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KULTUR/0852: Konsumgut Schönheit durch Modezensur sozialverträglicher machen? (SB)



Die Anforderungen an das Aussehen von Frauen, die eine erfolgreiche Karriere anstreben oder zumindest eine gute Partie auf dem Ehemarkt machen wollen, haben längst den Charakter einer potentiellen Körperverletzung angenommen. Wer dem medial propagierten Schönheitsideal nicht entspricht, begibt sich schon in jungen Jahren immer öfter unter das Messer der Schönheitschirurgen. Wo konventionelle Kosmetik nicht mehr ausreicht, um die ersten Falten zu übedecken, wird mit Injektionen des hochgiftigen Botox nachgeholfen. Magersucht und Eßstörungen grassieren, weil die vorgegebene Schlanksheitsnorm nur über lebensverweigernde Enthaltsamkeit zu realisieren ist. Der perfekte Body ist alles andere als ein von Vitalität und Bewegungsfreude durchpulster Organismus, er ist in seiner modellhaften Performanz dem Tod näher als dem Leben, könnte doch jede unwillkürliche Regung den maskenhaften Ausdruck perfekt durchorganisierter Mimik entgleisen lassen.

Um der Industrienorm der seriellen Schönheitsproduktion ihre imperative Kraft zu nehmen, will die britische Gleichstellungsministerin Lynne Featherstone etwas dagegen unternehmen, daß Modefotografen ihre Bilder digital nachbearbeiten. Indem die Hochglanzfotos der Modemagazine "vollständig unerreichbare Körperstereotypien" kreierten, werde auf junge Frauen starker Druck ausgeübt, der etwa im Falle der sogenannten Size Zero-Models regelrecht krankmache. Frauen würde dadurch, daß sie den aufgehübschten Models nacheiferten, das Recht vorenthalten, sich in ihrem Körper wohlzufühlen, so Featherstone. Zudem brächen die Zeitungensverlage den von ihnen selbst anerkannten Pressekodex, der verlange, keine ungenauen, irreführenden oder entfremdeten Informationen zu verbreiten, wenn sie digital nachbearbeitete Modofotos veröffentlichten. Aus diesem Grund will die Ministerin derartige Aufnahmen künftig mit einer Gesundheitswarnung versehen lassen [1].

Interventionen dieser Art sind typisch für eine Medizinaltechnokratie, die die krankmachenden Bedingungen kapitalistischer Produktivität reguliert, anstatt dafür zu streiten, sie aufzuheben. Niemand zwingt die Kundinnen der Modeindustrie, den vorgeführten Idealmaßen und Gesichtzügen nachzueifern. Sie unterliegen schlicht dem Warencharakter der kapitalistisch vergesellschafteten Physis, die am Fließband zu verbrauchen weitaus quälender ist als im Schönheitssalon. Ginge es tatsächlich darum, Frauen vom Zwang zu befreien, sich über die Adaption bestimmter Körperbilder auf dem Markt der tausend Möglichkeiten verwertbar zu machen, dann erforderte dies grundsätzliche Aufklärung über die Totalität gesellschaftlicher Tauschverhältnisse. So ist jedem Menschen klar, daß das Diktat physischer Attraktivität Ergebnis eines Konkurrenzprinzips ist, das stets zu Lasten anderer ausgeht.

Infragezustellen ist die Verwertbarkeit körperlicher Schönheit als solcher und nicht die konsequente Zurichtung des Menschen auf sie, die keineswegs mit der Illusionsmaschine der Bildproduktion anfängt. Frau und Mann haben es mit einem Attribut des Raubes zu tun, an dem nichts romantisch ist, was nicht längst von den Finessen sozialer Konkurrenz kontaminiert wäre. Das zeigt sich schon daran, daß Schönheit stets in engen Zusammenhang zur biologischen Reproduktion gestellt wird und die gewaltsame Aneignung schöner Frauen durch starke Männer oder mächtige Kriegsherren eine Konstante der Kulturgeschichte ist.

Der um erfolgreiche Models betriebene Kult und ihre fototechnische Inszenierung sind das kulturindustrielle Äquivalent einer Reichtumsproduktion, die über die Erwirtschaftung des Mehrwerts stets Verluste produziert. Wo die Physis ästhetischen Normen unterworfen wird, wird der daraus entspringende Verlust in den Leibern derjenigen akkumuliert, die ihnen nicht entsprechen. Die Glorifizierung jugendlicher Schönheit erzeugt die angebliche Häßlichkeit des Alters und mit ihr die Bereitschaft, aktiv an der biologischen Lösung des Problems zu arbeiten. Das mit Gesundheit gleichgesetzte muskuläre Profil durchtrainierter Athleten bringt überall dort Verfall hervor, wo Statur und Mobilität vom Zahn der Zeit oder gar der offensiven Verweigerung handelsüblicher Selbstinszenierung in Mitleidenschaft gezogen werden.

All das hat mit der Qualität subjektiven Lebens nur so viel zu tun, als im sozialen Abgleich in den andern hineinprojiziert wird. Der aggressive Übergriff auf dessen Leben beginnt allerdings schon dort, wo ihm untersagt wird, sich täuschen zu lassen. Wer dem Traum der Schönheit gerne nachhängt, und sei er so puppenhaft und trivial wie in der Einbauküche von Ken und Barbie inszeniert, folgt seiner ganz persönlichen Ratio ebenso wie derjenige, der dem Verdikt des Schönheitskonsums die ganze Häßlichkeit antagonistischer Existenz entgegenschleudert. So lange auf der gleichen Ebene wie falsch und richtig, gut und böse wertende Dichtomien produziert werden, steht die Überwindung jeglicher Fremdbestimmung noch aus.

4. August 2010

Fußnote:

[1] http://www.guardian.co.uk/lifeandstyle/2010/jul/25/fashion-industry-airbrushing-clampdown