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KULTUR/1003: Weder subversiv noch befreiend ... die Inquisition ruft zur Ordnung (SB)



Was bringt junge Studierende dazu, den Vortrag eines jüdischen Aktivisten und Professors zu der Frage "Ist der Einsatz für Menschenrechte in Palästina antisemitisch?" zum Anlaß zu nehmen, den Ausschluß des Forums, das ihn dazu eingeladen hatte, von der Uni Freiburg zu fordern? Wie dem am 10. November vor der Veranstaltung verteilten und auf der Seite des Antisemitismusreferates des Studierendenrates der Uni Freiburg nachzulesenden Flugblattes zu entnehmen ist, wird dem Referenten Rolf Verleger das Propagieren einer "plumpen Täter-Opfer-Umkehr" vorgeworfen, die auf die Forderung hinauslaufe, "Juden sollten sich dem mörderischen Antisemitismus schutzlos ausliefern" [1]. Im Kern wird Verleger vorgehalten, einen vermeintlich autochthonen Haß und "vernichtungsorientierten Antisemitismus" der Palästinenser mit einer legitimen Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik zu verwechseln und daraus die Schlußfolgerung einer falschen Parteilichkeit zu ziehen.

Was als ebenso statthafte wie unplausible Position ohne weitere Aufregung in den freien Diskurs gebracht werden kann, wird von den anonymen Verfassern und Verteilern des Flugblattes allerdings zu der Forderung hochgeschrieben, "Keinen Raum für Antisemitismus - an der Uni und anderswo". Man will der anderen Seite schlicht das Licht ausdrehen und den Mund verbieten, und das anhand eines Gesinnungsvorwurfes, der, wenn nicht völlig an den Haaren herbeigezogen, dann zumindest diskutiert werden sollte. Eben dazu hat das Cafe Palestine als Veranstalterin des Abends mit Rolf Verleger die Urheber der Verbotsforderung eingeladen [2], bislang jedenfalls ohne sichtbare Reaktion.

Was also bringt junge Menschen dazu, einen jüdischen Aktivisten, dessen Familie größtenteils durch die Nazis ermordet wurde, im Land der Täter das Wort zu verbieten, weil er sich für die in der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Staat Israel weit unterlegene Seite der Palästinenser einsetzt? Haben sich diese Studierenden so sehr im Labyrinth der "Mikrophysik der Macht" verlaufen, daß sie weithin sichtbare und sehr konkrete Gewaltverhältnisse nicht mehr zu erkennen in der Lage sind? Ist ihr Denken im Wasch- und Schleudergang poststrukturalistischer Abstraktion so sehr von aller materialistischen Gesellschaftskritik befreit worden, daß sie das imaginäre Dasein auf den tausend Ebenen virtueller Begriffswelten mit dem realen Leben verwechseln? Oder mangelt es ihnen als wohlbehüteten und gutversorgten Mittelstandskindern schlicht an Lebenserfahrung, um das Jonglieren mit ideologischen Bezichtigungen in seiner wohlfeilen Instrumentalisierbarkeit zu durchschauen?

Was immer das politische Selbstverständnis des Antisemitismusreferates der Uni Freiburg sein mag, im Ergebnis vollzieht es mit dem Vorwurf, wer sich mit den Palästinensern solidarisch zeige, mache sich des Antisemitismus schuldig, das Interesse der Bundesregierung an einem belastbaren Bündnis mit Israel vor dem Hintergrund deutscher Kriegführung im Nahen und Mittleren Osten. Was könnte der Bundesregierung willkommener sein, als wenn die Bundeswehr eines Tages gemeinsam mit den Israelischen Streitkräften in den Krieg zieht, bereinigte dies doch das Ansehen Deutschlands von den letzten Schlacken historischer Schuld? Mit der geplanten Stationierung deutscher Kampfdrohnen in Israel wäre ein erster Schritt dazu getan [3].

In der Bundesrepublik keine Kritik an der Besatzungspolitik und dem Siedlerkolonialismus des Staates Israel aufkommen zu lassen, weil dadurch die Sicherheit Israels gefährdet würde, verkennt zudem, daß diese nicht nur durch die Bundesrepublik und EU, sondern vor allem die USA mit Waffen allen Kalibers gewährleistet wird. So hat der kommende US-Präsident Donald Trump erklärt, er werde der israelfreundlichste Präsident werden, den es jemals im Weißen Haus gegeben habe. Sein Israelberater hat angekündigt, daß es keinerlei Einschränkung der militärischen Unterstützung Israels geben werde, sondern diese weiter wachsen müsse, daß Israel im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiterhin zuverlässig durch Einlegen des US-Vetos vor Sanktionen geschützt werde, daß strafrechtliche Maßnahmen gegen Menschen ergriffen werden sollen, die gegen Israel-Unterstützer an Universitäten vorgehen, und, nicht zuletzt, daß die USA das von Israel annektierte Jerusalem als ewige und unteilbare Hauptstadt des jüdischen Staates anerkennen werden.

Wer solche Freunde hat, bedarf kaum des Schutzes durch eine Gesinnungspolizei, die die ohnehin geringe Zahl von Aktivistinnen und Aktivisten maßregelt, die für das Recht der Palästinenser auf Eigenstaatlichkeit oder die Bildung eines gemeinsamen Staates für alle seine jüdischen, muslimischen und sonstigen Bürger eintreten. Durchaus nachvollziehbar allerdings ist das grundmenschliche Interesse, sich auf die Seite der Starken und Gewinner zu retten, was wiederum am meisten soziales Kapital erbringt, wenn es unter dem Vorwand geschieht, daß materiell privilegierte, technologisch hochentwickelte und militärisch hochgerüstete Länder in besonderer Weise bedroht sind - nicht weil sie bereits in einer dominanten Position sind, sondern weil der abgrundtiefe Haß der Unterlegenen mit rassistischen Wahnvorstellungen aufgeladen sei, die jederzeit zur Wiederholung der genozidalen Judenvernichtung durch den NS-Staat führen könnten.

Wer Merkel und Trump auf seiner Seite weiß und auch durch die Neue Rechte Europas nur bedingt bedroht ist, befinden sich unter dieser doch zahlreiche erklärte Freunde Israels, läuft mithin Gefahr, seinerseits als rechtsoffen zu erscheinen und gegen rassistische Motive nicht völlig immun zu sein. So hat die pauschale Diffamierung von Palästinensern, die sich mit ihrer Unterdrückung durch den Staat Israel nicht abfinden wollen, als antisemitisch auch einen sozialchauvinistischen Grundton nach Art eines Thilo Sarrazin, der mit der Diffamierung ökonomisch angeblich unproduktiver, dafür aber um so gebärfreudigerer Musliminnen den Dreiklang von Frauenfeindlichkeit, Islamophobie und eugenischem Sozialrassismus anstimmte.

Eine Ideologiekritik, die sich des ideologischen Anteils der eigenen Argumentation so wenig bewußt ist, daß sie zwischen links und rechts nicht mehr zu unterscheiden vermag [4], ist dementsprechend anfällig für nationalistische Positionen, wie sie die AfD mit der Klage über die angebliche Mißachtung nationaler Souveränität durch die Bundesregierung Deutschlands vertritt. So hat ein Jürgen Elsässer die Reise vom antideutschen Stichwortgeber, dem Israel über alles ging, zum Initiator einer nationalistischen Volksfront aus Pegida und AfD, dem Deutschland über alles geht, durchaus folgerichtig als Adept des starken, Aus- und Einschließung auch nach ethnischen und politischen Kriterien vollziehenden Staates, hinter sich gebracht.

So weit, Rolf Verleger etwa vorzuwerfen, sich mit einem Horst Teltschik, als langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ein Wegbereiter des deutschen Imperialismus, in einem Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung E.V.I.G. zusammenzutun, geht das Antisemitismusreferat der Freiburger Uni freilich nicht. Dort scheint man sich als Ein-Punkt-Bewegung aufgestellt zu haben, die das Aufspüren und Anprangern vermeintlicher Feinde Israels nicht mit politischen Fragen verknüpft, die Aufschluß über die strategische Ratio eines instrumentell verwendeten Antisemitismusverdachtes geben könnte. An dem Aktivisten und ehemaligen Mitglied im Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland, dem er nicht mehr angehört, weil er gewagt hat, die Luftangriffe Israels auf den Libanon 2006 öffentlich zu kritisieren, stört dementsprechend, daß er seine Position sachlich kompetent und inhaltlich stringent zu vertreten weiß. Rolf Verleger hat sich in einem offenen Brief unter dem Titel "Schatten der Vergangenheit" [5] an die anonymen Verfasser des gegen ihn gerichteten Flugblattes gewendet, dessen Lektüre nachvollziehbar macht, wieso seine Stimme aus Sicht der deutschen Befürworter der israelischen Besatzungspolitik am besten ungehört verhallen sollte.

Es ist zu kurz gedacht und auch zu viel der Ehre, hier von "Antideutschen" zu sprechen. Diese positionieren sich so wenig gegen Deutschland wie ein Joseph Fischer, der als rot-grüner Außenminister den Überfall der NATO auf Jugoslawien, in dem Wehrmacht und SS brutal gehaust haben, unter Verweis auf Auschwitz als tätige Bereinigung deutscher Schuld rechtfertigte. Wenn ausgerechnet an der Universität Freiburg, der ehemaligen Wirkungsstätte des deutschesten aller modernen Philosophen, des Nazis und Antisemiten Martin Heidegger, über einen liberalen Juden, der genug Sinn und Verstand hat, die Politik Israels nicht mit seinem Bekenntnis zur jüdischen Religion und zum Judentum zu verwechseln, praktisch ein Redeverbot verhängt werden soll, kann man sich eigentlich nur noch fragen, was als nächstes kommt. Werden deutsche Inquisitoren demnächst Jüdinnen und Juden das Wort verbieten, weil sie kritisieren, daß die Bundeswehr Anstalten macht, von Israel aus Krieg im Nahen und Mittleren Osten zu führen? Weder subversiv noch befreiend ... was der Ruf der Inquisition zur Ordnung repressiver Maßregelung mit der Emanzipation des Menschen von Zwang, Angst und Not zu tun haben soll, scheint nicht einmal als Frage am Horizont dieser Studierenden aufzutauchen.


Fußnoten:

[1] https://www.facebook.com/referatgegenantisemitismus/posts/1051773488253733

[2] http://cafepalestinefreiburg.blogspot.de/2016/11/die-anonyme-antisemitismus-polizei-kam.html

[3] http://www.tagesschau.de/inland/heron-bundeswehr-101.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0060.html

[5] http://cafepalestinefreiburg.blogspot.de/2016/11/antwort-von-professor-rolf-verleger-auf.html

21. November 2016


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