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KULTUR/0998: Kinderglaube Kommunismus (SB)



Nichts zu sagen zu haben und es gerade deshalb zu tun scheint einem Feuilleton, das dem Wohlfühlklima des saturierten Bürgertums verpflichtet ist, Auftrag und Bekenntnis in einem zu sein. Schließlich ist die Sache der sozialen Revolution mit der Implosion der realsozialistischen Staatenwelt noch nicht ausgestanden, bringt doch jeder Tag neue Nachrichten über den zerstörerischen, Mensch und Natur unter Schmerzen verbrauchenden Charakter der kapitalistischen Verwertungsordnung. Auch wenn es lange her ist - sich am Mißerfolg des Aufbegehrens von unten zu erfreuen und den Kommunismus als untoten Wiedergänger zu beschwören, um ihn endgültig zur Hölle zu wünschen, gehört zur ersten Wahl unter den Lebenselixieren alter Männer. In den Niederungen der Kämpfe und Widersprüche, die das Gros der Menschen tagaus, tagein am Band hält, mögen andere vergehen. Wer beizeiten die Seite gewechselt und das rettende Ufer der selbsternannten Sieger erreicht hat, delektiert sich besonders gerne an den Schattenwürfen jener Träume der Jugend, die im gereiften Alter als Verirrungen auszuweisen die Meriten derjenigen einbringt, die schon immer Recht hatten und dies auch in Zukunft haben wollen.

Ihnen geht es weniger darum, die historische Wahrheit gepachtet zu haben, was als solches schon Ausdruck beträchtlicher gesellschaftlicher Macht ist. Die nur scheinbar abgeschlossene Geschichte gescheiterter Revolutionen wird erst dann in einen unumkehrbaren Sieg verwandelt, wenn niemand mehr Einspruch erheben kann und die eigene Definitionsmacht unangreifbar wird. Solange dies nicht erfolgt ist, behilft man sich mit dem witzelnden Aufkehren der Trümmer, die nach dem großen Kehraus als ideologische Versatzstücke übriggeblieben sind. Sich über den Versuch mancher Menschen, die ehernen Grenzen der herrschenden Ordnung zu überwinden, lustig zu machen, wie mit der Wahl des Titels "Die Klassen-Kämpfer" anläßlich eines Gesprächs zwischen dem Liedermacher Wolf Biermann und dem Unternehmer Klaus-Michael Kühne in der Wochenendausgabe des Hamburger Abendblattes (8./9. Oktober 2016) [1] geschehen, verrät allerdings wenig mehr als die Vorliebe der verantwortlichen Redakteure für begriffliche Analogien flachester Art.

Daß der Mehrheitseigner des weltweit aktiven Logistikkonzerns Kühne + Nagel und der ehemalige Kommunist vor dessen Übersiedlung in die DDR 1953 das Hamburger Heinrich-Hertz-Gymnasium besuchten und dort in einer Schulklasse saßen, wäre keiner weiteren Beachtung wert, wenn Biermann zusammen mit der DDR in Bedeutungslosigkeit versunken wäre. Als Kronzeuge für den vermeintlichen Irrweg des Sozialismus jedoch gibt er mit dem Milliardär eine geradezu idealtypische Paarung ab, können die ehemaligen Schulkameraden doch endlich nachholen, was die ideologische Ferne zwischen dem Sproß einer Unternehmerdynastie und dem Sohn eines in Auschwitz ermordeten Kommunisten seinerzeit nicht zuließ.

So verstehen sich die beiden Herren auf drei ganzen Seiten der Tageszeitung prächtig, und auch die unterschiedliche Wahrnehmung der alliierten Luftangriffe, die für Kühne "Bombenterror", für Biermann ein "Himmelsgeschenk" waren, tut dem keinen Abbruch. Man bekräftigt sich darin, sich zum Besseren gewandelt zu haben, und wo dies nicht der Fall sein sollte, gilt Biermanns altersweise Einsicht in die Unüberwindlichkeit blutsgebundener Herkunft: "Kein Ei kann sich das Nest aussuchen, in dem es ausgebrütet wird. Wir können nichts für die Prägungen." Das gilt das ganze Leben lang und somit auch für die schicksalhaft gegebene Ordnung des Oben und Unten, in der jeder an seinem Platz das Richtige zu tun hat.

Für den Liedermacher erschwerend hinzu kam eine eigene Art - der rechten Revanchismus legitimierende Vorwurf des "Linksfaschismus" läßt grüßen - von "Auschwitz-Keule". So redete ihm seine Mutter ins Gewissen, daß sein Vater nicht dafür in Auschwitz gestorben wäre, daß er in der Schule eine Fünf in Mathe schreibt. Dies habe ihn später dazu getrieben, in der DDR neben Philosophie auch Mathematik zu studieren, obwohl ihn das eigentlich nicht interessierte. Derart auf die unabänderliche Bahn nach links gesetzt konnte kaum ausbleiben, daß der singende Dichter in der DDR zum "kleinen Drachentöter mit dem Holzschwert, auf dem sechs Saiten gespannt sind", werden mußte. Die im Gespräch mit Kühne imaginierte Alternative wäre allemal schrecklicher gewesen - dann wäre Biermann "hier in Hamburg im kommunistischen Milieu geblieben, verblödet und heute ein Genosse von Gregor Gysi. So tief wäre ich gesunken! Einer wie ich brauchte damals die Lektion des wirklichen Lebens in der DDR, des Arbeiter- und Bauernparadieses."

Doch der gerechte Lohn ließ nicht auf sich warten und hat den Genossen Biermann schlußendlich in die luftigen Höhen der besseren Gesellschaft der Hansestadt katapultiert. Auf der Titelseite der Leib- und Magenlektüre des Hamburger Bürgertums, das schon den Untergang seiner heilen Welt fürchtet, wenn Grafitti auf U-Bahn-Wänden erscheinen oder der Jungfernstieg von weniger konsumierenden denn feierenden Migrantinnen und Migranten bevölkert wird, darf er nun den "Revoluzzer" geben, der auf einen "Milliardär trifft", um sich, oh welche Ironie der Geschichte, gemeinsam in Wohlgefallen aufzulösen. Und das nicht zum ersten Mal, gab sich doch der Geldadel und die Kulturprominenz Hamburgs vor drei Jahren ein Stelldichein im Thalia-Theater, um am Tag des berühmten Biermann-Auftrittes in Köln 1976 einen nun aber ganz und gar zu ihrer Klassenvernunft gekommenen Liedermacher zu erleben.

In diesem Sinne pädagogisch besonders wertvoll war auch der Festakt zum 70. Geburtstag Wolf Biermanns vor zehn Jahren, hielt doch kein Geringerer die Laudatio auf den Liedermacher als der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Konzerns, Michael Döpfner. Der fand großen Gefallen daran, als Chef eines Verlages mit "streng antikommunistischer Tradition", so die damalige Tagesthemen-Moderatorin Anne Will in der Ankündigung seiner Rede, nicht nur Biermann als Mitarbeiter des Verlagsimperiums begrüßen, sondern auch dessen Vater ein Denkmal als kommunistischer Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime setzen zu können. Der postmoderne Zirkus lediglich nach dem Preis, nicht dem Inhalt der Ware fragender Tauschverhältnisse macht möglich, womit Axel Cäsar als Kalter Krieger selbst bei zu erwartender Auflagesteigerung noch seine Schwierigkeiten hatte. Für Döpfner ist Marktkompatibilität oberstes Gebot: "Wir bei Axel Springer bleiben uns auch nur deshalb so treu, weil wir uns ändern."

Die Quintessenz des Künstlers Biermann, der dieses aus dem Geist neoliberaler Flexibilität destillierte Anästhetikum zur Überlebensmaxime schlechthin erhoben hat, erkannte Döpfner darin, daß er, um seinen Vater zu rächen, sich stets daran gehalten habe zu sagen, "was man eben nicht von Ihnen erwartet und was man eigentlich nicht hören will". Davon war im Gespräch mit Kühne wenig zu merken, und Biermann bleibt die ihm angedichtete Widerborstigkeit auch ansonsten schuldig, scheint ihm die schlußendliche Akzeptanz noch so widriger Verhältnisse doch mehr als alles andere einzuleuchten:

"Ich habe inzwischen lernen müssen, dass die Hoffnung auf eine solche Menschheitsrettung, Kommunismus genannt, also eine klassenlose Gesellschaft, ohne Ausbeutung, ohne Unterdrückung, ohne Heuchelei, ohne Kriege, dass diese Hoffnung ein Kinderglaube ist." [3]

Die Leserinnen und Leser des Abendblattes werden aus berufenem Munde gerne vernommen haben, wie richtig sie darin liegen, niemals einer solchen Unvernunft verfallen zu sein.


Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/kultur-live/musik/article121892583/Was-Wolf-Biermann-mit-Klaus-Michael-Kuehne-verbindet.html

[2] http://www.abendblatt.de/hamburg/article208374597/Milliardaer-trifft-Revoluzzer-ziemlich-beste-Freunde.html

[3] Deutschlandradio Kultur, 14. November 2006

10. Oktober 2016


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