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KULTUR/0841: Journalistische Unabhängigkeit ... eine Schimäre massenmedialer Indoktrination (SB)



Am Tag der Pressefreiheit übten sich große deutsche Zeitungen vor allem in Selbstbeweihräucherung. Wenn überhaupt, dann wurde der Blick auf repressive Regimes gelenkt, unter denen kritische Journalisten um ihr Leben fürchten müssen. Der Gag der Tageszeitung Die Welt, am 3. Mai mit einer unbedruckten weißen Seite aufzumachen, um den Wert der Pressefreiheit symbolisch darzustellen, blieb ein solcher, wagte es das Vorzeigeblatt des Springer-Konzerns doch nicht, wenigstens zu diesem Anlaß über die Einschränkungen zu reflektieren, denen die eigenen Redakteure und Autoren ausgesetzt sind. Zwar wurde "die verdeckte Bedrohung durch die Kulmination aus Rechtsprechung, staatlichen Einzelinteressen und neuen Technologien" erwähnt, doch das zentrale Problem auch und gerade des sogenannten Qualitätsjournalismus wurde nicht beim Namen genannt.

Der Verwertungszwang, unter dem das journalistische Gewerbe steht, findet in kommerziellen Zeitungen und Zeitschriften aus naheliegendem Grund selten Erwähnung. Unter welchen spezifischen ökonomischen Bedingungen ihre Artikel zustandekommen, muß den Leser zwar nicht interessieren, ist aber aufgrund des Einflusses, den die Verlagspolitik auf die redaktionelle Arbeit hat, keineswegs trivial. Gerade im politischen Journalismus nehmen die Verlagskonzerne wesentlichen Einfluß auf die inhaltliche Gewichtung dessen, was die bei ihnen angestellten Mitarbeiter verfassen.

Dabei erfolgt die inhaltliche Ausrichtung längs spezifischer Interessen der Werbekunden oder Verleger keineswegs nur auf informellem Wege. Wie die "Schere im Kopf" beschaffen ist, läßt sich etwa den politischen Leitlinien von Verlagskonzernen entnehmen. Das bekannteste Beispiel für die ideologische Zurichtung angeblich unabhängiger Journalisten sind die "fünf gesellschaftspolitischen Unternehmensgrundsätze"[1] der Axel Springer AG. Über das "freiheitliche Weltbild", das sie beschreiben, läßt sich trefflich streiten, insbesondere vor dem Hintergrund, daß die "journalistischen Leitlinien"[2] des Verlagskonzerns "Unabhängigkeit" zur "unverzichtbaren Grundlage" der Arbeit seiner Redakteure erklärt.

So wird Deutschland in den Unternehmensgrundsätzen der Axel Springer AG "als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft" auf eine Weise politisch und kulturell verortet, die Überlegungen etwa zu strategischen Bündnissen der Bundesrepublik mit China und Rußland von vornherein zu einem riskanten Unterfangen machten. Die Forderung nach der "Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes", die nicht zu leugnen bei keinem politischen Kommentator außerhalb rechtsradikaler Kreise explizit verlangt werden muß, fällt jedem Redakteur auf die Füße, der sich für die Lebensrechte des palästinensischen Volkes einsetzen wollte.

Die verlangte "Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika" wird Journalisten, die zu der Auffassung gelangten, daß die NATO schon lange jegliche Existenzberechtigung eingebüßt hat, vor einige Probleme stellen. "Die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus" immunisiert sie gegen eine sachgerechte und nüchterne Auseinandersetzung mit politischer Radikalität, allerdings ohne die staatsautoritären Anwandlungen neokonservativer Demagogen oder Plädoyers für die Anwendung der Folter bei Terrorverdächtigen zu betreffen. Was "totalitär" ist und was nicht, wird im Zweifelsfall nach Maßgabe realpolitischer Nützlichkeit und nicht der Grundsätze konstitutionellen und internationalen Rechts entschieden.

Schließlich sorgt die "Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft" dafür, daß der Blick der Angestellten dieses Konzerns starr auf die Verteidigung der Interessen seiner Aktionäre gerichtet bleibt. Erörterungen darüber, daß es sich bei diesem Terminus um eine Chiffre des neoliberalen Marktdogmas handelt, mit dem die Ökonomisierung von allem und jedem zu Lasten des sozialen Wohlbefindens und der politischen Selbstbestimmung des Gros der lohnabhängigen und erwerbsunfähigen Bevölkerung betrieben wird, wird man in den Blättern dieses einflußreichen publizistischen Akteurs vergeblich suchen. Der apologetische Grundton der Unternehmensgrundsätze läßt ahnen, was den Unternehmensgründer Axel Springer getrieben hat, als er sie in den 1960er Jahren verfaßte. Die Modifikation dieser inhaltlichen Grenzmarkierungen nach seinem Tod ändert nichts an ihrem verbindlichen Charakter, ansonsten brauchte man sie nicht aufzustellen.

So bedarf es keiner ausdrücklichen Belehrung der angestellten Redakteure wie "freien" Autoren. Wer bei diesem Verlagskonzern "unabhängigen und kritischen Journalismus"[2] betreibt, ist sich zweifellos im Klaren über die Interessen der Axel Springer AG. Diese erstrecken sich über den bloßen ökonomischen Unternehmenserfolg hinaus auf die aktive Bekämpfung aller Kräfte, die diese Gesellschaft in ihrem sozial ausgrenzenden und nach innen wie außen repressiven Charakter in Frage stellen.

Medienprodukte sind keine bloße Ware, auch wenn die Verlagsmanager diesen Eindruck erwecken. Sie sind keine bloßen Träger wertneutraler Informationen, auch wenn die neoliberale Doktrin der Wissensgesellschaft suggeriert, deren Vermittlung bilde die Basis rationalen menschlichen Handelns. Systemintegrative Medien formieren die Gesellschaft nach Maßgabe herrschender Interessen, indem sie ideologische und weltanschauliche Normen setzen, die in angeblich objektiven und neutralen Berichten leicht nachzuweisen sind. Als "Profis" verfolgen Journalisten ökonomische und berufständische Interessen, denen gegenüber eine Kritik, die diesen Namen verdient, weil sie sich nicht die Deckung sklavischer Konformität sucht, im Zweifelsfall auf der Strecke bleibt.

Über den Verfall des sogenannten Qualitätsjournalismus wird häufig lamentiert, ohne die Opportunitätsforderungen und Anpassungszwänge, denen Journalisten ausgesetzt sind, ernsthaft in Betracht zu ziehen. Daher gilt nicht nur für die Redakteure und Autoren dieses Verlagskonzerns, daß ihnen politische Aufklärung, die die systemischen Voraussetzungen der eigenen Arbeit einbezieht, Anathema ist.

Fußnoten:

[1] http://www.axelspringer.de/artikel/Unternehmensgrundsaetze_40574.html

[2] http://www.axelspringer.de/artikel/Leitlinien-der-journalistischen-Unabhaengigkeit-bei-Axel-Springer_40856.html

5. Mai 2010