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KULTUR/1004: Herrschaftszeiten auch bei EMMA (SB)



Als EMMA am 26. Januar 1977 zum ersten Mal erschien, unterschied sie sich von alternativen Blättern aus der Frauenbewegung, wie 'Courage' oder die 'Frauenzeitung', nicht nur manchmal durch andere politische Standpunkte, sondern auch durch ihre Professionalität und die Absicht, nicht etwa ein Blatt für die Frauenbewegung zu machen, sondern eine Zeitschrift für alle Frauen. [1]

1976 entwickelte Alice Schwarzer das Konzept der Frauenzeitschrift EMMA, die nun seit fast 40 Jahren mehr oder minder als Sprachrohr ihres Verständnisses von Feminismus fungiert. Die anläßlich des Jubiläums von Schwarzer bestätigte Abgrenzung zur Frauenbewegung zumindest der 70er Jahre wiegt heute desto schwerer, als der damals noch antikapitalistische Kampf gegen das Patriarchat nicht etwa in Ermangelung maskuliner Formen gesellschaftlicher Dominanz und sozialer Gewalt eingestellt, sondern vom verwertungsorientierten Gleichheitspostulat der neoliberalen Marktdoktrin überholt wurde. Das rechtsförmige Gleichstellungsinteresse stellte seine herrschaftskompatible Funktion vor allem darin unter Beweis, daß es an die Stelle sozialer Fortschritte trat, deren nicht mehr erfolgende Erkämpfung die Unterordnung von Frauen und anderer Geschlechteridentitäten desto widerstandsloser geschehen läßt.

So führt Schwarzer mit ihrer PorNO-Kampagne einen Kampf gegen sexistische Darstellung und Erniedrigung auf der Ebene eines gesetzlichen Verbots, das dementsprechenden Zensurforderungen im Internet Vorschub leistet, ohne die grundsätzliche Problematik von Einschränkungen der Presse- und Kunstfreiheit angemessen zu würdigen. Den in dieser Branche ebenso wie in der Prostitution, gegen die Schwarzer nicht minder zu Felde zieht, zweifellos vorhandenen Formen brutaler Ausbeutung von Frauen mit der Androhung strafrechtlicher Verfolgung entgegenzutreten schränkt zudem die Freiheit all derjenigen massiv ein, die auf diese Weise ihr ökonomisches Überleben sichern wollen.

Dem einen Riegel vorzuschieben, ohne den Warencharakter der Arbeit im Kapitalismus grundsätzlich zu kritisieren und überwinden zu wollen, öffnet restriktiven Formen der Sexualmoral und damit patriarchalen Kontrollansprüchen die Tür, die sich im Zweifelsfall gegen Frauen richten, die im Sexgewerbe ihr Geld verdienen wollen, weil sie andere Formen der Lohnsklaverei noch weniger akzeptabel finden. Derartige Forderungen aus der Position einer sozial abgesicherten Vertreterin deutscher Funktionseliten zu erheben hat zumindest nichts mit einem feministischen Basisaktivismus zu tun, der etwa gegen Zwangsprostitution, die Abschiebung weiblicher Flüchtlinge oder die Ausbeutung von Frauen in Schlachtfabriken tätig wird.

Schwarzer zieht es vor, sich als Feministin mit einem Gerechtigkeitsanspruch darzustellen, der in großen Teilen konform geht mit den Interessen der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft und des imperialistischen Staates. Die von ihr unterstützte Gleichstellung von Frauen bei der Bundeswehr sieht wie die Erhöhung der Zahl weiblicher Führungskräfte in der Industrie vollständig vom Zweck der Arbeit ab, die dort verrichtet wird, sondern reduziert den Gerechtigkeitsprimat auf die Gleichheit der Geschlechter beim beruflichen Aufstieg. Daß dies bei aller Berechtigung der Forderung in einem Staat, der etwa Krieg für Menschen- und damit auch Frauenrechte führt, keine emanzipatorische Position sein muß, liegt auf der Hand. Frauen in Afghanistan zu befreien, indem ihre Lebensgrundlagen zerstört und sie darüber noch mehr patriarchaler Willkür ausgesetzt werden, kehrt das ganze Ausmaß der Ignoranz hervor, die der imperiale Lebensstil auch gutgestellter Frauen in der Bundesrepublik mit sich bringen kann.

"Alice Schwarzer hat erkämpft, wogegen ich gekämpft habe, nämlich daß Frauen Soldatinnen werden dürfen", [2] bilanziert Peggy Parnass den vermeintlich historischen Fortschritt, Krieg nun auch gendergerecht führen zu können. Daß dieser heute vor allem in Ländern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung geführt wird, verweist auf den - von der Bundesregierung selbstverständlich bestrittenen - staatspädagogischen Wert kulturkämpferischer Hetze. Frau muß keine rechte Demagogin sein, um in dieses Horn zu stoßen, erfreut sich dabei jedoch auch unter Pegidisten und Konsorten großer Zustimmung. Viel schwerer wiegt allerdings, daß Schwarzers Feldzug gegen einen Islamismus, der zusehends mit der Religion des Islam in eins fällt, die große Frage der Gewalt gegen Frauen auf ein kulturalistisches Ressentiment verkürzt, das die gesellschaftliche Fortschreibung patriarchaler Dominanz aus dem Fokus der Kritik nimmt.

Zu "allen Frauen", die EMMA adressiert, gehören eben auch Bundeskanzlerin Merkel und Kriegsministerin von der Leyen. Sich von der Frauenbewegung ab- und dem großen Strom gesamtgesellschaftlicher Affirmation zuzuwenden heißt eben auch, die Schärfe konfrontativer Widerspruchsentwicklung und die daraus hervorgehenden Schritte produktiver Veränderung zugunsten eines blutigen Friedens aufzugeben, der durch Angriffe auf das Patriarchat - in welcher Gestalt auch immer es manifest wird - nicht gestört werden soll. Gesellschaftliche Gewaltverhältnisse im Grundsatz beim Namen zu nennen und ihre Überwindung als widerständiges Vorhaben auf einen linken, sozialrevolutionären Begriff zu bringen kann die Sache des arrivierten Bürgertums nicht sein. Zu diesem zählen auch Frauen, die sich nicht nur als Gewinner fühlen, sondern es am oberen Ende globaler Produktivitätsgefälle auch sind. Diesen bevorzugten Rang auf der neofeudalen Verbrauchs- und Komfortskala inklusive der Dienste der globalen Klasse mittelloser und versklavter Frauen in Anspruch zu nehmen macht sie zu Herrschenden im wortwörtlichen wie übertragenen Sinne.


Fußnoten:

[1] http://www.aliceschwarzer.de/artikel/editorial-alice-schwarzer-gehen-wir-es-mal-wieder-an-333863

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0038.html

15. Dezember 2016


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