätssuche geködert wird. Der Gebrauchswert dieses Symbols steht, wie bei jeder erfolgreichen Markenikonographie, im umgekehrten Verhältnis zur Kenntnis der gesellschaftlichen Produktivität, die es hervorgebracht hat. Was könnte den Sieg des Imperialismus besser unterstreichen als die Verwandlung seiner Gegner in Signaturen der Warenform, mit der er sich die Welt untertan zu machen trachtet?

Doch scheinen sich nicht alle Sieger der Unumerkehrbarkeit ihres historischen Triumphs so sicher zu sein, daß sie in einer solchen Inszenierung nicht doch den Brandgeruch der Revolution witterten. So zeigte sich die Jugendorganisation der FDP in Hamburg in einer Presseerklärung "irritiert" darüber, im vielbegangenen Zentrum der Hansestadt eine Statue zu erblicken, "die anscheinend den marxistischen Guerrillaführer Ernesto Guevara de la Serna in Uniform und mit Zigarre darstellen soll". Wiewohl man sich ob der Ungeheuerlichkeit, 20 Jahre nach Anschluß der DDR an die BRD wieder Helden des internationalen Klassenkampfs auf deutschen Straßen zu erblicken, nicht ganz sicher über die Identität der dargestellten Person zu sein schien, konstatierte der Vorsitzende der Hamburger Jungliberalen, Finn Ole Ritter: "Statuen von marxistischen Guerrillaführern haben auf dem Hamburger Rathausmarkt jedenfalls nichts zu suchen. Nach mehr als vierzig Jahren der Anbetung Guevaras, der mittlerweile den Status einer linken Pop-Ikone hat, ist nach unserem Dafürhalten sowieso eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Stalin-Verehrer überfällig" (FAZ, 23.03.2010).

Wie Finn und seine Mitstreiter mittlerweile der Presse entnehmen konnten, hat sie der Verdacht, bei dieser Statue nicht das zu erblicken, was sie zu sein scheint, nicht getrügt. Das mindert die Wirksamkeit ihrer antikommunistischen Tirade jedoch keineswegs, bedient sich diese doch ebenso eines bloßen Phantoms eigener Paranoia, wie es FDP-Parlamentarier tun, wenn sie Kollegen von der Partei die Linke als "Kommunisten" schmähen. Ihr Feldzug gegen eine politische Gesinnung, der sie das allerschlimmste, den Angriff auf die Eigentumsordnung, anlasten, bewegt sich auf der gleichen Ebene jener "mimetisch-illusionistischen Nachahmung der äußeren Natur", von der in der Ankündigung zur Ausstellung erklärt wird, daß sie "bis in die Gegenwart hoch im Kurs" stände. So begegnen die Adepten eines Liberalismus, dessen vorgebliche Staatsferne längst durch die waffenstarrende Phalanx widerlegt wurde, mit der die Freiheit des Kapitals auch zum Preis bitterster Unfreiheit daran nicht teilhabenden Elends durchgesetzt wird, dem zum Standbild erstarrten Darsteller eines Revolutionärs in der Zirkelschlüssigkeit eines antikommunistischen Reflexes, der viel über sie, aber nichts über Che Guevara verrät.

Um dieser Täuschung auf den Grund zu gehen, müßten sie verstehen, daß sein Konterfei noch so viele Konsumartikel zieren kann, ohne daß die Botschaft, die dieser universalen Verwendungsfähigkeit zugrundeliegt, davon tangiert würde. Das liegt ihnen, die sich ganz Herr ihrer selbst wähnen, während sie als Sachwalter des sozialdarwinistischen Überlebensprimats einem inhumanen, den andern stets als Freßfeind bekämpfenden Menschenbild frönen, nicht nur fern, sie wären dazu auch nicht in der Lage. So attraktiv der Fetisch der Warenform erscheinen mag, die von ihm ausgehende Faszination müht sich vergeblich an der Unverwechselbarkeit dessen ab, was mit keinem Geldbetrag zu erstehen ist. Die Einzigartigkeit des Che widersteht seiner konsumistischen Anverwandlung aufgrund des von ihm gelebten Bruches mit den Wechselverhältnissen, die den homo oeconomicus zum bloßen Appendix desjenigen Verfügungsinteresses machen, dessen er sich zu bedienen meint. Ein gelungeneres Beispiel für die Macht der Täuschung als die Reaktion eines leerlaufenden Antikommunismus, der sich vergeblich an einer Kreation seiner eigenen Wirklichkeitsinszenierung abarbeitet, ist wohl von keinem anderen Exponat dieser Ausstellung zu erwarten.

24. März 2010